Seite:Die Gartenlaube (1875) 202.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Sepoys bewährten sich sowenig wie die Lasttiere. Erstere, sowie andere, durch das von den Sepoys gegebene böse Beispiel zu Faulheit und Diebstahl verführte Mitglieder der Karawane mußten zurückgesandt werden und verbreiteten nun, weil sie sich schämten, zurückgeschickt zu sein, an Zanzibar das 1868 entstandene falsche Gerücht von Livingstone’s Ermordung. Die Thiere starben hauptsächlich durch den Biß der Tsetse-Fliege.

Die disponiblen Kräfte schwanden bald in dem Maße, daß die Waarenladungen, die man zum Einkauf von Lebensmitteln mit sich führen muß, theils zurückgelassen, theils durch fremde Träger befördert und, wo diese nicht erhältlich, der Weg zu deren Fortschaffung mehrmals gemacht werden mußte. In dieser Gegend waren durch Einfälle der Mazitu die Einwohner verjagt und die Lebensmittel vernichtet worden, so daß eine Hungersnoth im Anzuge war. Livingstone berichtet uns von ganzen verlassenen Sclavenkarawanen, welche theils Hungers auf der Straße gestorben, theils in so schwachem Zustande gefunden wurden, daß sie zum Sprechen unfähig waren. Ihre Herren hatten mit knapper Noth nur für sich Lebensmittel erhalten, und dann lediglich auf die Rettung des eigenen theuren Lebens Bedacht genommen, unbekümmert um das Verderben Hunderter von Menschen.

Während Livingstone seine Reise in dieser Weise mit dem Gefühl beginnt, sich nirgends so sehr am Platze und körperlich so wohl zu fühlen wie hier, seinem Berufe folgend, muß er bald inne werden, daß die Wunden, welche seine früheren Reisen, namentlich am Zambere, seiner Gesundheit geschlagen haben, unter den wiederkehrenden Verhältnissen von Neuem aufbrechen. Des öfteren Fiebers gelingt es stets Herr zu bleiben, doch die sich wieder einstellende Dyssenterie ist nicht mehr zu beseitigen und nagt unaufhörlich, bald mehr, bald weniger, an seinen Lebenskräften.

So geht der Weg, häufig durch unfreiwillige Aufenthalte unterbrochen, im Zickzack weiter. Die Richtung bestimmte sich nach der größeren oder geringeren Wahrscheinlichkeit reichlicher Lebensmittel in den zu passirenden Districten, nach dem freund- oder feindschaftlichen Verhältnisse, in welchem die verschiedenen Stämme zu einander stehen. Verheerte und den kriegerischen Einfällen ausgesetzte Gebiete müssen häufig in weiten Umwegen umgangen werden.

Vom Nyassasee wendet sich Livingstone im September 1866 nördlich dem Tanganyikasee zu, den er im April 1867 an seinem Südende berührt, erforscht dann den See Moero näher, entdeckt den enormen Binnensee Bemba und erreicht im Mai 1868 Carembe wieder, um dem Westufer des Tanganyikasees zuzueilen. Die Vorräthe waren durch Verbrauch, Verlust und Diebstahl zusammengeschmolzen. Schon lange hatte er weder Papier, Tinte noch Bleistift. In dieser Periode sind seine Reisejournale theilweise auf altes vergilbtes Zeitungspapier, wie es sich gerade in seinem Gepäcke vorfand, quer über das Gedruckte vollgeschrieben mit einem gelben Baumsafte, welchen er sich selbst zubereitete.

Zu seiner nicht geringen Freude traf ihn in Ujiji, an der Ostseite des Tanganyika, der zu seiner Aufsuchung ausgezogene Mr. Stanley, der ihn mit dem Nöthigen versorgte und seine Papiere, als er ihn nach längerem Beisammensein verließ, mit nach England nahm.

Stanley wandte alle Beredsamkeit an, ihn zur Rückkehr in die Heimath zu bewegen. Er führte alle möglichen Argumente in’s Feld, als Wiederherstellung seiner Gesundheit, die Nothwendigkeit künstlicher Zähne, da er die seinen verloren hatte, und daß es ihm später besser möglich sein werde, sein Werk zu vollenden; jedoch vergebens. Eine Stelle in Livingstone’s Tagebüchern berichtet darüber: „Meine innere Stimme sagt mir: Alle Freunde werden wünschen, daß ich eine wirklich genaue Feststellung der Nilquellen beschaffe, ehe ich heimkehre. Meine Tochter Agnes schreibt: ‚So sehr ich wünschen würde, Dich heimkehren zu sehen, so würde ich doch lieber sehen, daß Du zu eigener Befriedigung Dein Werk vollenden und mich dann mit gänzlicher Heimkehr erfreuen möchtest.‘ Recht und edel gesagt, mein Liebling Nannie! Meinen Segen für sie und alle Uebrigen!“

Livingstone begleitete Stanley bis zur Küste, bis Unyanyembe. Dann zurückkehrend wieder zum See Tanganyika, wendete er sich von Neuem südwärts dem Bangweolosee zu, um dessen Erforschung zu vervollständigen.

