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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


spielen darf – und in der That auch weiter spielt bis zum Ende seiner verfehlten Mission. König Heinzelmann hat nämlich sein unterirdisches Reich verlassen, um der Königin Romantik, die sich vor dem donnernden Eisen-Triumphwagen der Industrie zu ihm geflüchtet, eine treue liebende Seele zu suchen. Er findet die schöne Anna und verliebt sich in sie so gründlich, daß er darüber Alles, sein Reich sammt der Romantik vergißt. Wir kommen nicht aus einem bürgerlichen Haushalte hinaus, aber schon jetzt beleben ihn des Königs dienstbare Geister. Anna wohnt bei Onkel und Tante. Die Tante reist in’s Bad und übergiebt ihr die Wirthschaftsschlüssel. Das ist des Königs seligste Zeit. Unsere Illustration rührt aus ihr her: wie er dem Onkel den Kaffee kochen hilft! Wie schön hält er später das Garn zum Knaulwickeln! Da kommt die Tante wieder, Besuch dazu und endlich das Sängerfest und der Fremde ans Amerika, mit welchem Amor und Amoretten in’s Haus einziehen. Nun beginnt für den König der Liebe Leid: er sieht den Bund entstehen, die Verliebung, die Verlobung und sinkt bei der Trauung in Ohnmacht. Dennoch macht er auch noch die Hochzeitsreise mit – und rührender, ergreifender sind wenige Bilder, als das, wo er vor der Thür der Brautkammer Nachts auf einem Stiefelknechte sitzt und den Schuh der Geliebten weinend herzt! Erst am Meere, das er und sein Volk nicht betreten dürfen, erhält er den Scheidekuß – und weinend kehrt er in sein Reich zurück. – Aber – das Alles muß man sehen! Eine Beschreibung dieses wunderbaren Werkes würde einen ganzen Band füllen.[1]

Drei Jahre waren dahingegangen, seit Dores Mintrop der Geliebten „König Heinzelmann’s Liebe“ als Hochzeitsgeschenk dargebracht hatte. Ob seine Seele dadurch entlastet worden, daß er seiner Liebe Ausdruck zu geben verstand?

Wir sehen am Schlusse des Bilderdramas das Brautpaar selig im Arme der Liebe über’s Meer ziehen, der neuen Heimath entgegen – die Seele voll von Wonne, Lust- und Zukunftsgedanken. König Heinzelmann blieb einsam, gramzerrissen zurück.

Drei Jahre gingen dahin, und die Liebenden kehrten zurück. In der Heimath, auf der rothen Erde Westphalens, baute sich der Gatte ein Haus, das an den Wald lehnte und in das die Berge hineingrüßten. Hier, wo Beider Wiege gestanden, wurzelte ihr Glück und es erwuchs ihnen ein Röslein auf deutschem Grund: ein liebliches Kind, ein Mädchen. Er frug: „Wer soll Pathe sein?“

„König Heinzelmann soll Pathe sein,“ bat die junge Mutter bewegt.

Und sogleich ward ein Gevatterbrief von dem glücklichen Vater in die Kunststadt entsandt. Der Dores stutzte, als ihm die Kunde ward – er griff an die Stirn und meinte, er träume. – Aber drei Jahre sind eine lange Zeit und er sagte sich: „Du kannst sie mit Ruhe wiedersehen und – willst Pathe sein.“

An einem hellen, sonnigen Herbsttage zog durch einen stillen Waldweg der Pathe. Bald sah er das anmuthige Haus, zu dem ein Wiesenpfad führte, gefällig inmitten von Bäumen liegen. Eigene Gedanken über Das, was Alles hätte sein können, und wie es nun war, wollten nicht weichen. Er hatte sich im Wiesengrün niedergelassen und war in Sinnen versunken. Plötzlich sprang er auf und rief sich zu: „Sei ein Mann!“

Und festen Schrittes, den schönen Kopf hochgetragen, ja mit frohem Antlitze schritt er durch die Pforte, und mit wahrem Jubel tönte ihm „Dores. Dores!“ entgegen. Er hatte „Sie“ wiedergesehen und war fest geblieben. Die Taufe sollte stattfinden. Freunde und Verwandte in Festgewändern umstanden den reich mit Blumen umkränzten Tisch. Der Priester trat vor. Nun ward das Kindchen hereingebracht. Anna reichte bewegt dem Pathen das Töchterlein.

Es schlief. Er nahm es fast mit Ehrfurcht. Die kleine süße Last ruhte in seinen Händen. Er sah auf das weiche rosige Antlitz nieder, lange – lange. Da schlägt das Kind die Augen auf und sieht ihn an. Da war’s um ihn geschehen. Er wankt und zittert – Schwindel erfaßt ihn – er kann das Kind nicht mehr halten, reicht es der Mutter und stürzt weg – hinaus in’s Freie, – in den Wald!

