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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Durch einen bloßen Blick auf diese Karten konnte der Seefahrer sofort ersehen, aus welcher Gegend der Wind in jedem Monat vorzugsweise wehe, welche Schiffe, in welchem Jahr und Monat, und welche Straßen sie hier fuhren; er sah die Stellen wo und wann Stürme, Windstillen, wo zuerst die Passate sie trafen und verließen, wo sie Regen, Nebel, Gewitter gehabt hatten. Nicht Theorien, Conjecturen, oder die schwachen Lichtblitze vereinzelter Erfahrungen, ein heller, breiter Lichtstrom war es, welchen die Beobachtungen aller Seefahrer vor ihm ausbreiteten, und der sein sicherer Führer in den Weiten des Oceans wurde.

Durch dieses Hülfsmittel der Belehrung wurde die Fahrt in vielen Fällen wesentlich abgekürzt und gewissermaßen die entferntesten Winkel der Erde einander näher gerückt. So verringerte sich die Fahrt von London zum Aequator um zehn Tage. Die Ueberfahrt nach Californien hatte früher durchschnittlich hundertdreiundachtzig Tage gedauert, mit Hülfe der Maury’schen Karten wurde sie in hundertfünfunddreißig Tagen zurückgelegt. Zur Fahrt von England nach Australien brauchte man vor diesen Karten hundertvierundzwanzig Tage, mit denselben durchschnittlich nur siebenundneunzig. In der Jahresversammlung der „British Association“ von 1853 kam es zur Sprache, daß solche Karten für den Indischen Ocean in jenen Gewässern allein für den britischen Handel jährlich eine Ersparniß von einer bis zwei Millionen Dollars, und in allen Meeren von zehn Millionen einbringen würden. In Hunt’s „Merchant’s Magazine“, Mai 1854, wird folgendes Ersparniß berechnet: der mittlere tägliche Frachtpreis für die Tonne ist wenigstens fünfzehn Cents; da sich aber die Fracht sämmtlicher Handelsschiffe jährlich sicher auf eine Million Tonnen beläuft, so werden, wenn auch durchschnittlich nur fünfzehn Tage auf den Reisen nach fernen überseeischen Häfen gespart würden, 15 . 15 . 1,000,000 Cents, oder 2,250,000 Dollars blos auf den Reisen von den amerikanischen Häfen aus jährlich erspart.

Ein Princip, eine Methode, welches so reiche Resultate bietet und noch reichere verspricht, zog natürlich die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, empfahl sich der mitwirkenden Theilnahme aller Seefahrer der civilisirten Welt und erweckte in allen strebsamen Seeleuten einen ganz besonderen Eifer, die Kenntniß des Meeres und seiner Wunder zu erweitern.

Die ältesten Seejournale und Logbücher wurden aus den Archiven hervorgesucht, die Karten nach ihnen entworfen, und man staunte, wie alle Seeleute dem Kielwasser ihrer Vorgänger folgten, gewissermaßen wie ein Wanderer in der Wildniß der Fährte des Andern nachfolgt. Da geht z. B., um von den Vereinsstaaten nach Indien, China, den Goldbezirken Australiens zu kommen, die Straße anfangs ostwärts im atlantischen Ocean bis zu den capverdischen Inseln, von hier wieder westwärts bis zur Küste Brasiliens und von hier endlich wieder südostwärts nach dem Cap. Sie durchkreuzt also dreimal den atlantischen Ocean, während der Rückweg vom Cap nur eine, fast gerade Linie zeigt. Das war die alte Route, breit, aber doch scharf begrenzt. Zu beiden Seiten blieben auf hunderte von Meilen unbesuchte Räume, Gebiete der Sclavenhändler, Piraten und des Räubergesindels.

Welcher Ingenieur aber hatte diese oceanische Zickzackstraße abgesteckt? Welche Wegweiser zeigten die Richtung? Warum fuhren die Kauffahrer nicht auch auf dem Hinwege nur einmal quer durch den atlantischen Ocean wie auf dem Rückwege? –

Winde und Strömungen waren die Ingenieure, Tradition und Gewohnheit die Führer.

Maury’s Karten richteten aber die Aufmerksamkeit auch auf die leeren Räume neben den Fahrstraßen, und die Seefahrer überzeugten sich von der Wichtigkeit besserer und häufigerer Beobachtungen, als die alten Schiffsbücher sie boten. Man kam überein, bestimmte Beobachtungen auf den Fahrten nach einem bestimmten Schema zu registriren und diese Register regelmäßig an das Nationalobservatorium in Washington einzusenden, dafür sollte Jeder kostenfrei ein Exemplar der Karten und Anleitungen für Seefahrer (Sailing directions) erhalten, die man nach diesen Beobachtungen ausarbeiten würde. In kurzer Zeit waren mehr als tausend Seefahrer Tag und Nacht in allen Meeren beschäftigt, nach einheitlichem Plane Beobachtungen zu sammeln über Richtung und Stärke der Winde, Strömungen, Tiefen, Temperaturen, Salzgehalt, Circulation der Atmosphäre, Magnetismus, kurz über alle wahrnehmbaren Phänomene. Eine im August 1853 in Brüssel versammelte Conferenz der seefahrenden Staaten adoptirte und empfahl Maury’s Plan und erklärte das Logbuch eines im Kriege eroberten Schiffes als unverletzlich. Nach dem Vorgange in den Vereinsstaaten wurden in England, Holland, Norwegen Institute errichtet, welche die Seefahrt nach bestimmten Instructionen fördern.

