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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


General von Below, einen Besuch machen und zur rechten Zeit am Potsdamer Bahnhof sein.“

„Aber Excellenz!“ suchte der Leibjäger einzuwenden.

„Bestelle den Wagen, mein Sohn!“

Der General fuhr durch das Brandenburger Thor in einem königlichen Hofwagen, der mit feurigen Trakehnern bespannt war, ein, von da nach der Französischen Straße, wo in der Nähe des Gensdarmenmarktes der General von Below wohnte. Der General stieg mit seiner Gemahlin aus und begab sich in die Wohnung seines Schwagers. Der Leibjäger folgte und schloß die Hausthürflügel hinter sich; der königliche Wagen blieb vor dem Hause halten. Der Leibjäger hatte Befehl, seinen Herrn kurz nach drei Viertel unten zu erwarten, und als er diesen mit der Generalin oben aus den Zimmern kommen hörte, öffnete er unten den einen Thorflügel, schlug ihn aber im nächsten Momente wieder zu, als er draußen vor der Thür und weithin nach der Straße dichte Massen jener unheimlichen Bassermann’schen Gestalten versammelt sah, die der Anblick des königlichen Wagens, einer damals in Berlin ungewohnten Erscheinung, vom Gensdarmenmarkte herangezogen hatte und die nun beim Oeffnen der Thür in lautes drohendes Gejohle ausbrachen, aus denen nur die Worte vernehmbar waren: „Nun kommt er.“

Der Jäger meldete oben, was unten drohte. Die Generalin erblaßte vor Schreck. Ihr Gemahl sagte ihr einige Worte in Französisch und schickte sich dann an, die Treppe hinabzugehen. Auf ihr Bitten, sich nicht der Wuth der Menge auszusetzen, deren wilde Ausbrüche jetzt laut zu ihnen heraufschallten, entgegnete er kalt und ruhig:

„Bleib’ nur ruhig! Muß doch sehen, was die närrischen Leute wollen.“

Er ging hinab. Der Jäger öffnete ihm die Thür. Er trat hinaus auf die Straße, wo sein Erscheinen ein lautes Johlen unter der versammelten Masse hervorrief.

„An die Laterne mit ihm! Schnell! Packt ihn!“ erscholl das Geschrei von allen Seiten, und schon streckten sich Arme nach ihm aus, um ihm das Schicksal Latour’s zu bereiten.

Kalt, unbeweglich stand er in Mitte der ihn umgebenden Menge. Sein Wort dämpfte für einen Moment den wüsten Lärm:

„Was wollen Sie von mir?“ war seine Frage.

„Sie sind ein Verräther,“ ließen sich einzelne Stimmen vernehmen. „Sie wollen das Volk niederkartätschen. Sagen Sie augenblicklich, ob es wahr ist, daß Sie Berlin bombardiren wollen, oder Ihr letzter Augenblick ist gekommen.“

„Ob ich Berlin bombardiren werde,“ war die Antwort des Generals, „das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Aber wenn Sie es durchaus wissen wollen: Ja! Ich werde es bombardiren lassen, und recht tüchtig, wenn diese Excesse fortdauern und nicht bald Ruhe und Ordnung wiederkehrt.“

Diese Drohung des kaltblütig der Menge in’s Angesicht schauenden Generals versetzte dieselbe in einen solchen Anfall von Wuth, daß aus tausend Kehlen der Ruf erscholl: „An die Laterne!“

Wer kann ermessen, was in diesem Momente geschehen wäre, wenn hier nicht einer jener Zwischenfälle eingetreten wäre, die man als ein Ungefähr oder als eine höhere Fügung ansehen mag, die aber oft den drohendsten Gefahren und folgereichsten Begebenheiten eine unerwartete Wendung geben. Hier war es ein etwa zwölfjähriger Knabe, der sich durch die Menge drängte und dem General, ihm ein Körbchen mit Veilchen entgegenhaltend, zurief:

„Veilchen, frische Veilchen! Ach, Herr Jeneral, koofen Sie mich den paar Sträußken ab! Eens nur eenen eenzigen Jroschen!“

Wie von einer plötzlichen Eingebung erfaßt, ergreift Wrangel den Korb, und ein Sträußchen nehmend, wendet er sich an den Vordersten der Schreier mit der Frage:

„Wollen Sie vielleicht ein Sträußchen für Ihre liebe Frau?“ und dann dem Nächsten eins bietend:

„Sie auch?“ und so die Reihe durch, bis denn überall aus der Masse Arme und Hände emporkamen, mit dem Rufe: „Mir auch, Herr General! Mir auch!“

Er hätte in diesem Augenblicke hundert haben können, er hätte fünffache Verwendung dafür gefunden, aber es waren verhältnismäßig nur wenig Sträußer gewesen. Das letzte emporhaltend, rief er:

