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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


und von Brinck, vor Allen Johann Tobias Ignatius, Graf von Nütz, Graf und Herr zu Wartenburg, Freiherr auf Obergerckheim, Schwarzgrub, Pichel und Reidt, von wegen des Kurfürsten von Baiern abgeordneter Assessor; Graf Solms hatte nur die Herren Krebs, von Zernemann und Lautermann für sich, sowie den Assessor für den schwäbischen Kreis, Herrn Johann Adam Ernst von Pyrck, Herrn zu Dürrenhard und Gündringen, der bald das enfant terrible seiner Clique werden sollte.

Von kleinen und unbedeutenden Anlässen ausgehend, nahm der Hader bald immer größere Dimensionen, einen immer gehässigeren Charakter an; eine Ursache der Feindschaft kam zu der andern, und bald verfolgten sich beide Parteien öffentlich und auf das Rücksichtsloseste in Wort und Schrift. Da hatte der von Pyrck 1702 eine Satire veröffentlicht, das sogenannte Diarium der Belagerung von Wetzlar, wodurch bei den Gegnern ein wahrer Sturm von Unwillen hervorgerufen wurde, weil darin der Kurfürst von Baiern und die Hessen mit Schimpf und Ernst als Feinde des heiligen römischen Reichs und der Stadt Wetzlar aufgeführt wurden, die Bürger zu Wetzlar aber als Narren und Düppel.

Dagegen klagte man auf der andern Seite, der Freiherr von Ingelheim habe im December 1702 auf einer Schweinshatz den von Pyrck böswillig bei dem Kurfürsten von Mainz verdächtigt und das Diarium der Belagerung von Wetzlar mit Unrecht als ein „scheußliches, gottloses Pasquill“ ausgegeben.

Da half denn auch nichts, daß der Kurfürst Georg Wilhelm von Hannover dem von Pyrck am 22. Februar 1704 das Zeugniß ausgestellt hatte, „daß die verschiedene Jahre über, die er in Unserem Dienste gestanden, nie einige Zanksucht oder Widerspenstigkeit, sondern im Gegentheil ein glimpfliches, friedliches Gemüth an ihm verspüret worden“. Ingelheim und sein Anhang erklärten kategorisch, „daß es unmöglich fällt, bei einem solchen radicaliter verleumderischen Menschen collegialiter zu sitzen“. Und so trat denn seit dem April 1704 ein Justitium, ein Stillstand in der Rechtspflege ein: es waren in Wetzlar „Kanzlei und Leserei gar geschlossen, die Rathstage gänzlich eingestellet, die gerichtlichen Audientien völlig gesperret, die Publicationes sententiarum allerdings verstöret, die Gerechtigkeit, nach der so Viele schreien, zu Boden gestoßen“.

Vergebens ertönten Schmerzensrufe aus allen Kreisen des Reiches, vergebens gelangten Petitionen nach Regensburg an den Reichstag, „daß der durch die zuvor niemals erhörte dem Kaiserlichen und des Reichs Kammergerichte zugestoßene Calamität gehemmte Lauf der werthen Justiz wieder eröffnet und denen nach der rechtlichen Hülf und Gerechtigkeit sich sehnenden und seufzenden Parteien die freudige Facultät ihr Recht zu afterfolgen restituieret würde“. Das Aergste stand der Stadt Wetzlar, dem Reichskammergericht und dem heiligen Reiche noch bevor: der größte Scandal sollte erst beginnen, als – Doctor Eisenbart nach Wetzlar kam.

Am 28. Juni 1704 kehrte der Graf von Solms nach Wetzlar von einer Reise zurück und fand nach seiner Meinung die Stadt dermaßen auf den Kopf gestellt, daß er sich entrüstet hinsetzte und folgenden Brief an Kaiser Leopold schrieb:

„Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster, Unüber-
     windlichster Römischer Kayser.
Allergnädigster Kayser und Herr Herr.

