Seite:Die Gartenlaube (1875) 090.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


aber sie könne vor dem morgigen Abende unter keinen Umständen ankommen; die Freunde, die, wie er gehofft, eine so große Summe ihm sogleich vorstrecken könnten, seien augenblicklich nicht in der Lage; also müsse meine Casse aushelfen bis zum Abend des folgenden, vielleicht auch bis zum Morgen des dritten Tages. Herr von Haldenwang sende ihn deshalb zu mir.

Ich fuhr stutzig zurück. ‚Woran denken Sie! Das darf ich nicht – daran ist nicht zu denken!‘ rief ich mit einem Tone aus, als wär’ ich über diese Zumuthung vollständig entrüstet. Aber ich war nichts weniger als das. Daß Herr von Haldenwang einen solchen Dienst von mir geleistet haben wollte, daß ich ihm so wesentlich nützen konnte, und dadurch auch Malwine verpflichten, die immer die Güte selbst für mich gewesen, hatte etwas Verführerisches für mich. Gefahr war ja auch nicht bei der Sache. Herr von Haldenwang war ein reicher Mann; Niemand wußte das besser als ich, sein nächster Landsmann, der als Junge so manchen Stecken in seinen Wäldern geschnitten, so manches Vogelnest in seinen Hecken ausgenommen – ich rief deshalb noch einmal: ‚ich kann und darf das nicht ohne den Principal, und der Principal ist auf zwei Tage verreist,‘ war aber schwach genug, auf die Suada zu horchen, womit Maiwand mich jetzt überschüttete, um mir zu beweisen, daß ich meinem demnächstigen Verwandten, dem Baron, einen solchen Dienst gar nicht abschlagen dürfe und könne, daß dies ja den Bräutigam Malwinens auf ganz gefährliche Gedanken bringen könne, ihn, der durch seine Verbindung mit einer so viel niedriger gestellten Familie diese in so hohem Grade ehre und nun nicht einmal bei einer kleinen Dienstleistung auf sie zählen könne, daß es ja alle seine Gefühle erkälten müsse, daß ich nicht die Naivetät haben werde, dem Baron Haldenwang in’s Gesicht sagen zu lassen, ich, der junge Kaufmannscommis, vertraue ihm, dem vornehmen, hochstehenden Manne, nicht ein mäßiges Capital auf zweimal vierundzwanzig Stunden an, und so weiter, und so weiter – kurz, ich war so schwach, ihn zu hören, und endlich so schwach, ihm nachzugeben; ich öffnete meine Casse und zahlte ihm in Gold und guten Banknoten neuntausendfünfhundert Thaler auf den Tisch, die er eilfertig in seiner Brusttasche barg. Und dann war ich obendrein noch solch ein Thor, ihm den Gefallen zu thun, zu schwören, daß ich von der Sache Niemand auf Erden ein Wort sagen würde, Niemand, denn, betheuerte er, der Baron Haldenwang sei in äußerster Sorge, daß Malwine von der Sache erfahre, diese würde dann sicherlich glauben, er sei ein Spieler, was er doch sonst gar nicht sei, und dann würde sie ihm ihre Hand wieder entziehen, und das würde er nicht überleben, sondern sich alsdann eine Kugel durch den Kopf jagen. Als ich Maiwand auch darüber beruhigt und Alles, was er verlangte, geschworen hatte, entfernte er sich eilig – mit seinem Raube, von dem ich nie einen Thaler wieder gesehen habe.“

„Ah,“ rief Landeck aus, „das ist ja ganz und völlig unglaublich!“

„Und doch ist es so – doch sage ich Ihnen die einfache Wahrheit … ich habe nie von Herrn von Maiwand diese Summe, noch auch den geringsten Theil davon zurückbekommen. Gleich nachdem Maiwand gegangen war, hatte ich wie eine innere Ahnung meines Verlustes. Eine große und stets wachsende Sorge überkam mich, die ich mir freilich als eine Thorheit vorwarf, die sich jedoch nicht beschwichtigen lassen wollte und die in eine wahre Verzweiflung überging, als am Morgen, am Vormittage, ja auch am Nachmittage des dritten Tages kein Herr von Maiwand in meinem Cassenlocal erschien. Als die Geschäftsstunden zu Ende waren, rannte ich zu ihm. Er war nicht zu Hause. Umsonst hielt ich auf der Straße vor seiner Wohnung Wacht. Er kam nicht. Ich hätte mich in den Fluß stürzen mögen, über dessen Brücke ich spät in der Nacht in mein Quartier heimkehren mußte. Auch am andern Tage erschien Maiwand nicht im Geschäftslocal und war am Abende nicht in seiner Wohnung zu finden. Nur einen Brief von ihm erhielt ich in der ersten Morgenstunde des folgenden Tages.

