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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Dreiecke zeichneten sich wie scharfgeschnittene Riesenschatten vor der rothen Abendgluth.

„Wir müssen uns beeilen,“ sagte der Engländer, der nach wie vor auf seinem muntern kleinen Araberhengste hin- und hergaloppirte, „wenn wir noch vor Sonnenuntergang dort sein wollen.“

Und „Jallah, jallah!“ riefen unsere Kutscher, und die Läufer sprangen hinunter und „wehten“ vorauf, um die Pferde schneller laufen zu machen. Wir überholten fast die Bowle, aber der Doctor trieb seinen Kutscher ebenfalls mit lautem Zurufe an und blieb glücklich an der Spitze des Zuges. Auch auf diesem Damme hatten wir zu beiden Seiten Wasser – Wasser, so weit unsere Blicke reichten, und vor vier Monaten waren wir auf demselben Wege zwischen blühenden Mais- und Durrahfeldern gefahren, und nach vier weiteren Monaten, im Januar, werden all diese jetzt überschwemmten Felder wieder in üppiger Blüthe stehen. Hier kommen immer die Beduinen aus den nahen Dörfern herbeigelaufen, um den Reisenden ihre Führerdienste bei den Pyramiden anzubieten. So war es auch heute, nur mit dem Laufen ging es diesmal nicht, aber wir sahen sie deutlich von ihren etwas höher gelegenen Hütten in's Wasser springen und dem Damme zuschwimmen; das blaue Baumwollenhemd, ihre ganze Bekleidung, balancirten sie dabei sehr geschickt auf dem Kopfe. In kaum zehn Minuten waren sie bei uns, einige zwanzig schwarzbraune Burschen. Sie machten schnell Toilette – „Shocking, shocking!“ würden unsere Damen gerufen haben, wenn sie Engländerinnen gewesen wären – und trabten dann wohlgemuth neben unseren Wagen her. Viele kannten den Bey und begrüßten ihn ehrerbietig mit „Saláhm alékum!“ und auch ich fand unter ihnen manchen alten Bekannten. Die Meisten verstehen und sprechen recht gut englisch, französisch und deutsch, und pfiffig und durchtrieben sind sie Alle.

„Halt!“ hieß es plötzlich, und unsere Wagen hielten an. Wir waren an dem Ende der Fahrstraße angelangt, und die letzten paar hundert Schritte pflegt man wegen des tiefen Sandes zu Fuße zu machen. Die leeren Wagen folgten uns langsam nach. Der Doctor ging aber dicht neben dem seinigen her. „Die Sache ist zu wichtig,“ sagte er ernsthaft, „ich darf sie nicht einen Augenblick allein lassen, daß heißt sie, die Bowle mit Allem, was dazu gehört.“

Der kurze Weg durch den tiefen Sand, in den wir bis über die Knöchel einsanken, gab uns einen Vorgeschmack von einer Wüstenreise.

„Meine Herrschaften,“ rief der Banquier, „wir haben die Bowle endlich verdient! Zwölf Stunden möchte ich, bei allem Interesse für Wüstenlandschaften, nicht so marschiren!“

Der Engländer, was er gar nicht nöthig hatte, war auch abgestiegen und führte sein Pferd am Zügel; er könne unmöglich bequem reiten, sagte er, wo die Damen zu Fuße gingen. Die ganze Noth dauerte indeß kaum zehn Minuten, und gerade dieser kurze, aber beschwerliche Weg bergan schien eigens dazu gemacht zu sein, uns den erhebendsten Contrast um so lebendiger fühlen zu lassen. Soeben noch, von den Mauern des Weges eingeschlossen, ein überprosaisches Waten im Sande, und jetzt, auf dem Gipfel des Plateaus angelangt, eine hochpoetische Phantasmagorie, großartig, fast überwältigend. Der ganze westliche Horizont stand in Feuer, und vor dieser dunkelrothen Gluth ragten die Pyramiden wie himmelhohe Felsen. Wir stiegen noch schnell eine kleine Anhöhe hinauf und hatten nun den freien Blick in die libysche Wüste und auf die untergehende Sonne: eine wallende, wogende Farbenfluth von Roth und Gelb, und darin der Sonnenball wie eine Kugel von flüssigem Golde. Aber Alles war nur ein Schauspiel von kaum mehr als einer Minute; denn sowie die Sonne versunken war, lösten sich die Flammen in ein sanftes Rosenroth und dann in ein mattes Violett auf, und nicht gar hoch stand die Venus als Abendstern im durchsichtigen Blau.

„Bitte, drehen Sie sich nun, meine Herren und Damen!“ rief der Banquier und wies auf den entgegengesetzten Horizont nach Osten: dort stieg eine große röthlich-bleiche Scheibe herauf, wie ein gigantisches Menschenantlitz, fast drohend anzuschauen – der Vollmond.

