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verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

„Ist kein Dr. Bock da?“ So darf man jetzt täglich fragen, wo der Schwindel der Heilmittel und Curpfuschereien wieder so üppig in’s Kraut schießt.

In Guben hat die Post täglich achtzig bis hundert Thaler Nachnahme für Pillen zu besorgen, welche von dort aus als Mittel gegen Trunksucht angepriesen werden. Ein dortiger Droguenhändler, ehemals Apotheker, fabricirt sie centnerweise und läßt sie – der Fabrikationspreis beträgt etwa einen Silbergroschen für die Dosis – an die Pillenverkäufer ab, denen der Volkswitz den Titel „Saufdoctoren“ beigelegt hat und die zwar „unentgeltliche Cur“ versprechen, sich von den Verwandten der zu curirenden Trunkenbolde aber für die Dosis einen bis zwei Thaler bezahlen lassen. Die Pillen enthalten Brechweinstein und bewirken eben weiter nichts, als Uebelkeit; so lange der Säufer sie nimmt, läßt der Durst wohl nach, kommt aber bald wieder und veranlaßt neue Gelegenheit zu neuen Bestellungen. Aber was hilft das Alles? Die Dummen werden doch nicht alle! --

Einen recht überraschenden Fingerzeig giebt eine Hamburger Zeitung in einem kleinen Artikel mit der Ueberschrift „Apotheker-Privilegium und Staatsanwaltschaft“, eine Angelegenheit, die wir für so wichtig halten, daß wir zu ihrer Weiterverbreitung nach Möglichkeit helfen wollen. Es heißt dort:

„Unsere Leser werden sich der Verhandlungen erinnern, welche jüngst vor dem Strafgerichte gegen H. P. Lorenz wegen ,Medicinalpfuscherei’ stattfanden. Das den Angeklagten verurtheilende Erkenntniß des Polizeigerichts ward vom Strafgerichte bestätigt und derselbe wegen Verkaufs eines äußeren Heilmittels, ,Ginsa’, in zwanzig Thaler Strafe genommen. Bei dieser Gelegenheit stellte es sich heraus, daß Lorenz die Flasche Ginsa, im Werthe von acht Groschen, für zehn Mark verkauft hatte. Der Staatsanwalt äußerte sich sehr entrüstet, daß, wenn Lorenz noch ferner das Ginsa mit demselben hohen Nutzen verkaufen sollte, er des Betrugs angeklagt werden würde. Jetzt hat, wie wir aus einem Zeitungsinserate ersehen, der Fabrikant dieses Wundermittels sich auf eine Weise zu helfen gewußt, welche möglichen Falls die Staatsanwaltschaft in Verlegenheit bringen dürfte. Der Verkauf des Ginsa ist nämlich einer hiesigen Apotheke übergeben worden, und diese annoncirt sehr gemüthlich die Flasche der ,enorm heilbringenden’ Ginsa zu dem alten Preise von zehn Mark. Jetzt ließe sich doch wohl die Frage auswerfen, ob das Apotheker-Privilegium nicht eine Ungleichheit vor dem Gesetze herbeiführt, wie sie kaum auffallender gedacht werden kann. Oder gedenkt die Staatsanwaltschaft etwa mit einer Anklage gegen die das Ginsa feilbietende Apotheke einzuschreiten? Hiermit dürfte sie schwerlich einen Erfolg erzielen, denn die Apotheken sind zum Verkaufe von medicinischen Mitteln berechtigt, und hier handelt es sich wahrscheinlich doch nur um ein Commissionslager. – So stehen wir denn vor einem eigenthümlichen Räthsel: wird ein Geheimmittel, welches medicinische Substanzen enthält, von Nicht-Apothekern verkauft, so kann es schädlich wirken und der Verkauf ist gesetzlich strafbar. Das Gegentheil findet bei einem Verkaufe aus der Apotheke statt. Außerdem kann der Nicht-Apotheker wegen zu hohen Nutzens des Betrugs angeklagt werden, nicht aber der Apotheker. Erkläret mir, Graf Oerindur!“






Eine letzte Bitte. Nachstehendes Gedicht ist ein Kind des Schmerzes. Es geht uns von einer jungen Dame zu, welche, von unwiderstehlichem Drange getrieben und im Widersprüche mit den Ihrigen, sich unlängst den weltbedeutenden Brettern zugewandt. Zur Stunde liegt eine schwere Schule der Enttäuschung und des Schmerzes hinter ihr. Es ist eine kurze Geschichte, diese Geschichte der armen Flora: Zuerst Ueberschätzung des eigenen Könnens und jugendliche Unkenntniß des Lebens, dann Ernüchterung und sinkende Hoffnung, zuletzt Reue und tiefste Zerknirschung. Heute nun, nachdem unsere junge Künstlerin bereits mehrmals vergebens an die Thür der erzürnten Eltern geklopft, sendet sie durch die Gartenlaube den Ihrigen – sie gehören zu den Abonnenten unseres Blattes – eine letzte Bitte um Wiederaufnahme in den Schooß ihrer Familie. Mögen die schlichten Verse, welche auf dichterischen Werth keinen Anspruch erheben können und nur ein psychologisches Interesse gewähren, ihre Adresse nicht verfehlen und ihren Zweck, ein Mutterherz zu erweichen, erfüllen!


„Erbarmen!

Ich hab’ gefehlt – mich traf der Fluch,
Für heiß’ Begehren schwer zu leiden.
Die mich so warm am Herzen trug.
Von Elternliebe konnt’ ich scheiden.