Mittlerweile war das Ende 1872 herangekommen. Das Journal enthält bereits früher fortwährend Berichte über Livingstone’s verzehrende, unheilbare Krankheit. Unter solchen Umständen kann es nicht Wunder nehmen, wenn sieben Jahre unter ungünstigen klimatischen Verhältnissen endlich seine Kräfte schwinden machen mußten. Die Symptome werden anhaltender und schmerzlicher, oft seinen sonst allezeit heiteren Gemüthszustand umnachtend. Zudem die ungünstige Jahreszeit, die tropische Regenzeit, welche das Reisen fast unerträglich macht, und in einer Gegend, welche schlimmer war, als alle früher passirten.

Das ganze Land auf viele Meilen Entfernung rund um den See war theilweise vollständig mit Wasser bedeckt, oder hatte in den Niederungen „Schwämme“, wie sich Livingstone ausdrückt. Es entsteht nämlich aus der fortwährenden Erneuerung und dem Wiederverderben einer üppigen Vegetation eine Bodenschicht, welche das Wasser nicht einsinken läßt, sondern es fest hält und, wenn vollgesogen, schließlich das Wasser wieder abgiebt. Hierdurch erklärt Livingstone theilweise die Regelmäßigkeit der Ueberschwemmungen, auch die des Nils. Die ganze Gegend um den See herum ist fast nur ein großer Schwamm, und seine Ufer unterscheiden sich vom Lande nicht mehr. Die Dörfer liegen größtentheils auf erhöhten Stellen, und gerastet wird häufig auf den enormen Ameisenhügeln. Sonst geht die Gesellschaft Tag ein Tag aus im Wasser. Livingstone hat einen Esel; theilweise erlaubt sein Zustand jedoch das Reiten nicht, und er wird getragen. Häufig kommen in dieser unendlichen Wasserfläche tiefere Bäche vor, die, weiter aus dem Lande kommend, dem See zuströmen.

Unser Bild, welches nach den eigenhändigen Skizzen Livingstone’s entworfen, zeigt ihn und seine Mannschaft auf dieser Wasserpartie beim Durchwaten eines solchen kleinen Stromes. Es läßt das besser als alle Worte erkennen, welchen Anstrengungen sich der todtwunde Mann unterziehen mußte. Seine Kräfte sanken denn auch immer mehr, und in seinen Aufzeichnungen mehren sich die Ausrufe und Stoßseufzer über seine Leiden.

Endlich hören seine eigenen Niederschriften ganz auf, bis auf das Einschreiben des Datums. Seine letzten Worte waren am 27. April 1873 aufgezeichnet in Kalunganjovu’s Stadt: „Knocked up quite, and remain – recover – sent to buy milch goats. We are on the banks of Molilamo.“ (Gänzlich aufgerieben, und bleiben – mich wieder erholen – fortgeschickt, um Milchziegen zu kaufen. Wir sind an den Ufern des Molilamo.) Wir sind jetzt auf die Berichte seiner Diener Chuma und Susi angewiesen, welche sich jedoch so treu und pietätvoll erwiesen haben, daß wir ihnen allen Glauben schenken dürfen.

Die vorerwähnten Milchziegen konnten nicht herbeigeschafft werden – überall dieselbe Geschichte: Die Mazitu. welche von Manchen mit den bekannten Zulukaffern identificirt werden, hatten die ganze Gegend ausgeraubt. Feste Nahrung zu sich zu nehmen, war Livingstone unmöglich. Er war unfähig zu gehen, nicht einmal vor die Thür der Hütte; damit er in die Tragbahre, welche man für ihn gemacht hatte, gelangen könne, mußte sie vor sein Lager gebracht und dann die Wand der kleinen Schilfhütte eingerissen werden, damit er hinaus kommen könnte. Ein zu passirender kleiner Fluß macht besondere Schwierigkeiten. Man fürchtet den kranken Mann zu tragen, weil ein Fehltritt ihn von der Bahre in’s Wasser werfen könnte. Er wird mit den Betten abgehoben und auf den Boden eines Canoes gelegt.

Der Weg ist der schlechteste. Alle Augenblicke verlangt der Kranke, daß sie anhalten und die Tragbahre hinsetzen; doch es war nicht möglich, daß der Arme stehen konnte. Wenn er aufgehoben wurde, verließen ihn die Kräfte. Dies war hauptsächlich einmal bei einem Baum am Wege der Fall, wo er halten und seine Leute sich um um ihn versammeln ließ, doch er war zu schwach zum Sprechen. Sie legten ihn in der Tragbahre wieder zurecht und gingen, so gut es gehen wollte, weiter. Später wünschte er Wasser, aber es war keines da. Endlich kam ihnen Susi entgegen, der zu den nöthigen Vorbereitungen nach Chitambo’s Stadt vorausgeeilt war. Bei einem nochmaligen Anfall hatte es den Anschein, als sollte es schon da zu Ende gehen; Livingstone hieß die Träger niedersetzen, wo sie waren. Glücklicherweise fachte der Umstand, daß jetzt das Dorf in Sicht kam, noch einmal seine Lebenskräfte an, so daß er nach einer Stunde Rast weiter transportirt werden konnte. Nach kurzem Warten in einem

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_202.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)