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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


schlimmeren Waffen, als Spott und Hohn. Die Verletzungen durch sie vermindern die Zahl der fanatisirten Gegner nicht um einen Mann, aber sie verschärfen die Erbitterung und wandeln immer mehr den Kampf in einen Krieg mit vergifteten Waffen um. Nur ein Mittel giebt es, um nach und nach auch dieser Kriegslist ihre Gefährlichkeit zu nehmen: man beweise die Unmöglichkeit des gefeierten Wunders! Und wenn solch ein Beweis noch so vereinzelte Erfolge gewinnt, er dringt doch vorwärts, der unaufhaltsam rinnende Tropfen Wahrheit muß endlich den Granit des Aber- und Wahnglaubens besiegen, wenn man nicht am stetigen Fortschritte des Menschengeschlechts verzweifeln soll.

Wir haben, von diesem Standpunkte aus, mit Freude die Flugschrift des Spitalarztes Dr. B. Johnen in Düren begrüßt, die sich's zur Aufgabe gestellt, auf ruhigem, wissenschaftlichem Wege die bekannten und einflußreichsten Berichte der Professoren Lefebvre und Rohling und unseres deutschen Reichstags-Ultramontanen Majunke in ihrer Haltlosigkeit darzulegen und das Wunder als Täuschung zu entlarven. Um dieser ehrlichen und würdigen Kampfesweise womöglich noch durch eine authentische Illustration zu Hülfe zu kommen, beauftragte die „Gartenlaube“ einen belgischen Künstler, Herrn L. von Elliot, den Schauplatz und die Hauptpersonen des stigmatischen Wunderspiels zu zeichnen. Trotz anscheinlich genügender Empfehlungen fand derselbe jedoch keinen Zutritt zu dem trefflich bewachten Geheimniß; in Ermangelung eines Einblicks in das Innere des Stigmatisationshauses bietet er uns den Anblick des Aeußern, und zwar wie es vor dem Hause an dem Freitage, an welchem er die Wallfahrt zu dem Wunder gewagt, Nachmittags um zwei Uhr ausgesehen und hergegangen.

Wir sehen auf den ersten Blick auf unsere Abbildung, daß die geistliche Vertretung hier nichts zu wünschen übrig läßt. Dieses Haus bildet einen Hinterhalt im Glaubenskampfe, dem eine tüchtige Besatzung nicht fehlen darf. Wir sehen aber auch, mit welcher Strenge die äußerste Vorsicht hier geübt wird. So hoch nämlich schätzt man den Werth des so glücklich blühenden Wunders, daß der Zutritt zu Louise Lateau Niemandem gestattet ist, der nicht eine bischöfliche Erlaubnis dazu mit zur Stelle bringt. Unser Bild deutet an, daß soeben eine offenbar nicht gewöhnliche Gesellschaft mit Geschirr angekommen ist, aber ebenso deutlich erscheint die abweisende Handbewegung des priesterlichen Wachtpostens: „Ohne Schein – nicht hinein!“ Die übrigen Gruppen erklären sich selbst. Uebrigens entzieht sich die Lateau dem Auge der Oeffentlichkeit nicht ganz: sie besucht jeden Morgen die Messe in der Dorfkirche, um die geweihte Oblate zu genießen, in welcher angeblich ihre einzige Nahrung bestehen soll. Am Schlusse des Gottesdienstes eilt sie jedoch im raschesten Laufe ihrem Hause wieder zu.

Wenn auch unserm Künstler der Zutritt zur Wunderperson selbst versagt war, so ist dies trotz der priesterlichen Wachsamkeit durch einen andern, und zwar sehr scharfen Beobachter gelungen, dessen Bericht hierüber in der „Magdeburger Zeitung“ wir das hier Nothwendigste entnehmen. Bekanntlich besteht die Stigmatisation darin, daß der Leib eines Menschen sämmtliche Wundenmaale (griechisch Stigmata) zeigt, welche Christus bei der Geißelung, Kreuztragung und Kreuzigung erhalten, und daß diese Wunden zu bestimmten Zeiten, namentlich an jedem Freitage und hohen Festtage, bluten.

Treten wir nun mit Herrn M. L. in das Zimmer der „Heiligen“, wie sie bereits vom Volke genannt wird. Es ist sehr klein und einfach, jedoch nicht ohne Geschmack eingerichtet. An der Langwand steht ein Bett, die Lagerstätte der „Gottbegnadigten“. In der der Thür entgegengesetzten Mauer befindet sich ein Fenster, das einzige des ganzen Kämmerchens. Durch dasselbe fällt das Licht nur spärlich herein, weshalb auch sogar im Sommer eine Art Halbdunkel in dem engen, niedrigen Raume herrscht.