Euer Kayserl. Majest. soll hierdurch aus allerunterthänigst- und schuldigster Treu nicht verhalten seyn, was Gestalten, nachdem ich vor einiger Zeit nach gebrauchter Brunnenkur wiederum allhier angelanget, mit nicht geringer Alteration ersehen müssen, daß ein Theatrum vor und an demjenigen Rath-Hauß, worauff das Cammer-Gericht gehalten wird, auffgeschlagen gestanden, und auff geschehene Nachfrage vernommen, daß gedachtes Theatrum schon fünff Tage vorher, seither dem 24. passato, als an welchem Tage ein Jahr-Marckt allhier gewesen, auffgerichtet sich befunden, worauff ein Marck-Schreyer nicht nur Artzney verkauft hätte, sondern auch fast alle Tage Comödien daselbst gespielet, und auff dem Seil getantzet worden. Ja es seye bei der ersten Comoedie oder Schau-Spiel ein Gerichts-Process, und andre dergleichen Dinge, vorgestellet worden, dabey der Richter mit einem Scepter gesessen, sich corrumpiren lassen, mit dem Harlequin den Richter-Stuhl und Kleydung verwechselt, und endlich den Harlequin zu hencken das Urthel gefällt. Worüber das gemeine Volck und Ausländische zum Theil sich geärgert, theils aber, zu nicht geringem Despect dieses Höchsten Gerichts, sich damit gekitzelt. Zu geschweigen, was über das Suspensions-Urtheil für Glossen gemacht wurden: Welches alles um so viel anstößlicher und bedencklicher war, als der ohnfern davon an den Kirchhoff stoßende Marckt groß und weitläufftigt, auch daselbst als an dem eigentlichen Marckt-Platz jederzeit dergleichen Theatra, und niehmals vor dem Cammer-Gericht, so lange ich allhier bin, bißher sind auffgerichtet gewesen, da hingegen der Platz vor der Cammer so klein und eng, daß man aus des Freyherrn von Ingelheim seiner Wohnung, welche derselben gegenüber ist, ohne Beschwerde hinüber reden kann. Ich mußte auch noch ferner vernehmen, daß sogar die Balcken des Theatri an und in die Mauer des Cammergerichtlichen Rath-Hauses festgemacht, auch der eine Pflock des Seil-Täntzers fast gantz vor die Thür geschlagen, mithin der Eingang zu der Cammer mit Stricken und sonsten also beschwerlich gemacht gewesen, daß mit Kutschen an die Cammer zu fahren allerdings nicht practicabel, auch sonsten das Rath-Haus durch das Theatrum größten Theils verdeckt war.

Ob nun zwar anbey feste geglaubet, daß ex parte Collegii Camerarii samt oder sonders eine behörige Ahnung dagegen würde vorgekehret worden seyn, so vernahme ich im Gegentheil, mit noch viel grösserem Verwundern, daß der Freiherr von Ingelheim, welcher, wie oben gedacht, gantz nahe und dem Theatro gegen über wohnte, und diese Tage zugegen gewesen, so wohl als einige Assessores, in des Herrn von Ingelheim Behausung diesem Schau-Spielen nicht nur zugeschauet, sondern gedachter mein College solle dem Vernehmen nach denen Actoribus sogar eine Verehrung gethan und verschiedene Persohnen, zu solcher Schau, in seiner Kutsche abholen lassen.

Wann nun diese disreputirliche Conniventz, falls auch alles von ohngefehr geschehen wäre, in Ansehung dessen, was eine Zeithero allhier passirt, so viel weniger länger zu dulden gewesen, mithin bey solcher der Sachen Bewandniß, und verschiedener Umstände wegen, eine prompte Enderung vonnöthen war, so schickte, nachdem der Artzt, auff Befragen, sich damit entschuldigen lassen, daß er von denen beiden Burgemeistern auff den Platz angewiesen worden wäre, zu gedachten Burgemeistern, mit dem Bedeuten, das Theatrum alsofort wegzuschaffen, liesse sie auch dabey befragen: Wer eigentlich das Theatrum an diesen Ort zu setzen permittirt habe? Da sich dann der ältere Burgemeister, Namens Siebenbürger, dahin entschuldigte, daß er gar nichts davon wüste, der jüngere, Namens Marckthaler, aber bezog sich auff den Rath, daß in Beyseyn beider Burgemeistere und verschiedener Raths-Herren dem Artzt die Erlaubniß ein Theatrum auffzurichten gegeben worden seye, wovon sich doch nachgehends der jüngere Burgemeister, Marckthaler, nebst dem Stadt-Schreiber, dergestalt entschuldigen wollten, daß der Platz von dem Rath nicht angewiesen, sondern von dem Artzt selbsten solcher ausgesucht worden wäre.

Eu. Kayserl. Majest. werden aus diesem, der Sachen Verlauf, nach Dero hocherleuchtetem Gemüth, allergnädigst ermessen, in was vor eine deplorable Verachtung dieses Höchste Gericht von Tag zu Tag immer mehr komme, und durch dergleichen Prostitutiones die ehemals erlangte Gravität und Authorität fast gänztlich verliere, und ob auff das gegebene öffentliche Scandal, oder dessen eigentlichen Authorem weiter nachzufragen, oder auff was Weise sonsten in hoc emergenti gegen den hiesigen Stadt-Magistrat zu verfahren seye. Ich aber lebe unterdessen etc. und ersterbe

Ew. Kayserl. Majest.

     Wetzlar den 10. Jul. 1704

Allerunterthänigster, Treu-gehorsamer
Friedrich Ernst, Graff zu Solms.“

Die andre Partei durfte nun natürlich nicht schweigen. In ihrem Gegen-Memorial wird zur Rechtfertigung angeführt:

„Das Theatrum ist nicht an der Cammer, sondern wenigstens 3 Schritt darvon auff dem sogenannten Buttermarck gestanden und haben die Bürgermeister darvor das Stand-Geld erhoben.

Der Artzt ist in allem nicht mehr denn vier Tage gestanden, zu welcher Zeit weder ein Praesident noch Assessor zu Rath

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_066.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)