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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Wette Zuschüsse aus ihren Cassen. Ob sie es halten können, ist eine andere Frage.“

„Und eine dritte, wie lange es unsere Herren Fabrikanten werden aushalten können.“

Der Pfarrer zuckte die Achseln. „Bartels und Söhne können es aushalten,“ sagte er. „Ihre Lieferungscontracte sollen in diesem Augenblicke nicht besonders zahlreich und dringend sein. Ob aber Escher, der zudem allein steht und ein viel geringeres Anlage- und Betriebscapital hatte, es aushalten wird – wer weiß es?“

„Fatale Lage das!“ sagte Maiwand, und dachte befriedigt daran, daß, wenn Herr Escher falliren würde, er genöthigt sei, sich des Luxus eines so vornehm auftretenden Hauslehrers zu entäußern – falls – und das war nun wieder eine bedrohliche Seite der Sache, Escher sich nicht an seine Nichte Malwine wenden und ihr Capital zur Stütze des unzulänglichen eigenen in Anspruch nehmen werde.

Der Pfarrer aber fiel ein: „Wohl ist es eine fatale Lage für diese – Leute. Doch sind die Arbeiter von ihnen auch zu lange ausgebeutet. Zu lange hat sich Niemand um das Loos dieser Leute gekümmert. Sie kennen die Noth und das Elend nicht, die noch vor zwanzig Jahren in den Häusern und Hütten der Arbeiter herrschten. Jetzt verfallen sie denn mit ihren Forderungen freilich in’s Uebermaß und bringen die Sündfluth über uns. Wir gehen einer furchtbaren Zukunft entgegen, Herr von Maiwand, denn alle Bande sind ja gelöst. Der Staat ist in den Händen der Freimaurer; der Kirche, die allein retten könnte, werden die Hände geknebelt; das heranwachsende Geschlecht wird auf den gelehrten Schulen mit Gottlosigkeit genährt, und unsere Presse predigt den Atheismus und die Verachtung des Heiligsten. Was soll daraus werden, was kann daraus entstehen als –“

„Die Sündfluth, in der alle die ertrinken werden,“ fiel ihm Maiwand lächelnd in’s Wort, „welche sich nicht bei Zeiten in die Arche der Kirche retten, die natürlich die Sündfluth überdauern und besiegen wird. Wir kennen das, Pastor, wir kennen es. Aber wenn ich die Zukunft auch nicht ganz so nachtrabenschwarz sehe, wie Sie – die Gegenwart kann für uns einige Tage lang hier recht unangenehm werden; hören Sie nur!“

Man vernahm von jenseits der hohen Hagedornhecke, die den Pfarrgarten von der Dorfstraße trennte, einen wüsten Gesang und zugleich den Schall vieler fest und geregelt auftretender Schritte – es waren vielleicht dreihundert Männer in Arbeitstracht, die Arm in Arm und in Reihen geordnet hinter einer rothen Fahne her durch das Dorf zogen, wohl einem großen jenseits liegenden Wirthshause zu.

Der Pfarrer horchte ihnen schweigend eine Weile zu; als sie an seinem Hause vorüber waren, faltete er die Hände und sagte:

„Wir leben in schrecklichen Zeiten, Herr von Maiwand, in schrecklichen Zeiten.“

„Gehen Sie ihnen doch nach, Pastor,“ antwortete Maiwand, „und hören in ihren Versammlungslocalen den Reden, die da jetzt gehalten werden, zu! Sie werden da außerordentlich viel lernen können, um den jetzt beliebten Kanzelton in Ihrer nächsten Predigt zu treffen.“ –




7.

Auf den Werken des Herrn Escher sowohl, wie der benachbarten Industriellen waren die Eigenthümer mit ihren Disponenten, technischen Directoren und anderen Angestellten heute in sehr erregter Berathung, theils unter sich, theils mit den Abgeordneten eines Ausschusses der unzufriedenen Arbeiter gewesen, der gestern dazu gekommen war, sich über die zu stellenden Forderungen zu einigen und sie zu präcisiren. Heute Morgen hatte er sie durch seine Abgeordneten vorlegen lassen: Verminderte Arbeitsstunden, Lohnerhöhung, Antheil an den Versorgungscassen nach halb so langer Zeit, als der Einzelne jetzt auf den Werken beschäftigt gewesen sein mußte, für die Formenhersteller Renumerationen, wenn aus den Formen, die sie gemacht, gewisse Mengen von Gegenständen hervorgegangen, für die Werkmeister und die Vorarbeiter gewisse Tantiemen nach der Ablieferung einer bestimmten Anzahl der in den einzelnen Werkstätten hergestellten Artikel etc.