Hierzu kam noch das im Anfange des vorigen Jahrzehnts von dem Admiral Fitzroy begründete englische System von Sturmsignalen, indem man nach den täglich von allen Theilen der britischen Küste und anderen centralen Beobachtungsstationen eingesandten meteorologischen Berichten auf das Herannahen eines Sturmes schloß und durch das Aufziehen von Signalen an geeigneten Küstenpunkten die Strandbevölkerung und die in der Nähe befindlichen Schiffsführer warnend darauf aufmerksam machte.

Neben der Nautik und dem überseeischen Handel hatte die Wissenschaft bei alledem das höchste Interesse. Nie zuvor wuchs die Zahl von Beobachtern für irgend eine physikalische Disciplin so sehr, wie die, welche seitdem unsere Kenntniß der physischen Geographie des Meeres hülfreich fördert.

In Deutschland verblieb es geraume Zeit bei dem wissenschaftlichen Interesse, das der hochbetagte Humboldt dieser neuen geographischen Disciplin zuwandte, und die von ihm den Namen „die physische Geographie des Meeres“ erhalten hat. Hunderte von Strömungs-, Wind-, Peilungs- und Schiffskarten, die sich in seinem Nachlasse, selbst noch in Correcturabzügen mit seinen und Maury’s eigenhändigen Bemerkungen und Notizen aller Art vorfanden, gaben hiervon redendes Zeugniß. Vergebens suchte schon im Jahre 1854 Professor Neumayer den größten norddeutschen Küstenstaat, Preußen, für die Vervollkommnung seines Seewesens in praktisch wissenschaftlicher Richtung zu interessiren.

Noch nachdrücklicher waren die Verhandlungen der Geographenversammlung zu Frankfurt am Main im Jahre 1865. Man erkannte den Nothstand der deutschen Seefahrt und die Dringlichkeit eines nautisch-meteorologischen Instituts an der Nordküste Deutschlands, aber noch lag die Nacht des Bundestages auf Deutschland, und – es geschah nichts. Auch die Arbeiten des preußischen meteorologischen Instituts, des hydrographischen Bureaus der kaiserlichen Admiralität hatten andere Interessen.

Da war es der Director der Navigationsschule zu Elsfleth, W. v. Freeden, der im Jahre 1868 nach eigenem Plane, mit Hülfe der Hamburger und Bremer Handelskammer und mehrerer Rheder beider Städte, die „Norddeutsche Seewarte“ in Hamburg als Privatinstitut gründete. Ihr Zweck war Sicherung und Abkürzung der Seefahrten und die Resultate ihrer Sammlungen und Beobachtungen theils in unmittelbarem Verkehre mit den Schiffern, theils durch regelmäßige Publicationen für die Schifffahrt nutzbar zu machen. – Aber wie sehr auch ihre Leistungen durch staatliche Unterstützung anerkannt wurden, sie konnte als Privatinstitut, bei beschränkten Mitteln den täglich zunehmenden Forderungen der Praxis und der Wissenschaft nicht befriedigend entsprechen.

Versuchen wir hier nur auf einige Schwierigkeiten hinzuweisen, welche die Nautik unserer Tage zu überwinden, einige Forderungen oder Aufgaben darzustellen, welche sie zu lösen hat. Die altüblichen, unentbehrlichen Werkzeuge der Seefahrer waren der Compaß und das Chronometer; sie sind's noch heute. Aber wie anders ist oft ihre heutige Sprache und das Verständniß derselben gegen früher geworden! – Betrachten wir zunächst den Compaß.

Je mehr das Holz beim Schiffsbaue durch Eisen verdrängt wird, desto complicirter sind die Erscheinungen des Compasses. Es ist außer allem Zweifel, zahlreiche Schiffsunfälle haben ihren Grund einzig und allein in der Unkenntniß der Natur und der Gesetze dieser Erscheinungen, oder in der schlechten Beobachtung des Compasses. Heuglin verlor im Westen der Waigatschstraße nur dadurch vier volle Tage mit verfehlter Fahrt, weil man übersah, daß durch das Niederlegen des eisernen Schornsteins auf dem kleinen Dampfer die Magnetnadel abgelenkt werden mußte.

„Aber wie ist es denn überhaupt möglich, am Bord eines eisernen Schiffes vom Compaß Gebrauch zu machen, da hier ja die Nadel gebannt, von ihrer polaren Weisung abgezogen und zu Mißweisungen geleitet werden muß?“

So ist es in der That. Aber man ist diesen Mißweisungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_196.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)