‚Der verwünschte Rentmeister,‘ lauteten diese Zeilen, ‚hat meinen Vetter im Stiche gelassen; er fordert drei Wochen Zeit, das Verlangte flüssig zu machen. Verfluchte Geschichte das! Ich laufe unterdeß beim Volke Israel umher, um meinem Vetter das Nöthige zur Deckung der Schuld aufzutreiben. Also nur ein wenig Geduld und keine Sorge! Ihr M.‘

Keine Sorge! Ich sollte keine Sorge haben! Welche Vorstellung hatte dieser Mensch von der Ordnung und Pünktlichkeit eines kaufmännischen Geschäfts, von der Möglichkeit, eine solche Zahlung, wie ich sie ihm gemacht, so lange dem Chef verborgen zu halten, bis er mit seinem ‚Volke Israel‘ zurecht gekommen! Am folgenden Tage war Samstag; an diesem Tage pflegte der Chef die Casse zu revidiren und mit dem Cassirer zu besprechen, wie viel man von den Baarbeständen auf die Bank senden, oder je nach den Bedürfnissen der nächsten Woche am Montag aus der Bank werde holen lassen müssen. Ich konnte nicht abwarten, daß man bei dieser Gelegenheit das Deficit entdecken werde; ich mußte, wenn ein Fünkchen Ehre in mir war, die Sache vorher meinem Chef ankündigen – und dazu hatte ich nun wieder die Stirn nicht. So lief ich denn in meiner Noth zu dem einzigen Menschen in der ganzen Stadt, auf dessen Theilnahme ich in dieser Sache rechnen konnte – zu Malwinen. Ich brach in meiner Noth den Schwur, den ich Maiwand geleistet; ich sagte Malwinen Alles.

Wie sehr sie erschrak, brauche ich Ihnen nicht zu schildern. Für sie hatte die Sache zwei fatale Seiten. Zu der Noth des Vetters, der ihr seine Verzweiflung ausschüttete und dabei so entschlossen schien, sich zu erschießen, kam für sie die Entdeckung, daß sie vielleicht die Braut eines Spielers sei, daß sich für sie das so häufige Schicksal berühmter Sängerinnen wiederholen zu sollen schien; sie hielt sich die Namen aller Derer vor, die, von einem aristokratischen Namen und der Aussicht auf eine glänzende Lebensstellung verlockt, sich einem Manne vermählten, der sie später durch seine Spielwuth ruinirte. Erst nach langer heftiger Erregung fand sie die Ruhe wieder, einen Entschluß in der Sache zu fassen.

‚Es thut uns große Vorsicht noth, Rudolph,‘ sagte sie. ‚Zuerst kommt es darauf an, Dich zu retten – vor der Entehrung, vor der gerichtlichen Bestrafung. Aus dieser Gefahr muß ich Dich retten; ich will sogleich zu Deinem Chef fahren und mit ihm reden. Ich werde ihm sagen, daß ich die fehlende Summe in kurzer Zeit mit meinem eigenen Vermögen ersetzen werde …‘ ‚ Aber mein Gott, wie könnte ich das zugeben!‘ fiel ich heftig ein.

‚Weißt Du das Geld auf anderem Wege zu beschaffen? Oder soll Dein Chef, dieser brave vertrauensvolle Mann, der so viel Güte für uns Beide hatte, durch uns um das Seinige kommen, durch uns? Da ist also nichts anderes zu thun. Ich schreibe noch heute an den Onkel Gottfried, meinen Vormund, daß ich die Auslieferung meines Vermögens verlange. Von mir vor einem Verlust gesichert, wird Dein Chef dann Nachsicht haben und sich damit begnügen, Dich im Stillen und ohne öffentliche Kränkung Deiner Ehre zu entlassen. Was aber Haldenwang angeht, so muß ich durchaus wissen, ob dieser Mann einmal und zufällig ein großes Spielunglück hatte, oder ob er überhaupt von der Leidenschaft des Spiels besessen ist. Ist das letztere der Fall, so breche ich mit ihm. Das steht unerschütterlich bei mir fest. Um der Sache auf den Grund zu kommen, muß ich ihn beobachten lassen. Die Werkzeuge dazu werde ich finden. Von dieser Angelegenheit werde ich ihm keine Silbe sagen. Es wäre thöricht, ihm zu verrathen, daß ich hinter diese Sache gekommen; er würde klug genug sein, sich alsdann zu beherrschen; es würde mir unmöglich gemacht werden, die Wahrheit zu entdecken. Also darüber tiefes Schweigen. Und nun zu Deinem Chef. Du fährst mit mir zu ihm und gehst dort in Dein Geschäftslocal, bis er Dich rufen läßt; sei guten Muths! Ich werde ihn beschwichtigen.‘

Malwinens Entschlossenheit und Klarheit aber das, was zu thun, hatte mir meinen Lebensmuth wiedergegeben. Ich habe sie nie mehr bewundert, als in jener Stunde. Ich weiß, welch tiefes Gemüth Malwine besitzt, und nie zeigte sich dies mir mehr, verehrungswürdiger, als jetzt, wo sie so ohne jedes Bedenken ihr ganzes Vermögen dahin gab, um mich vor dem Untergange zu retten, und ihrem Bräutigam ein solches Opfer verschweigen wollte. Wie erbärmlich und verächtlich kam ich mir vor, daß ich mich in die Lage gebracht, ihr Opfer annehmen zu müssen, daß sie dabei noch Alles that, mich aus meiner Zerschmetterung aufzurichten, indem sie mir wieder und wieder sagte, sie sei verpflichtet, so gegen mich zu handeln, weil ich ja doch das Geld nur ihr zu Gefallen hergegeben, weil es mir ja

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_090.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2020)