Es waren das Alles Bedingungen, deren Annahme die Principale hätte ruiniren müssen, auch wenn diese ganz mit eigenem und nicht zum Theil mit fremdem, sich verzinsendem Capital hätten arbeiten müssen. Deshalb wurden sie einfach verworfen – es wurde von den auf Herrn Escher’s Werken zahlreich zusammengekommenen Fabrikbesitzern abgelehnt, auf den Grund solcher Forderungen hin auch nur in Verhandlungen einzutreten. Sie sprachen dies schroff und entschieden aus und beschäftigten sich dann mit den Schutzmaßregeln, die jeder Einzelne für sich gegen den zu erwartenden Sturm treffen konnte, und denjenigen, die sie gemeinsam verabredeten für den Fall, daß ihre persönliche Sicherheit bedroht war. Sie wollten ihre Familien in die nächste Stadt senden – nur Herr Escher, der dort keine Verwandte oder nahestehenden Freunde hatte, verzichtete darauf.

Herr Escher schritt in der beginnenden Abenddämmerung von seinen Werken nach seiner Villa allein heim, dem einsamen Wege nach, der, am Flusse entlang laufend, sein Gemüth, wenn es nicht von Sorgen schwer bedrückt gewesen, ohnehin schon hätte mit einer tiefen Melancholie füllen können; so unaussprechlich öde war dieser schmale schluchtähnliche Weg, der, nach allen Seiten den Blick hemmend, zwischen den berghoch aufgeworfenen schwarzgrauen Schlacken seiner Fabrik hinlief. Als er um eine Wendung des Weges bog, sah er einen Mann in graugrüner Joppe, eine untersetzte kräftige Gestalt mit einem ergrauten Vollbarte und eben solchem Haupthaare, das ein weißer Strohhut bedeckte, sich entgegenkommen. Escher hielt seinen Schritt an, kreuzte die Arme über der Brust und erwartete so stehenden Fußes den sich ihm Nähernden.

„Gotthard, bist Du’s?“ sagte er mit einer Stimme, deren bewegten Ton er nicht verbergen zu wollen schien.

„Ich bin’s, Gottfried. Wir haben uns lange nicht gesehen.“

„Nein – lange nicht. Nahmst Du diesen Weg, mir etwas zu sagen?“

„Ja. Nichts Bestimmtes eigentlich. Aber ich dächte, es sei doch gut, wenn wir noch einmal uns sprächen, bevor ich diesen Sturm über Dich und die Deinigen losbrechen lasse.“

„Du ihn losbrechen läßt? Bist Du denn Der, der ihn schürt?“

„Nein. Ich stehe zu den Arbeitern, weil ich zu ihnen gehöre, weil meine Wünsche auf ihrer Seite sind und nicht auf der des Capitals. Aber geschürt hab’ ich ihn nicht. Im Gegentheil, ich habe beschwichtigt. Jedoch die fremden Aufwiegler sind mächtiger als ich. Das Volk schwört nun einmal auf ihre Reden und ihre Schlagworte. Doch hat es so viel Besinnung behalten, nicht auch auf ihre Ehrlichkeit zu schwören. Da vertraut es mir und einigen Anderen aus seiner Mitte. Wir bilden das Comité, das die Geldmittel zusammenbringen und verwenden soll, um mit Nachdruck den Strike durchzuführen. Es hängt von mir ab, ihnen zu sagen: ‚Ihr könnt eine allgemeine Arbeitseinstellung beginnen, weil unsere Mittel dazu reichen,‘ oder auch: ‚Nur die Arbeiter von Bartels u. Söhne, gegen die sich die meisten Beschwerden richten, können es, weil es nicht möglich ist, mit den vorhandenen Mitteln Alle durch die arbeitslose Zeit zu bringen.‘ Dann bleibst Du von der Sache unberührt und hast nur nachher zu sehen, wie Du Dich zu Deinen Leuten stellst und in die Bedingungen fügst, welche Bartels u. Söhnen abgezwungen sein werden. Es wird wohl von beiden Seiten nachgegeben werden; wozu sich Deine Standes- und Interessengenossen endlich nach schwerem Kampfe verstehen, das wirst Du dann ja auch einräumen können, nachdem Du ohne Kampf und Störung Deines Betriebes durchgekommen bist.“

„Wenn Du das kannst, Gotthard, wenn Du so viel über die mißleiteten Menschen vermagst, so thue es! Denn ich verhehle Dir nicht: eine längere Arbeitseinstellung auf meinen Werken wird mich ruiniren.“

„Das weiß ich.“

„Und auch das magst Du wissen, daß ich nichtsdestoweniger die uns vorgelegten Forderungen niemals bewilligen werde. Schon deshalb nicht, weil ich mir nichts abtrotzen lasse. Und ferner nicht, weil sie so, wie sie gestellt werden, mich ebenso gut ruiniren.“

„Nun also, dann gieb mir nach!“

„Worin?“

„In Dem, was ich Dir als Bedingung stelle. Laß den Dünkel fahren, mit dem Du Dich der Verbindung von Rudolph

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_059.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)