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gangen, und seynd die zwey erstere, nemlich der 4. und 25. Junii Marcktäge gewesen.

Der Freyherr von Ingelheim hat so fleißig Achtung nicht auf die Comödie gegeben, als des Herrn Grafen von Solms Referent gethan haben muß, da er auch sogar den Scepter, welchen andre Leute nicht gesehen haben, observirt haben will; übrigens pflegen ja alle Aertzten und Marckschreyer dergleichen zu thun, um die Leute desto füglicher an sich zu bringen; Ist auch nicht glaublich, daß es justement zu Wetzlar das erstemal seye, daß dieser Artzt dergleichen gespielet oder exhibirt habe; auch nichts neues, daß geist- und weltliche Fürsten und Herren, denen Comoedianten, Aertzten, Marckschreyern et id genus hominibus, zumahln auf den Marcktagen, auch sogar unter Mascheren (da doch dieser Harlequin in einem ehrlichen Kleyd auffgezogen) dergleichen zulassen.

Hat der Stand dem Vernehmen nach auf vier an den Ecken gestellten Fässern geruhet, sonsten gantz frey, ohne die Cammer zu berühren; so ist auch der nächste Ploch des Seil-Däntzers wenigstens zwanzig Schuh von dem Cammer-Thor entfernet, mithin die Fahrt zur Cammer gar nicht versperrt gewesen.

Der Herr Graf von Solms hätte sich des Asserti, daß der Freyherr von Ingelheim diesem Schauspiel zugeschauet, billich entbrechen sollen, gestalten fast die gantze Stadt, und in specie auch der von Pyrck zum zweytenmal, Herr Assessor Krebs, die Frau Gräfin von Berleps und Manderscheid, die Frau von Pyrck, Krebs- und Zernemann’sche Familie etc. dem Werck aus der Löwen-Apotheck zugesehen, wobey ja der Freyherr von Ingelheim seine e regione habende Fenster zu verschliessen nicht nöthig gehabt, sondern hat die Frau von Ingelheim, als die Frau Beysitzerin Gräfin von Nytz, die Frau von Brinck, von Lauterbach und die Frützische Töchter, sich bey ihr ordentlich ansagen lassen, wol ein und anderen aus Höfflichkeit ihre Kutsche praesentiren, und gleich anderen dem Artzten zusehen können, welches ihr um so weniger zu verdencken gewesen, als sie in ihrem Wohnhauß solches gethan; daß aber der Freyherr von Ingelheim denen Actoribus eine Verehrung gethan, ist unerfindlich.

Es hat den Herrn Grafen von Solms die Begierde den Freiherrn von Ingelheim ferner traduciren zu können, so weit getrieben, daß er mit großer Hitze auf hochwolermeldten Freyherrn von Ingelheim, in specie bey dem Apothecker Marckthaler durch seinen Laqueyen, spött- und schimpflich inquiriren lassen, und durch Bedrohung von ihnen dem Apothecker abzuweichen und bey ihme keine Wahren mehr zu nehmen, gesucht zu wegen zu bringen, daß gedachter Marckthaler wider den Freyherrn von Ingelheim falsches Zeugnüß geben, und sagen möchte: ‚Er, der Freyherr von Ingelheim, habe das Theatrum quaestionis auffzubauen befohlen;‘ gestalten mehrbesagter Marckthaler durch sein des Herrn Grafen Laqueyen anfänglich mit solchen Worten tentiret worden: ‚Man wisse wol, daß der Herr von Ingelheim solches angestellt.‘ Und als gemeldter Marckthaler ihnen darauff geantwortet: ‚Da wüste er nichts von, Gott solte ihn bewahren, daß er gegen sein Gewissen solches sagen solte,‘ solle ongefehr eine halbe Stunde hernach ein anderer von des Herrn Graffen Laqueyen kommen seyn, mit der Instruction: ‚Der Apothecker solle über die bishero abgelangte Wahren seine Rechnung machen; Ihro Excellentz der Herr Graf hätten eine große Ungnad auf ihn geworfen, weilen er nicht sagen wolte, wie die Sach mit dem Theatro sey.‘ Weilen nun der Apothecker nach des Herrn Grafen von Solms Intention im Gewissen nicht reden konnte, soll sich der Laquey weiters dahin expliciret haben: ‚Der Apothecker solle seine Rechnung einmal einliefern‘, die dann in einer Stund öffters soll gefordert worden, dabey auch von einem seiner Laqueyen folgende Worte gefallen seyn: ‚Warumb der Apothecker nicht sagen thäte, daß der Herr von Ingelheim solches befohlen habe, so wäre er daraus.‘ Worgegen der Apothecker seine Entschuldigung zwar selbst und durch Andre gethan, ohne aber daß es bey dem Herrn Grafen etwas verfangen wollen; sondern habe hochermeldter Herr Graf von Solms biß auf diese Stunde das geringste nicht mehr von ihme abholen lassen; ja es hat über dieses dickbesagten Herrn Graffens Beschliesserin, ohne Zweiffel aus dem zu Hauß geführten Discours informiret, ohne Scheu öffentlich sagen dürffen: Der Herr von Ingelheim gäbe dem Artzten täglich einen Gulden, damit derselbe noch vier Wochen spielen möge.

