Seite:Die Gartenlaube (1875) 036.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Da waren sie vereint, dein Buch zu lesen,

50
     Dein großes Buch, die herrliche Natur.

Es predigt dich, du Wesen aller Wesen,
     Auf jedem Blatte deines Waltens Spur.
Was je zu schauen uns vergönnt gewesen,
     Es fand sich stets in diesem Buche nur.

55
Dem einzigen, das du allein geschrieben,

Dem einzigen, das unverfälscht geblieben. –

Auch mir hast du gewährt, hineinzublicken,
     Wie du den Sonnen zeigtest ihre Bahn.
Mit ihrem Glanz die Erden zu erquicken

60
     Im unermess’nen Himmelsocean.

Und Monde sah ich um Planeten rücken
     Nach weisem, ewig unverrücktem Plan;
Ein Band umschlingt das mächtige Getriebe,
Das große allgemeine Band der Liebe.

65
Doch nicht allein in sonnenfernen Sphären,

     Im Gange deiner großen Weltenuhr,
Darf dich der Mensch, der Erde Sohn, verehren,
     Denn rings um ihn ist deiner Güte Spur.
Und jede Blume, jeder Wurm kann lehren,

70
     Wie herrlich du bist, Schöpfer der Natur.

Uns gönntest du, mit Einsicht dich zu lieben –
O, wäre doch der Mensch dir treu geblieben.

Der du die rollenden Planeten lenkest,
     Der du die Haare meines Hauptes gezählt,

75
Der du des niedrigsten Geschöpfs gedenkest,

     Dich, ew’ger Vater, habe ich mir erwählt.
Dank dir für alles Gute, das du schenkest!
     Du sorgst, daß nichts an meiner Wohlfahrt fehlt;
Wie, wann und wo mein Erdenleben ende –

80
Ich gebe meinen Geist in deine Hände.




Das größte Fremdenbuch.


Ein frischer Märzmorgen lag über der Landschaft. Wir befanden uns unter der Halle des Templerbend-Bahnhofes zu Aachen. Unser Reiseziel führte uns diesmal direct in die Unterwelt, da wir nichts Geringeres beabsichtigten, als dem Fort Sanct Peter bei Mastricht unsern Besuch zu machen und uns in sein großes Fremdenbuch einzutragen.

Von dem Augenblicke an, wo wir mit der in französischer Sprache abgefaßten Fahrkarte den Zug besteigen, gewinnt Alles um uns her ein anderes Aussehen. Unser Wagen, die Schaffner, die Reisegesellschaft, Alles deutet darauf hin, daß wir uns in einem fremden Lande befinden, oder doch wenigstens im Begriffe sind, in ein solches einzutreten. Unser holländischer Dampffuhrmann wie sein wildes Roß beweisen sich als ganz vortrefflich. Wir fliegen dahin, daß es eine Lust ist, und ehe wir uns dessen versehen, liegt die Grenze hinter uns, und schon ist die erste holländische Station, ein kleines Dorf mit dem ominösen Namen Simpelveld, erreicht. Hier müssen wir den Wagen auf kurze Zeit verlassen, um die nothwendigen Mauthformalitäten zu erledigen. Wir treten in „het nederlandsch accisekantoor“, wo wir von einem etwas verdrießlich dreinschauenden Beamten, der sich offenbar eben erst den schönen Morgenschlaf aus den Augen gerieben hat, kurz Revue passiren. Bald ist unsere Harmlosigkeit dargethan, und die Reise kann nun weiter gehen.

Die helle Märzsonne bescheint eine dem Namen „Niederlande“ wenig entsprechende bergreiche Gegend, die bei etwas vorgerückterer Jahreszeit recht hübsche Partieen geboten haben würde, zur Zeit jedoch noch etwas kahl und öde aussah. Für das fehlende Grün in Wald und Feld mußte man sich einstweilen durch die Betrachtung der zahlreichen, oft recht hübsch gelegenen Dörfer und der fast in keinem derselben fehlenden burgartigen Landsitze entschädigen. Diese letzteren sind in der Regel mächtige, quadratisch aus vier Flügeln errichtete, einen geräumigen Hof umschließende, von stattlichen Thürmen flankirte Gebäude, die sich vornehm über die meist hüttenartigen, strohgedeckten und mit Moos bewachsenen Häuser des Dorfes erheben, von denen sie durch einen breiten Wassergraben getrennt werden.

Zur Linken erblicken wir jetzt die romantischen, von einem in das Geulthal vorspringenden Felsen auf das Städtchen gleichen Namens niederschauenden Ruinen des Schlosses Falckenberg, einst der Sitz eines mächtigen Grafengeschlechts, aus welchem tapfere Krieger und berühmte geistliche Würdenträger hervorgegangen sind, darunter der Erzbischof Engelbert der Zweite von Köln und der heilige Gerlach – nicht zu verwechseln mit dem bekannten Abgeordneten und Rundschauer a. D. gleichen Namens.

