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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Männern so verschiedenartigen politischen Charakters wunderten, wußten allerdings nicht, daß am Morgen des entscheidenden Tages, welcher der Ausgangspunkt für eine Reihe festländischer Revolutionen werden sollte, Ledru-Rollin alle seine Ueberredungsgabe bei Lamartine zu Gunsten der republikanischen Sache angewandt, ihn bestürmt, gebeten, ihm im Namen der Massen die Hauptstellung in der neu zu schaffenden Regierung angeboten, und ihn schließlich überzeugt und für sich gewonnen hatte. Diese Thatsache habe ich aus Ledru-Rollin’s eigenem Munde. Sie erklärt zum großen Theil den sogenannten Edelmuth, den Lamartine im Mai 1848 vor der reactionärgesinnten Versammlung zeigte, als er darauf bestand, daß Ledru-Rollin’s Name auf die Liste der Mitglieder des Vollzugs-Ausschusses gesetzt werde. Lamartine erinnerte sich dabei einfach, daß seine eigene Stellung im Februar 1848 wesentlich durch Ledru-Rollin geschaffen worden war.

In der provisorischen Regierung nahm Ledru-Rollin den Posten als Minister des Innern ein. Als solcher entwickelte er bedeutende Thätigkeit. Louis Blanc, dessen sozialistische Richtung von der mehr jakobinischen seines Amtsgenossen einigermaßen abwich, sagt in seinen „Geschichtlichen Enthüllungen“, Ledru-Rollin sei ausnehmend für die ihm obliegende Pflicht tauglich gewesen, nämlich für die Betreibung der republikanischen Propaganda. „Schneller und durchdringender Geist, politische Thatkraft, durch eine offene und gewinnende Manier gemäßigt, ein glühender Wunsch, den Sieg des Freistaates zu sichern, in Verbindung mit einer rednerischen Fähigkeit der höchsten Art: solches waren die Eigenschaften, welche Ledru-Rollin zur Ausführung seiner Aufgabe mit sich brachte, und diese Eigenschaften waren bei ihm erhöht durch ein edel geformtes Antlitz, eine stattliche Figur, und einen gewissen magnetischen Einfluß, der, wenn er sprach, von seinen Geberden auszuströmen schien.“ Louis Blanc beschreibt Ledru-Rollin ferner als „eine wirklich künstlerische Natur, vertrauensvoll, edelmüthig, fähig einem Feinde mit freier Würde entgegenzutreten, aber nicht einen Freund zu beleidigen, und gerade deswegen unfähig, dem Einflusse derjenigen in seiner Umgebung zu widerstehen, die in ihren Abneigungen nicht immer gerecht oder aufgeklärt waren.“

Andererseits scheut sich Lord Normanby nicht, in seinem mehr als oberflächlichen Buche, das so viele gehässige und falsche Anklagen enthält, Ledru-Rollin als einen „echten Pöbelredner, von ruinirtem Vermögenszustande“, darzustellen. Die Wahrheit ist, daß er einer der ausgezeichnetsten, bestunterrichteten und redegewandtesten Anwälte war, ein Rechtskundiger von Bedeutung, und daß er in der Kammer großen Eindruck gemacht hatte, trotz der lärmenden Kundgebungen seiner Widersacher. Was seinen „ruinirten Vermögenszustand“ betrifft, so ist dies eine lächerlich falsche Angabe. Gleich Barbès war Ledru-Rollin im Gegentheil von nicht gewöhnlicher Wohlhabenheit. Durch die Ereignisse von 1848 bis 1849 erlitt er Einbußen; in der Verbannung lebte er einige Jahre in bescheidenen, doch keineswegs etwa beengten oder gar dürftigen Verhältnissen. Später ordnete sich Alles wieder: er bewohnte dann in Saint John’s Wood, in London, eines der Häuser ersten Ranges. Dabei besaß er eine Anzahl Häuser in Paris, einen Landsitz in Fontenay-aux-Roses und Güter in der Provinz, was Alles noch im Besitze seiner Wittwe ist, von der das Meiste herstammt.

Louis Blanc schreibt darüber in dem ausgezogenen Werke: „Herr Ledru-Rollin war reich, als die Revolution ausbrach. Von persönlichem Gesichtspunkte aus hatte er nichts dabei zu gewinnen; im Gegentheil, er hatte Alles zu verlieren. Irgendwelcher Gedanke an die Störung, welche ein so gewaltsamer Umschwung im Staate auf seine Vermögensumstände ausüben konnte, veranlaßte ihn jedoch keinen Augenblick zu zögern.“ Und weiter sagt Louis Blanc: „Lord Normanby ist ein romanhafter Schriftsteller; aber ich möchte ihm bedeuten, daß der Beweis, oder der Mangel an Beweis, welcher für eine Novelle genügt, nicht genügend ist für ein geschichtliches Werk.“

