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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

warm pulsirende Leben, das Sie Ihren Gestalten, Ihren Naturbildern einzuhauchen wissen; man liest nicht mehr eine spannende Erzählung, man lebt und athmet mit Liane und Mainau und macht ihre Gemüthsbewegungen zu seinen eigenen.“ „Ja, hochverehrte Frau, Sie haben mir und den Meinen den langen, langen, hier in unserem Fabrikdorfe zwischen den Glarnerbergen sehr einförmigen Winter und die Arbeiten des Frühlings in einer Weise verschönt und versüßt, daß wir wie im Traume in den Sommer hineingerathen sind.“ –

Die Briefschreiberin hat zwei alten verwandten Damen, von welchen die eine blind ist, E. Marlitt’s Werke vorgelesen. „Bei der Vorlesung der ,Zweiten Frau‘ wünschte ich oft, die gefeierte Verfasserin könnte ungesehen den kleinen bescheidenen Kreis in der alterthümlichen Glarnerstube mit ihren Wandschränken von polirtem Nußbaumholze belauschen; sie hätte wahrscheinlich leise gelächelt über ihre lebhaften Leserinnen, aber sie wäre vielleicht nicht ganz unbefriedigt weggegangen. Das Entzücken der beiden alten Damen war geradezu unaussprechlich. Mariechen aber, meine kleine Nichte, konnte gar nicht begreifen, was in die Großmama und die Tanten gefahren sei; so hatte sie sie noch nie gesehen, bald in athemloser Spannung, bald in stürmischer Erregtheit, in einer Begeisterung ohne Gleichen. Das Kind schlich auf den Zehenspitzen vor lauter Respect und warf scheue Blicke nach den so seltsam veränderten Frauen. – Und als endlich das letzte Wort verklungen, als wir Liane verlassen, wie sie glücklich lächelnd in die Zukunft sah, da bemächtigte sich unser ein Gefühl, als hätten wir soeben Abschied genommen von einem lieben Freunde, der uns durch seine Gegenwart das Leben verschönt für eine Zeit lang und nun unseren Blicken entschwunden ist. Als ich die Absicht kundgab, der Dichterin meinen Dank auszusprechen, da leuchtete es auf in dem lieben guten Gesicht der Blinden und sie bat dringend, auch ihren Dank nicht zu verschweigen für die vielleicht letzten Lebensfreuden, mit denen Sie ihre lange Nacht beglückt hätten.“

Dieselbe hohe Verehrung, wie die freie junge Schweizerin, bringt unserer Dichterin eine für die Erhebung des weiblichen Geschlechts auf „neuen Bahnen“ kämpfende deutsche Frau in G… entgegen. Sie hat bisher vergeblich erwartet, daß E. Marlitt die moderne Frauenfrage zum Gegenstand eines Romans wähle. „Sie selbst, verehrtes Fräulein,“ führt sie fort, „stehen so hoch über dem Niveau dessen, was Frauen durchschnittlich leisten und zu leisten vermögen, und auch die Frauengestalten Ihrer Muse – ich meine nicht die nach dem Leben in ihren Mängeln und Schwächen treffend gezeichneten, sondern diejenigen, welche als wahre Kinder Ihres Geistes Sie unverkennbar mit dem Hauche Ihres eigenen Wesens beseelt haben – Ihre Goldelse, Gisela, Liane – das sind Erscheinungen, welche so wenig dem alltäglichen Frauentypus und der hergebrachten (selbst dichterisch idealen) Anschauung von Frauenart und Frauenbegabung entsprechen, daß damit in doppelter Hinsicht Ihre Verwandtschaft mit den modernen Bestrebungen zur Hebung des weiblichen Geschlechts nahe gelegt ist. Ihre selbstständig denkenden, urtheilenden und handelnden Frauen, durchgebildete Charaktere, den niederen und höheren Anforderungen des Lebens gewachsen, wie sie sind, gleicherweise fähig und willig, im ernsten Berufsstreben Stütze und Halt in sich selbst zu finden, wie auch, von einer geliebten Hand sanft geleitet, beseligt durch’s Leben zu gehen: das sind eben selbst weibliche Erscheinungen, deren Heranbildung wir für die Emancipation unseres Geschlechts Eintretenden von dem Fortgang unserer Bestrebung erhoffen. Sollten Sie vielleicht mit Absicht sich darauf beschränkt haben, zur Lösung der schwebenden Frauenfrage anregend beizutragen, indem Sie weibliche Charaktere schufen, welche als ideale Vorbilder zeigen sollten, wie harmonisch die vollständige Selbstständigkeit der Frau in Einklang stehen könne mit dem Zauber edelschöner Weiblichkeit – die man seither nur zu häufig identificirte mit Urtheilslosigkeit und Schwäche?“