Eine Beilage zu diesem Memorial enthält nichts Geringeres, als ein Schreiben des Dr. Eisenbart selbst, so lautend:

„Ich, Johann Andreas Eysenbarth, Kayserlicher, auch verschiedener Chur- und Fürsten hoch privilegirter Medicus und Operator, thue hiemit bekennen und attestiren, daß ohnlängstens meine 2 Diener von Cassel anhero nacher Wetzlar auff Johannis Jahrmarck allda der Gewohnheit nach meine Profession armer Patienten zu Trost zu exerciren, abgeschicket, und bey dem Stadt-Magistrat, um ein Theatrum aufbauen zu können, ansuchen zu lassen; welches auch der Magistrat verwilliget und meine Diener auf dem Marck bey der Kirch den Platz angewiesen; nachdem aber zuvor schon einer mit Nahmen Fidler sich eine Zeit lang dahier aufgehalten und sich gegen meine Diener des Platzes wegen beschweret: haben meine Diener bey mehrgedachtem Magistrat um einen andern Ort angehalten; welcher dann denselben Befehl ertheilte, an dem nehmlichen Ort vor der Cammer zu bauen. Worauf, als ich Dienstags frühe dahier angelangt, mein Stand ohnwissend, was es für ein Ort wäre, betretten, vier Tag lang ausgestanden und meine tägliche Gebühr davor gezahlt, haben Ih. Excell. Hr. Cammer-Praesident, Hr. Graf von Solms-Laubach, durch dero Laqueyen mich befragen lassen, ich sollte nur frey heraus sagen: ‚Wer mir diesen Platz angezeigt, ein Theatrum darauf zu bauen?‘ Habe ich hochged. Hn. Praesidenten zur Antwort bedeuten lassen, ‚daß solchen Platz aus keinem andern Befehl, als eines Ehrenvesten Raths, meine Diener betretten, und mein Theatrum aufgebauet, mir auch unwissend wäre, ob solcher Ort vor der Cammer, oder was es für ein Platz seye.‘ Und weilen dann erst-hochgedachter Hr. Praesident Hr. Graf von Solms dem Burgermeister bedeuten lassen, daß er befehlen möchte, ich solte den Stand wider abbrechen, oder er wolte solchen abbrechen lassen, habe ich auf gemessenen Befehl von dem Burgermeister sogleich meinen Stand abbrechen lassen. Kan also mit der Warheit nicht sagen, daß ich weder Ih. Excell. Hn. Praesidenten Baron von Ingelheim im geringsten um Erlaubniß des Ausstandes angegangen, noch dieselbe diesertwegen etwas erlaubt, oder befohlen hätten; welches der Warheit zur Steuer ich unter eigner Hand und beygedrucktem Pittschafft hiemit attestiren thue. Wetzlar den 8. Julii 1704.

     (L. S.)

Joh. Andreas Eysenbarth
Med. & Operator
von Magdeburg.“

Mit solchem Stadtklatsch also denuncirten sich Anno 1704 die beiden Justizbeamten vor Kaiser und Reich. Es konnte denn auch endlich nicht fehlen, daß der Reichstag sich zu einem energischen Schritte aufraffte und eine Visitation der fraglichen Mißstände anordnete. Diese Visitationscommission hat nun die Sachen auf das Gründlichste und Bedächtigste untersucht. Alljährlich hatten die Parteien Gelegenheit, in dickleibigen Deductionen ihren Standpunkt zu wahren; nachdem schon manches Jahr hin- und hergeschrieben war, sahen sich die Ingelheimischen genöthigt, ein Verzeichniß der „spitzigen Anzüglichkeiten“ zu veröffentlichen, welche sie in den Schriften ihrer Gegner fanden, und dieser Auszug füllte allein fast hundert Druckseiten in Quart.

Im Jahre 1709 kam endlich die Visitationscommission zu einem gewissen Resultat. Der Vorkämpfer der Solmsischen Partei, Herr von Pyrck, wurde von dem Arme der Gerechtigkeit ereilt. Wir haben über das an ihm statuirte Exempel das Attestatum des Kammer-Pedells Johann Caspar Hauck, d. d. 12. Oktober 1709, wodurch dieser bekundet, „wie er am heutigen Tage auf gnädigsten und gnädigen Befehl der höchst ansehnlichen Kaiserl. Commission und der hochlöblichen Reichsvisitation in Gegenwart der Herren Visitatores, des Herrn Präsidenten von Ingelheim und der beleidigten Herren Assessores die ihm behändigten Schreiben und Pasquille in seine Hände genommen, zu dem anwesenden von Pyrck getreten, selbige in viele Stücke zerrissen und vor dessen Füße, spectantibus omnibus geworfen.“ Außerdem mußte sich Pyrck noch zu einem Deprecationsschreiben verstehen, das dann „allen ehrbaren Gemüthern zu treuherziger Warnung und abscheulichem Exempel gedruckt wurde.“ Das war also eine Niederlage des Grafen Solms, die er in der Person seines treusten Parteigängers erlitt. Ihm selbst blieb eine derartige solenne Demüthigung erspart; es dauerte übrigens noch Jahr und Tag, bis die Visitationscommission den Frieden am Kammergericht völlig wieder hergestellt hatte.

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