In einigen nach seinem Tode veröffentlichten Darstellungen ist Ledru-Rollin’s Bild andererseits durch eine ganz außerordentliche Verwirrung der Thatsachen in’s Schwanken gebracht worden. Es wurde unter Anderem gesagt, er sei in Folge der blutigen Juni-Erhebung des Jahres 1848 verbannt worden, und auf fremdem Boden habe ihn wohl der Gedanke gequält, daß auf ihm zum Theil die Verantwortlichkeit für den Sieg des Zweiten Kaiserreichs ruhe. Beide Angaben könnten nicht falscher gedacht werden. Weit entfernt, in den Aufstand vom 23. bis 26. Juni 1848 verwickelt gewesen zu sein, traf er mit Cavaignac, Garnier-Pagès und Arago die Maßregeln zur Bekämpfung der Aufständischen, die zwar unter proletarischem Banner sich erhoben hatten, aber insgeheim durch royalistische und bonapartistische Sendlinge aufgestachelt, da und dort sogar von ihnen geführt waren. Unverwerfliches Zeugniß für diese Thatsache ist in den Schriften eines entschiedenen Republikaners, Victor Schoelcher’s, und eines social-demokratischen Führers, Louis Blanc’s enthalten. In den „Geschichtlichen Enthüllungen“ Louis Blanc’s kann man sogar einen Brief lesen, welchen Ludwig Napoleon von London aus an den General Rapatel vor Beginn jener Schreckensereignisse schrieb, um den Aufstand wo möglich für sich auszubeuten.

Was die angebliche Verantwortlichkeit Ledru-Rollin’s für den Sieg des Zweiten Kaiserreichs betrifft, so ist diese Behauptung so thöricht, wie sie nur sein kann. In Gemeinschaft mit Lamartine sah gerade er die Absichten des Napoleoniden klar voraus, ehe dieser noch 1848 den Fuß auf den Boden Frankreichs gesetzt hatte. Zusammen mit Lamartine, der, wie man auch sonst über ihn denken mag, in diesem Punkte richtig handelte, widerstand Ledru-Rollin mit aller Kraft der Aufhebung des Beschlusses, durch welchen Ludwig Napoleon an der Rückkehr verhindert war. Louis Blanc befürwortete damals aus verkehrtem Edelsinn die Aufhebung dieses Beschlusses. Er stimmte, wenn auch aus ganz anderen Gründen, mit der Mehrheit der National-Versammlung, welche insgeheim sich mit der Absicht trug, den Namen „Napoleon“ gegen die Republik zu verwerthen, jedoch das Werkzeug, nach gemachtem Gebrauche, wieder zur Seite zu werfen. Man weiß, wie diese seine politische Berechnung gelang. Ohne Zweifel hielt Louis Blanc selbst den Napoleoniden damals nicht für gefährlich. In der Verbannung, in England, nachdem der Decemberheld mittlerweile den Kaisermantel um die Schultern geworfen, zeigte mir Louis Blanc die Schrift „Ueber die Abschaffung des Pauperismus“, welche der Gefangene von Ham einst verfaßt. Die Schrift trug auf dem ersten Blatte, von Ludwig Napoleon’s eigener Hand, die Worte:

„A Louis Blanc, souvenir d'estime et d’amitié, de la part de l’auteur.

N.-L. B.“

Ledru-Rollin und Lamartine gelang es als Mitgliedern des Vollzugs-Ausschusses nicht, die Rückkehr Ludwig Napoleon’s zu verhindern. Am 13. Juni 1849 setzte indessen Ledru-Rollin Alles auf’s Spiel und opferte seine ganze Stellung, um den Sturz Napoleon’s zu erwirken. Daß der Versuch fehlschlug, war nicht seine Schuld. Jedenfalls hatte er die persönliche Genugthuung, sein Möglichstes gethan zu haben, um gerade die Wiederherstellung des Kaiserreichs zu hintertreiben.




Es war Ende Mai 1849, daß ich zum ersten Male mit Ledru-Rollin in Paris zusammentraf. Die deutsche Revolution hatte damals gerade einen neuen Anstoß erhalten. Ungarn stand in Waffen gegen das Haus Habsburg. Auf italienischem Boden war der Kampf noch nicht ausgetragen; der Papst war ein Flüchtling, Rom eine Republik.

Mit einem Mitgliede der Nationalversammlung, Dr. Friedrich Schütz, war ich im Laufe dieser Ereignisse in einer Sendung nach Paris gegangen, im Auftrage der Volksregierungen von Baden und Pfalz. Die Beglaubigungsbriefe lauteten, der Form nach, an den Präsidenten der französischen Republik. Bereits erwartete man jedoch den Ausbruch einer Bewegung, welche den Sturz Ludwig Napoleon’s herbeiführen sollte, der sich durch seinen bewaffneten Angriff auf die Unabhängigkeit Roms einer groben Verfassungsverletzung schuldig gemacht hatte. Man nahm an, daß in solchem Falle ein Verfahren auf Hochverrath gegen den treulosen obersten Beamten des Freistaates eingeleitet und daß der Führer der Bergpartei in der gesetzgebenden Versammlung zur Bildung einer neuen Regierung berufen werden würde. Da neue revolutionäre Bewegungen unfehlbar eine Rückwirkung auf Deutschland üben mußten, so lag es nahe, mit den hervorragendsten republikanischen Führern Frankreichs in Berührung zu treten. Nachdem wir einen Brief an Drouyn de

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_149.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)