An diese aus den gelehrten Frauenkreisen aufgeworfene Frage wüßten wir aus den vorliegenden Briefen nichts Anmuthigeres zu reihen, als die treuherzigen Worte einer einfachen deutschen Mutter, einer „Landsmännin“ in Amerika. Da heißt es: „Seit ich den Schluß Ihrer ,zweiten Frau‘ gelesen, drängt es mich, Ihnen meinen Dank dafür zu sagen. Ich kann’s Ihnen gar nicht ausdrücken, wie groß meine Freude ist, wenn mir angezeigt wird, daß bald wieder etwas Neues von Ihnen erscheint. Wenn es wirklich beginnt und die neue ,Gartenlaube‘ kommt, da wird Alles stehen und liegen gelassen und nur gelesen, was sonst nicht der Fall ist. Alle, die Ihre Werke lesen, sagen: es ist Alles so natürlich, man glaubt den Personen (der Erzählungen) schon einmal im Leben begegnet zu sein. Wenn ich Ihnen nur so recht klar meine Freude darüber schildern könnte! Vielleicht verstehen Sie’s, wenn ich Ihnen sage, daß ich mich auf jede Fortsetzung freue wie als Kind auf den Weihnachtsabend. Als ich einer meiner Schwestern am Ohio schrieb: ,wie gefällt Dir „die zweite Frau“? da antwortete sie: ,Wenn die „Gartenlaube“ kommt, stürze ich darüber her, verschlinge die Fortsetzungen mit wahrem Heißhunger, und dann lese ich sie noch einmal mit Verstand und großem Wohlbehagen.‘ Es ist Ihnen vielleicht nichts Neues, zu hören, daß viele Kinder nach Ihren Geschichten getauft werden, und dies von Amerikanern noch mehr, als von Deutschen; jetzt werden die Lianen in die Mode kommen.“

Diesen brieflichen Herzensergüssen schließen wir in möglichster Kürze noch einige andere Betätigungen der Hochachtung und Verehrung für E. Marlitt an, für deren Richtigkeit wir die besten Zeugen aufstellen können. Eine ansehnliche Ueberraschung kam aus Californien in Gestalt einer Kiste dortigen Weines. Ein reicher Verehrer am Rhein schmückte ihren Garten mit den herrlichsten Blumen und seltensten Pflanzen, und nicht weniger erfreute sie eine Sendung prächtiger Alpenblumen aus Interlaken; viele andere sinnige und werthvolle „Dankeszeichen“, besonders aus Frauenhänden, schmücken das Arbeitszimmer der Dichterin. In den Alpen war’s auch, wo einem St. Galler hoch auf Luciensteig, der Schweizerveste, im Wirthshaus als interessanteste Neuigkeit verkündet wurde, daß die „Gartenlaube“ angekommen sei. „Sehen Sir,“ hieß es, „dort liegt ,Die zweite Frau’!“ – Mit derselben Ernsthaftigkeit rief auf der Thüringer Eisenbahn ein Reisender, der von Leipzig kam, einem Bekannten zu: „Wissen Sie’s schon? ,Die alte Mamsell‘ ist todt!“ Und es knüpfte sich zugleich an diese Nachricht die aufrichtige Bedauerniß, „daß es mit dieser prächtigen Frau schon aus sei.“ So leben die Marlitt’schen Gestalten wirklich im Volke, und es ist daher nicht zu verwundern, daß die Verehrung für die Dichterin in der verschiedensten Weise zum Ausdruck kommt. Nicht selten, namentlich wenn eine oder die andere der jetzt blühenden Wanderversammlungen in Arnstadt weilt, ertönen huldigende Gesänge hoch am Hügel vor dem stattlichen Bergschlößchen „Marlittheim“, und dies beschränkt sich nicht etwa bloß auf Lehrer, Sänger und dergleichen der Poesie schon näher stehende Leute, auch die schwarzen Feuerwehrmänner versäumten es nicht, der Dichterin durch Gesang, Deputation und Rede ihre Huldigung darzubringen. Nicht gering ist die Zahl derer, welche die Dichterin von Angesicht zu Angesicht zu schauen begehren, aber von der um die stets Leidende gewissenhaft besorgten Umgebung mit seltenen Ausnahmen abgewiesen werden müssen.

Können wir die zahlreichen Uebersetzungen der Marlitt’schen Werke in so ziemlich alle europäischen Sprachen zu den erfreulichsten Ehren derselben rechnen, so sind dagegen von den Dramatisirungen derselben, mit welchen die Spekulation sogar der Veröffentlichung derselben durch den Druck noch zuvorzukommen suchte, nur wenige, im Einverständniß mit der Verfasserin ausgeführte einer andern, als streng rügender Erwähnung werth.

Sehen wir zum Schluß noch einmal Alles an, was da zum Preise unserer E. Marlitt gesagt ist, so gewahren wir mit heimlicher Freude, daß dabei nur fremde Stimmen laut geworden sind, und daß es unseres Zuthuns gar nicht bedurfte, um ihr einen recht frischen Kranz auf das Haupt zu setzen; – und darüber kann und wird sie uns nicht zürnen, auch wenn die brieflichen Mittheilungen ohne ihr Wissen veröffentlicht werden.

Dem Bilde aber, das uns zu dieser Besprechung veranlaßt hat, können wir nichts Besseres wünschen, als eine Verbreitung wie sie die Marlitt’schen Werke gefunden haben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_070.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)