5
Es winkte mir, den Kranz in Händen,

Von fern ein Bild, so hehr, so licht.
Wer kann des Herzens Wünsche wenden?
Erbarmen! O, verdammt mich nicht!

Sie lockte mich sirenenhaft,

10
Daß ich mit Herz und Hand ihr diene,

Die Kunst der höchsten Leidenschaft,
Die zauberische Kunst der Bühne.
Versuchung hier – dort meine Lieben;
Ihr spracht: „Entsagung ist Dir Pflicht,“

15
Doch mächtig fühlt’ ich mich getrieben –

Erbarmen! O, verdammt mich nicht!

Ein schwerer Kampf – ich unterlag
Und stürzte mich in’s bunte Leben.
Ein kurzer Wahn, ein Sommertag,

20
Umblüht von Rosen und von Reben -

Dann kam die Nacht, die Nacht ohn’ Ende
Und der Enttäuschung Schreckgesicht.
Zu Euch empor heb’ ich die Hände:
Erbarmen! O, verdammt mich nicht!

25
Wie brennt so heiß der Reue Gluth!

Entschwund’nem Glück gilt all’ mein Sehnen.
Was ich verscherzt im Uebermuth,
Nicht kauft’s zurück ein Meer von Thränen,
Und kein Gebet macht wieder blühen

30
Die Blume, die der Lenz schon bricht.

O, laßt mich nicht verzweifelnd ziehen!
Erbarmen! O, verdammt mich nicht!

Flora.“






Aufruf zur Stiftung eines Ehrengeschenks für Arnold Ruge.

Das deutsche Volk, an dem langerstrebten Zielpunkte der Einigung und der nationalen Machtfülle angelangt, hat die Pflicht, für diejenigen seiner Söhne einzutreten, welche mit Einsetzung ihrer ganzen Existenz die Wege der Ehre und Gerechtigkeit gebahnt und geebnet haben. Den Helden des Schwertes schritten die Helden des Geistes voran.

Arnold Ruge steht seit mehr denn einem vollen Menschenalter oben an unter den Männern, welche den Kampf für die höchsten Güter der Nation auf philosophischem und politischem Gebiete tapfer und erfolgreich geführt und für ihre selbstlose Hingabe an die von ihnen erstrebten patriotischen Ziele Gefängniß und Entbehrung geerntet haben. Er war in einer politisch schlaffen und gedrückten Zeit einer der frischesten und unverdrossensten Mitbegründer jener aufrichtigen Denkfreiheit, welche das Fundament zur politischen Ermannung Deutschlands legte. Seine Hallischen und Deutschen Jahrbücher schossen die erste Bresche in das damalige gelehrte und politische Zwinguri; sie lehrten das jüngere Geschlecht, daß die bürgerliche Freiheit geschichtlich und dialektisch auf der Befreiung des Geistes und des Gewissens begründet ist. So hat Ruge seit vielen Jahren vorausgesehen und vorbereitet, was 1866 und 1870 glorreich vollbracht wurde.

Mögen auch, nachdem das Schwerste erreicht ist, für die große Mehrheit der schnell lebenden Zeitgenossen die Anfänge vergessen sein, aus denen der deutsche Staat langsam und mühevoll erwachsen ist, Ruge hat länger denn ein halbes Jahrhundert, von seinen Studentenjahren an als Agitator und Journalist, als Philosoph und Politiker wacker an diesem Bau mitgearbeitet und sich mit seinen tapferen Thaten einen unvergänglichen Ehrenplatz in der Geschichte unserer geistigen Entwickelung gesichert.

Und wie die jetzt zu Männern herangewachsene Jugend von ihm gewaltig angeregt wurde. so leuchtet er auch für die gegenwärtige und für die zukünftigen Generationen als Muster des überzeugungstreuen, uneigennützigen Mannes, der sich trotz persönlichen Mißgeschicks den Kopf frei und das Herz frisch erhalten hat, und der die neue Gestaltung der Dinge in unserem Vaterlande, trotzdem daß sie durch andere Mittel und aus anderen Wegen als den von ihm gewollten bewirkt wurde, mit jugendlicher Begeisterung rückhaltlos begrüßt hat und fördern hilft.

Wenn auch durch unerschrockene Arbeit vor augenblicklicher Sorge geschützt, so bedarf doch der jetzt in seinem dreiundsiebenzigsten Lebensjahre stehende Ruge der Ruhe und Erholung. Ihm diese zu verschaffen, ist der Zweck unseres Aufrufs, den wir der „Gartenlaube“ zur Veröffentlichung übergeben.

Berlin, im Februar 1875.

Ludwig Bamberger, Reichstags-Abgeordneter. Adalbert Delbrück, Banquier. Franz Duncker, Reichstags-Abgeordneter. Friedrich Kapp, Reichstags-Abgeordneter. Eduard Lasker, Reichstags-Abgeordneter. Wilhelm Löwe-Calbe, Reichstags-Abgeordneter. H. B. Oppenheim, Reichstags-Abgeordneter. Benoit Oppenheim. Banquier. Hermann Schulze-Delitzsch, Reichstags-Abgeordneter. Gustav Siegmund, prakt. Arzt. H. V. v. Unruh, Reichstags-Abgeordneter. Rudolph Virchow, Prof. u. Landtags-Abgeordneter.


Der Redaction der „Gartenlaube“ ist Seitens des Comite’s der ehrenvolle Auftrag geworden, für die Veröffentlichung und Verbreitung der obigen Ansprache Sorge zu tragen. Mit voller Ueberzeugung und aller Wärme des Herzens fügt sie den Namen


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verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_207.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)