Nicht lange, und der Tod neigte die Fackel. – Auf dem Todtenbette rief er aus: „O gütiger Gott, laß mich nur noch so lange leben, bis ich meine Aufträge ausgeführt habe; in meinem Geiste ist Alles fertig.“ – Aber der Tod gab keine Frist: der Künstler starb.




Erinnerungen an Ledru-Rollin.
Von Karl Blind.


In die erschütternden Ereignisse von 1848, aus denen sich die Geschichte des letzten Vierteljahrhunderts in schicksalsvoller Verkettung entwickelt hat, haben wenige Männer bedeutungsvoller eingegriffen als Ledru-Rollin, einer der hervorragendsten Führer der zweiten französischen Republik. Die näher mit den verborgenen Triebfedern der Ereignisse bekannt sind, schreiben sogar seinem Auftreten die eigentliche Entscheidung zu.

Als im Februar jenes Jahres die Straßen von Paris mit Barricaden bedeckt waren und Ludwig Philipp in Verkleidung, unter dem Namen „Mr. Smith“, nach England floh, blieb die Herzogin von Orleans, eine deutsche Prinzessin von Geburt, mit dem Herzoge von Nemours in Paris zurück, um einen letzten Versuch zur Rettung des Thrones zu machen. Im Abgeordnetenhause erschien sie unter dem Schutze der Herren Odilon-Barrot und Cremieux. Der erstgenannte liberale Vertreter, mit feierlicher Miene sich erhebend, führte sie mit den auf Rührung berechneten Worten ein: – „Die Juli-Krone ruht jetzt auf dem Haupte einer Frau und eines Kindes.“ Beifallsrufe begrüßten diese Aeußerung von den Bänken der Mittelpartei in der Versammlung.

Darauf erhob sich die Herzogin. Mit einer von Bewegung erstickten Stimme vermochte sie jedoch in kaum hörbarem Flüstern nur die Worte vorzubringen: „Meine Herren! mein Sohn und ich sind hierher gekommen …“, als sie, von dem um sie wogenden Lärm erschreckt, sich in Verzweiflung wieder niederließ. Dann folgten Auftritte wilden Getümmels. Das bewaffnete Volk brach in die Hallen der Versammlung. Rufe wurden laut: „Hoch lebe die Freiheit! Nieder mit den Halben! Nieder mit der Regentschaft!“

Noch war indessen Nichts entschieden. Zweifel über den schließlichen Ausgang der Erhebung beherrschten noch die Gemüther. In diesem Augenblick erschien Ledru-Rollin, bis dahin der Sprecher der äußersten Linken, in Begleitung eines Hauptmanns der Bürgerwehr, der keck eine Fahne, welche er trug, auf dem marmornen Gesims der Rednerbühne aufpflanzte und in Donnerworten der Versammlung zurief: „Die Macht der Kammer ist zu Ende: Vierzigtausend Bewaffnete umringen den Palast.“ Inmitten der daraus entstandenen Betäubung gelang es Ledru-Rollin’s Stentorstimme, die sofortige Errichtung einer provisorischen Regierung zu verlangen – „ernannt nicht durch die Kammern, sondern durch das Volk.“

Ihm folgte Lamartine, dessen erste Worte die Hoffnungen Derer wieder zu beleben schienen, welche eine Regentschaft erstrebten. Zu ihrem Schreck sprach sich jedoch auch Lamartine für Ledru-Rollin’s revolutionären Vorschlag aus. Von da an war die Ausrufung des Freistaates nur noch eine Frage der Stunden. Lamartine, der noch wenige Jahre vorher die Ansprüche der Herzogin von Orleans beredt vertheidigt hatte, Lamartine, der nicht an den radicalen Reform-Banketen theilgenommen, und „dessen aristokratische Natur“, wie Daniel Stern (Gräfin d’Agoult) in ihrer Geschichte der Umwälzung von 1848 sagt, „vor Handlungen volksmäßiger Gewaltthätigkeit zurückschreckte“: Lamartine im Bunde mit Ledru-Rollin! – das war der Gnadenstoß für das Haus Orleans.

Diejenigen, welche sich über das Zusammenwirken von zwei

  1. Kunsthändler Reinhardt in Dresden hat dieses große aus siebenzig Prachtblättern bestehende Werk erworben, und seinem Kunstsinn und seiner Pietät für den Verstorbenen ist es gelungen, die Vervielfältigung desselben so trefflich ausführen und ausstatten zu lassen, daß das vollendete Kunstwerk als ein würdiges Denkmal des so früh Vollendeten begrüßt werden kann.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_148.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)