Mehr und mehr beginnen jetzt die Berge zurückzutreten; die Gegend wird flacher und geht allmählich in die holländische Niederung über, aus welcher sich jetzt die Thürme der alten Stadt Mastricht, des Trajectum ad Mosam der Römer, vor uns erheben. Diese ehemals mächtige und stark befestigte Stadt mit ihren zahlreichen alten Gebäuden und historischen Erinnerungen aus den Kämpfen der niederländisch-spanischen Zeit bietet viel des Interessanten und Sehenswerthen, worauf näher einzugehen wir uns jedoch für diesmal versagen müssen.

Von einem der hierfür amtlich privilegirten Führer geleitet, wandern wir, dem Laufe der Maas folgend, in südlicher Richtung dem eigentlichen Ziele unserer Reise, dem Petersberge, zu. Es ist dies der nördliche Endpunkt eines am rechten Ufer der Maas in einer Ausdehnung von mehreren Stunden sich dahinziehenden, nach allen Seiten steil abfallenden, aus Kreidetuff bestehenden Bergrückens von etwa drei- bis vierhundert Fuß Höhe. Der nach einem hier gelegenen alten Fort, St. Peter, benannte Berg, mit seinen größtentheils kahlen Abhängen, bietet außer etwa jenem durch mehrfache Belagerungen interessanten, aber bereits verfallenen Fort und den hoch über der Maas liegenden malerischen Mauerresten eines Castells aus Cäsar's Zeit scheinbar wenig Merkwürdiges, bis man, auf einem zwischen geschmackvollen Baumanlagen dahinführenden Wege aufsteigend, plötzlich in der Nähe eben jenes Castells ein mächtiges Felsenthor vor sich geöffnet sieht, welches den Eingang zu einer dunklen Höhlung bildet.

Mit Fackeln versehen, schreiten wir, den Führer zur Seite, in den Berg hinein und sehen uns, nachdem das Auge sich an die veränderte Beleuchtung gewöhnt hat, in einem Labyrinth von durch Menschenhand in das Gestein gehauenen vierzig bis fünfzig Fuß hohen Hallen, welche sich, ähnlich dem Straßengewirre einer großen Stadt, in einer Ausdehnung von mehreren Stunden durch den Berg dahinziehen. Die Zahl dieser bereits von den Römern zur Gewinnung von Bausteinen angelegten Höhlungen, welche sich meist in rechtem Winkel kreuzen, betrug nach einer zu Anfang dieses Jahrhunderts durch Napoleon angeordneten Zählung bereits weit über Hunderttausend und hat sich seitdem noch fortwährend vermehrt. Es ist deshalb unmöglich, sich ohne einen Führer in diesem Labyrinthe zurecht zu finden, und wiederholt sind bereits Fälle vorgekommen, daß Personen, welche sich allein hineingewagt, hier ihren Tod gefunden haben. Die Leichen der auf diese Weise Verunglückten, deren eine, wie man behauptet, sechszig Jahre lang hier gelegen haben soll, bevor man sie auffand, sind durch die in dem Innern des Berges herrschende trockene reine Luft völlig vor der Verwesung bewahrt geblieben und zeigten eine mumienartige Beschaffenheit.

Zu verschiedenen Zeiten, namentlich während des niederländlich-spanischen Krieges, haben diese Höhlungen den Bewohnern von Mastricht zum Aufenthalte gedient. Außerdem haben aber auch zu verschiedenen Zeiten Räuberbanden darin gehaust, und es läßt sich für derartige Zwecke allerdings kaum ein besserer Schlupfwinkel finden.

Die jetzigen Bewohner des Berges sind eine Schaar Arbeiter, welche an einer etwa zwei Stunden von dem Ausgange entfernten Stelle mit dem Brechen, oder richtiger gesagt, Aussägen der Steine beschäftigt sind. Der zu Bauzwecken weit und breit sehr geschätzte Sandstein des Petersberges, welcher seiner Reinheit und gleichmäßigen schönen hellgelben Farbe wegen namentlich zu Façaden und feineren architektonischen Arbeiten verwandt wird, ist ursprünglich so weich, daß man denselben mit einem Messer zerschneiden kann, gewinnt aber, der äußeren Luft und der Feuchtigkeit ausgesetzt, bald einen ziemlichen Grad von Härte. Der beim Aussägen des Steines gewonnene Sand wird seiner mergelartigen Beschaffenheit wegen mit Erfolg als gutes Düngemittel verwandt.

Die in dem Berge beschäftigten Arbeiter, deren Zahl im

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_036.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)