Louise Lateau sitzt auf einem Sessel und nimmt, da sie in Ekstase ist, von unserem Eintreten gar keine Notiz. Sie zählt jetzt etwa vierundzwanzig Jahre, sieht aber viel jünger aus, zumal ihre Figur nur mittelgroß ist. Die etwas coquett frisirten Haare sind blond; das Gesicht macht auf den Beschauer keinen unangenehmen Eindruck, wenngleich die früher von Geistlichen gemachten Schilderungen über die „wunderbare, engelgleiche Schönheit“ der Stigmatisirten stark übertrieben sind. Die Züge sind weniger als schön, denn als interessant zu bezeichnen; der Mund ist außergewöhnlich klein; die Lippen sind roth und schwellend. Wenn letztere sich öffnen, was während der Ekstase mehrfach geschieht, zeigen sich sorgfältig gepflegte, schneeweiße Zähne. Die großen, blauen Augen verrathen einen bedeutenden Grad von Intelligenz; die langen Wimpern geben der ganzen Physiognomie einen etwas träumerischen Anstrich. Die Taille Louisens ist sehr schlank und wird durch den Schnitt des Kleides vortheilhaft hervorgehoben. Letzteres harmonirt auch in Beziehung auf die Farbe mit der ganzen Gestalt und Rolle Louisens. Im Allgemeinen läßt sich sagen, daß sie von der Natur mit einem im Vergleiche zu ihrer Umgebung ungewöhnlichen Maße von körperlichen Vorzügen ausgestattet ist.

Wie bereits erwähnt, sitzt Louise während des Anfangs der Ekstase auf einem Sessel, und zwar hält sie sich völlig unbeweglich, als wenn sie aus Stein ausgehauen wäre. Das Gesicht ist nach oben gerichtet. Die Augen sind weit aufgerissen und starren auf einen Punkt, wie es schien, in eine Ecke des Plafonds. Von den Umstehenden erfahren wir, daß dieser Zustand längere Zeit andauern werde; wir haben daher noch Muße, uns die Stigmata anzusehen.

Durch eine anscheinend unwillkürliche Bewegung verschob sich das Tuch, welches um die auf dem Schooße liegenden schneeweißen, ungewöhnlich kleinen Hände gewickelt war, und ermöglichte den das ganze Zimmer anfüllenden Besuchern die Betrachtung der betreffenden Wundenmaale. Die übrigen Wunden, ausgenommen die Kopfwunden, entziehen sich natürlich der Beobachtung des Publicums. Letzteres, welches Blut, recht viel Blut zu sehen gekommen ist, kann solches in reichlichem Maße an der Bettwäsche, dem Sessel und auf dem Boden des Zimmers wahrnehmen. Zur Vermehrung des Effectes ist auch blutige Leinwand den Blicken der Neugierigen ausgestellt.

Auf der Außenfläche der linken Hand bemerken wir ein etwa drei Centimeter langes und zwei Centimeter breites Oval, das anscheinend die Quelle des den größten Theil der Handfläche bedeckenden Blutes ist. Etwas kleiner ist das auf der inneren Handfläche liegende Stigma. Auch aus der rechten Hand kommt Blut, jedoch in ganz unbedeutender Menge. Noch geringer ist die Blutung aus den Kopfwundenmaalen. Diese befinden sich auf der Stirn und rings um den Kopf herum. An den mit Haaren bewachsenen Stellen ist außer einigen trockenen Blutkrusten nichts bemerkbar. An der Stirn nimmt man einige halbvertrocknete Blutstropfen wahr. Im weiteren Verlaufe der Ekstase wird die Stellung verändert, und diese Tropfen beginnen, so weit sie inzwischen noch nicht vertrocknet sind, nach dem Gesetz der Schwere abwärts zu fließen und nehmen ihren Weg über Wangen und Hals herab. Herr M. L. wollte einige Tropfen Blutes auffangen, um nachher sie einer mikroskopischen Untersuchung unterziehen zu lassen; seine Bitte wurde ihm jedoch rundweg abgeschlagen. Uebrigens geben die Kopfstigmata dem Gesichte der Ekstatischen einen widerlichen Ausdruck: man glaubt ein mit Opferblut beschmiertes Götzenbild vor sich zu haben. –

Während der Ekstase betrachtet die Stigmatisirte die Lebensgeschichte Christi. Den heiteren oder düsteren Momenten derselben entsprechend, wechseln Physiognomie und Stellung. Bald sieht man sie lächeln, bald weinen; jetzt ist sie heiter, jetzt wieder ernst. Daß der Körper übrigens nicht unempfindlich sei, bewies auf ganz einfache Weise eine freche Fliege; als diese plötzlich am Auge Louisens vorbei summte, zuckte sie kaum merklich zusammen.

Allmählich begann sich die ganze Gestalt zu beleben; sie drehte sich nach rechts und links; plötzlich erhob sie sich und beugte sich vorwärts, als ob sie ein uns anderen Sterblichen unsichtbares Etwas haschen wollte. Jede Bewegung, jeder Seufzer, jeder Auf- und Niederschlag der Augen zeigt, daß sie in nicht geringem Grade ihre Mienen und Geberden zu beherrschen und mit Hülfe derselben auf die anwesenden Gläubigen jeden gewünschten Eindruck hervorzubringen weiß, mit Einem Worte, daß an ihr eine Schauspielerin verloren gegangen ist.

Endlich setzte sie sich wieder mit einem gewissen theatralischen Anstand. Einige der Herren zogen die Uhr; der Haupteffect sollte jetzt zur Darstellung kommen: der Fall auf die Erde. Die Ekstatische erhob sich schnell, stand einen Moment gerade und warf sich der Länge nach auf den Boden und zwar so, daß der Rücken nach oben schaute. Dabei versäumte sie nicht, beim

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_086.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)