„Dieses einzige und letzte will ich für mich behalten, zum Andenken an Sie und an diese Stunde. – Aber nun machen Sie Platz, meine Herren! Ich habe keine Zeit mehr; ich muß nach Sanssouci. Der König hat befohlen.“

Dieses Wort entfesselte die schon halb gebändigte Volksleidenschaft auf’s Neue. „Nein – nein! – Er soll nicht fort – Er darf nicht fort. Nieder mit ihm!“

In diesem entscheidenden Momente traten aus dem Haufen einige Männer, jedenfalls die ruhigeren Elemente, hervor und wandten sich zu den Uebrigen mit den drastischen Worten:

„Schafdämels Ihr, wat wollt Ihr denn noch? Habt Ihr’s doch jehört: der Mann hat keene Zeit.“

So suchten sie ihm den Weg zum Wagen frei zu machen. Der Jäger war unterdeß bei der Generalin im Hausflur geblieben, um mit ihr schnell seinem Herrn zu folgen, wenn er glücklich zum Wagen gekommen wäre. Fünf Schritte war der General noch von demselben entfernt, da stürzten sich Einige in neuaufschäumender Wuth mit dem Ausrufe „Latour!“ auf die Pferde, um diese im Zügel zu fassen, aber schneller und geschickter als sie nahm der Kutscher dieselben schnell zurück. Der General sprang in den Wagen; der Jäger drängte die Generalin hinein, sprang auf den Bock und fort ging’s in sausendem Galopp.

„Na, diesmal wären wir noch einmal glücklich durchgekommen,“ sagte darauf der General zu seinem Jäger. Derselbe lebt noch, heißt Boek, ist gegenwärtig Haushofmeister des Prinzen Friedrich Karl und gehört zu den Wenigen, die außer dem General und der Generalin von diesem Vorfalle noch wissen. Oft nachher, wenn der Oberbefehlshaber beim Prinzen Friedrich Karl zu Tische war, pflegte er, auf Boek zeigend, zu sagen: „Braver Kerl das – hat immer zwei Pistolen in der Tasche gehabt.“

Das war sehr nöthig, als Wrangel am 10. November Mittags zwölf Uhr durch das Halle’sche Thor mit den Truppen einzog und sein Hauptquartier im Schlosse von Berlin in den Zimmern der ersten Etage nahm, die der Schloßfreiheit und speciell dem Hause von Humbert gegenüber liegen; denn auch hier war er dem allgemeinen Volkshasse und der Gefahr für sein Leben täglich und stündlich ausgesetzt. Die Drohbriefe kamen in Haufen. Da, wo die Säule mit dem Adler steht, sammelten sich in jeder Stunde neue Volksmassen an, welche sehr deutlich mimische Geberden für den Begriff des Hängens nach den Fenstern hinauf machten. Um den General zu verhindern, an das Fenster zu treten und so die Gefahr herauszufordern, ließ man die Rouleaux herunter und brannte während des ganzen Tages Licht. Eines Tages verlangte Wrangel, nach dem Köpenikerfelde zu fahren. Dorthin hatte sich die Straßendemagogie verzogen, und dort fanden täglich stürmische Volksversammlungen statt; denn der Canal wurde damals gebaut, und alle unsauberen Elemente der Gesellschaft fanden sich mit den Arbeitern zusammen, um dieselben aufzureizen.

„Nach dem Köpenikerfelde wollen Excellenz fahren?“ fragte der damalige, nun auch schon verstorbene Adjutant von Kirchfeld den General.

„Ja – und Sie werden mich begleiten.“

Zur festgesetzten Stunde fuhr der königliche Wagen mit dem Generale und dem Adjutanten als Insassen – Boek mit den zwei Pistolen in der Tasche saß auf dem Sitze neben dem Kutscher – durch das Schloßportal dem Köpenikerfelde zu.

„Wrangel kommt. – Nieder mit ihm!“ tönte es im lärmenden Chore, als die Menge seiner ansichtig wurde. Aber er fuhr mitten in dieselbe hinein. Auf Einen aus der Masse deutend, der ihm der Vernünftigste schien, sagte er:

„Mit Sie will ich sprechen.“

Als nun der Sprecher hervortrat und im Verlaufe seiner kurzen Rede darlegte, daß die Zustände, so wie sie seien, auf die Dauer unmöglich bleiben könnten, daß etwas geschehen müsse, um das öffentliche Vertrauen zu befestigen, um Arbeit zu schaffen etc., antwortete ihm der General:

„Dann sind wir ja ganz einer und derselben Meinung: Es muß was geschehen, wenn alle bürgerliche Ordnung nicht zu Grunde gehen soll. Nur, glaube ich, sind wir über die Wege verschiedener Ansicht. Ich meine, der Ihrige führt zur Anarchie, der meinige aber zur Rückkehr gesellschaftlicher Ordnung.“

In dieser Weise sprach er in seiner drastischen Art weiter, und das Ende war, daß Boek den Hahn an seinen Pistolen in Ruhe lassen konnte und der gehaßte Mann von den Volksmassen

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