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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


No. 8.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.


Das Capital.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Landeck stand und lauschte, elektrisirt, außer sich, wie an den Boden gefesselt, und doch mit unwiderstehlicher Macht gezogen, zu ihr hin zu eilen, ihr zu Füßen zu stürzen, ihr in flammenden Worten zu sagen, wie grenzenlos er sie liebe und wie er sein Leben dahin geben möchte für sie … da hielt sie plötzlich im Gesange inne und erhob sich rasch. Landeck trat hastigen Schrittes in den Salon, die tiefste Erregung in den Zügen. Malwine stieß einen leisen Schrei der Ueberraschung aus, auch ihre Augen blitzten wunderbar auf, und ihm entgegenfliegend warf sie sich an seine Brust.

„Gott sei gelobt!“ rief sie aus, „Sie bringen mir Rettung. Sie haben gesiegt, gesiegt – ich sehe es an Ihrem flammenden Gesichte. Sie haben mich befreit, Landeck, Sie … Sie …“

Und dabei drückte sie ihn stürmisch an sich.

Landeck stand wie vom Blitze getroffen, in unendlicher Seligkeit, daß das Weib, welches er liebte, so ihre Gegenliebe verrieth und voll Hingebung in seinen Armen lag, aber zugleich auch voll tödtlicher Beschämung. Er hatte ja gar nicht gesiegt; er hatte ja das Versprechen, das er ihr gegeben, als er zuletzt von ihr gegangen, noch nicht im Entferntesten erfüllt. Er hatte nicht einmal eine Vorstellung davon, wie er es erfüllen könne. Er hatte auch nicht das Mindeste gethan, um solche Dankbarkeit, solche Liebe, solch eine stürmische Hingabe zu verdienen. Er fühlte sich vernichtet, grenzenlos gedemüthigt durch Malwinens Wort, und durch den Ausbruch ihres Gefühls für ihn, in dem ja allein der Schlüssel zu dieser stürmischen Vertrauensseligkeit lag, wieder ebenso grenzenlos glücklich.

Er wußte nichts zu thun, als leise, scheu ihren Scheitel zu küssen – dann, seinen Arm um sie schlingend, sagte er halblaut:

„Malwine, Sie machen mich so selig, daß ich sterben möchte mit diesem Glücke im Herzen, dann brauchte ich Ihnen ja auch nicht das furchtbar demüthigende Geständniß zu machen, daß Sie sich irren, daß ich bis zu dieser Stunde nichts thun konnte, um …“

Sie fuhr wie von einer Schlange gestochen zurück.

„Daß Sie nichts thun konnten, nichts gethan haben,“ rief sie aus, „um mich aus der Lage voll Schrecken und Angst, in der ich bin, zu befreien, um dieser unerträglichen Empörung wider meine eigene erbärmliche Schwäche und Unvorsichtigkeit ein Ende zu machen, um mich endlich wieder aufathmen zu lassen? Sie haben nichts dazu gethan? … Und Sie stürzten doch von mir fort mit dem heiligen Schwure, mich retten zu wollen …“

Betroffen über diesen heftigen Vorwurf, der nun doch wieder so ungerecht war, stammelte er:

„Das will ich ja auch, gewiß will ich diesen Schwur halten, und der Himmel wird mir beistehen dazu. Für’s Erste handelt es sich aber nicht um das, was ich thun kann, sondern um etwas, das Sie thun sollen, um Ihre Hülfe und Dazwischenkunft; ohne die Ihr Vetter Rudolph verzweifeln muß. Sein Vater hat Alles erfahren, und sein Vater wird einen Schlaganfall bekommen, wenn …“

Malwine hatte sich längst abgewandt. Sie hatte sich wankenden Schritts zum Sopha zurückbegeben, und darin wie kraftlos zusammengesunken, drückte sie ihr bleich gewordenes Gesicht in die Kissen.

„Wenn,“ fuhr Landeck fort, „Sie nicht Hülfe bringen, wenn Sie nicht zu dem alten Manne gehen und ihm die Ueberzeugung geben, daß Rudolph nicht so schuldig ist, wie er glaubte –“

Malwine machte heftig und wiederholt eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

„Gehen Sie, gehen Sie!“ schluchzte sie, „ich will Sie nicht wiedersehen. Ich kann den Ton Ihrer Stimme nicht hören. Verlassen Sie mich!“

Landeck stand wie an den Boden geheftet. Er fühlte ein furchtbares Unrecht, das ihm angethan wurde, fühlte sich in der Höhe seines plötzlichen Glückes eben so plötzlich niedergeschmettert; daß das Gefühl der Beschämung in Malwine sich so herrisch und so verwundend an ihm ausließ, daß ihre Thränen die eines mit sich selbst unzufriedenen Kindes waren, wußte er im Augenblick nicht zu deuten, nicht zu verzeihen; es empörte ihn.

„Ich gehe ja,“ rief er aus, „und Sie können sicher sein, daß Sie mich nicht wieder sehen, bevor ich mein Gelübde gelöst habe, aber denken Sie an das, was ich Ihnen über Rudolph sagte, denken Sie an Rudolph, haben Sie mit ihm wenigstens Barmherzigkeit!“

Malwine antwortete nur durch eine abermalige, aber schwächere, langsamere Bewegung der Hand, ein wiederholtes Fortwinken.

Landeck ging. Er schritt die Verandastufen hinab, durch die Anlagen der Eichenallee zu, in einer schwer zu beschreibenden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_125.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)