Wir hatten also Tag und Stunde auf das Beste getroffen: Sonnenuntergang und Mondaufgang in einem Bilde. Dort die unermeßliche, ewig unveränderliche, schweigende Wüste, hier eine unabsehbare Wasserfläche, das überschwemmte Nilthal, aber zugleich das Paradies des Landes, und wir selbst auf einem erhöhten, weit hinaus ragenden Felsplateau neben den Steincolossen der Pharaonenzeit. Wir waren Alle von diesem großartigen Schauspiele ergriffen, mit alleiniger Ausnahme des Doctors, der unten bei den Wagen zurückgeblieben war und auf der breiten Terrasse des Plateaus schon mit den nöthigen Vorbereitungen des Soupers begann. Dort liegt nämlich eine Art Schweizerhaus, das der Vicekönig bei Gelegenheit der Suezfestlichkeiten für seine hohen Gäste und speciell für den Prinzen von Wales erbauen ließ, und dessen untere Räume seitdem gegen ein Trinkgeld allen Pyramidenbesuchern geöffnet sind. Aus dem einen Zimmer hatte der Doctor bereits einen großen Tisch und die nöthigen Stühle in's Freie bringen lassen, und die Diener hatten außerdem auf der breiten Steingalerie die einzelnen Körbe aufgestellt und waren mit dem Auspacken derselben beschäftigt. Der Doctor reclamirte jetzt unsere Hülfe, da er unmöglich Alles allein besorgen könne, zumal er mit der Bowle schon genug zu thun habe. Wir mußten ihm Recht geben.

So machten wir uns denn an die Arbeit, und ich unterwies Jussuf, den kleinen Schwarzen des Engländers, die Teller mit den Couverts recht sorgfältig hinzustellen, was er unter sehr vergnügten Grimassen that. Der Banquier leistete dem Doctor die nöthigen Handreichungen zur Bereitung der Bowle. Zwei große gläserne Flacons mit eingemachten Ananas wurden zuerst entleert; „das ist die Basis,“ sagte der Doctor mit ernster Miene, fügte den nöthigen Zucker hinzu, goß alsdann vier Flaschen Moselwein hinein und rief nach Eis. Ich hatte gerade mit Jussuf die dicke wollene Decke, in welche das Eis eingewickelt war, fortgenommen und ein prächtiger Block kam zum Vorschein, durchsichtig wie der reinste Krystall. Einige faustgroße Stücke wurden in die Bowle versenkt, dann setzte der Doctor den Deckel darauf, um sie „ziehen“ zu lassen, wie er sagte, und musterte mit der Frau Bey, die hierin ein sehr geübtes Auge hat, die gedeckte Tafel. Ich hatte von den Dienern Wasser verlangt, und zwei Beduinenknaben brachten welches in zierlichen „Kullen“, jenen porösen Thongefäßen, die das Wasser auch bei der stärksten Hitze frisch erhalten; der Doctor protestirte energisch, weil er meinte, sie seien für die Bowle bestimmt, aber ich verwendete sie für die beiden Bouquets, um die Tafel damit zu schmücken. Auch die Weintrauben wurden in Eis gelegt, und der Doctor entkorkte gravitätisch eine Flasche Rüdesheimer, als weitere Zuthat für seine Bowle. Alsdann kam das eigentliche Specificum, wie er es nannte, nämlich zwei kleine Krystallfläschchen, Maraschino in dem einen und Kirsch in dem anderen; er goß von jedem Liqueur einen guten Eßlöffel voll in die Bowle, und das mit einer Miene, die deutlich genug sagte: trinkt und richtet! Zwei Flaschen Moët standen noch im Hintergrunde, aber sie sollten erst im Momente des Servirens geöffnet werden.

Die starke Hitze des Tages hatte gleich nach Sonnenuntergang bedeutend abgenommen; die Luft war jetzt lau und mild, wie bei uns daheim eine schöne Juninacht und dabei so windstill, daß die vier Kerzen, die wir zum Ueberflusse mitgebracht hatten, hier draußen im Freien so ruhig brannten, wie in einem Zimmer. Der Mond war höher gestiegen und hing wie eine blendende silberne Ampel über uns – der schönste Kronleuchter für unser Pyramidensouper, den man sich wünschen konnte.

Wir gingen zu Tische. Die Wüste macht Hunger, sagt ein altes arabisches Sprüchwort … „und Durst,“ setzte der Banquier hinzu und wies auf die Bowle, die in der Mitte des Tisches den Ehrenplatz einnahm. Man setzte sich, füllte die Gläser und trank. „Meine Herren und Damen,“ sagte der Bey, „Ehre dem Ehre gebührt! Sie ist vortrefflich!“ „Vortrefflich!“ riefen wir Alle; „nur etwas zu stark,“ setzten die Damen schüchtern hinzu. „Für zarte Constitutionen sind zwei Flaschen Selterwasser da,“ bemerkte der Doctor, „aber Wasser in die Bowle selbst zu gießen, wäre Profanation; ich appellire an alle Kenner.“ Wir Herren gaben ihm Recht; übrigens diente schon das Eis, das sowohl in die Bowle wie in die einzelnen Gläser gelegt und immer erneut wurde, zu einiger Verdünnung. –

Nach diesen Präliminarien kann sich der Leser leicht denken, daß unser Souper heiter und amüsant war; auch an Toasten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_218.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)