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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

Paris. Nun schwiegen die Acten lange von ihm. Da geschah es, daß im Sommer 1859 in Homburg der Kellner eines Genfer Hôtels erschien, um einen dort weilenden Badegast Namens Alexander Marshall aus England wegen eines Wechsels zur Rede zu setzen, der sich als falsch erwiesen hatte. Da kam denn auch zur Entdeckung, daß ähnliche auf Londoner Häuser gezogene Wechsel ein Rentier Marson aus Dublin den Winter vorher in süddeutschen Städten anzubringen versucht, ein Heidelberger Bankhaus dabei auch wirklich geprellt hätte, weiter, daß im Jahre 1858 ein französischer Oberstlieutenant Massen in einem Gasthofe ersten Ranges in Dresden mit Frau, Kind und Bonne logirt und sich als Bevollmächtigter der englischen Regierung für Eisenbahnangelegenheiten ausgegeben, trotz seiner hohen Mission aber die Zeche und die Kaufpreise für entnommene Waaren schuldig geblieben war. Und nun erkannte die deutsche Polizei in diesem Oberstlieutenant Massen trotz seiner aufgesetzten grünen Brille rasch ihren alten Hamburger Major wieder.

Dieser fashionable Gauner gehörte von Hause aus den gebildeten Ständen an, wie viele plebejische auch. In den meisten Fällen steckt hinter der flitterhaften vornehmen Hülle ein Mensch von gewöhnlichem Herkommen und sehr zweifelhafter Bildung, ein ehemaliger Bedienter, ein phantastisches Schneiderlein, ein routinirter Kellner, ein verkommener Schreiber.

So war Fürst Georg Mitacky aus Athen, der mittelst gefälschter Creditbriefe deutsche Bankhäuser um bedeutende Summen betrog, der Sohn eines armen Bäckers in Smyrna und der Freiherr von Butler, dessen Name durch viele Bände des Polizeianzeigers hindurchgeht, ein aus der Lehre entlaufener Kürschnergeselle, der Sohn eines Friseurs in C. So mußte sich der in den sechsziger Jahren mit großer Prätension in den ersten Frankfurter Hôtels auftretende Graf Truchseß-Symborski aus Klausenburg seine endliche Entpuppung als ganz gewöhnlicher, aus einem Dorfe bei Weinsberg stammender Sterblicher gefallen lassen. Der Herr Graf trug eine unbekannte mit einem Orden decorirte Uniform und zeigte den Wirthen, die über seine augenblickliche Geldverlegenheit stutzten, Dokumente vor, aus denen klar hervorging, daß ihm eine Erbschaft von fünfzigtausend Gulden in Bukarest bevorstand. Auch traf nach einiger Zeit ein Brief aus Wien an den Herrn Grafen ein, der die genauesten Angaben über diese große Bukarester Erbschaft enthielt. Der Graf war so herablassend, den Inhalt dieses Briefes seinem jeweiligen Hôtelier nicht vorzuenthalten – nur das Eine verschwieg er dabei, daß er diesen Brief als Einlage eines andern erst nach Wien spedirt hatte. Der letztere war an einen Wiener Wirth gerichtet, dem er unter hochtrabenden Titeln und Namen seine bevorstehende Ankunft angezeigt und ihn dabei ersucht hatte, den inliegenden Brief an den Adressaten, oder falls dieser, wie beabsichtigt, nicht bei ihm eingetroffen, nach Frankfurt an das Hôtel X. zurückzuschicken.

Dieser Graf Truchseß gehörte auch zu der Species der gaunerischen Don Juans. Er hatte einige Jahre vorher in Hamburg ein verschwenderisches Leben größtentheils auf Kosten einer reichen Wittwe, welcher er die Heirath versprochen hatte, geführt, zuletzt aber statt ihrer die Tochter einer angesehenen Familie entführt und sich auch mit ihr als Graf und Ritter des Erlöserordens trauen lassen. Dann war er nach Mexico gegangen. Einige Zeit darnach tauchte er jedoch ohne Frau als spanischer Marquis in Brüssel wieder auf, suchte dort vergeblich den spanischen Gesandten von seiner geheimen Mission als Vertrauter Narvacz’ zu überzeugen, ging nach Deutschland und verlockte hier wieder durch Heirathsverspruch eine bairische Wirthstochter, mit ihm zu ziehen. Für sie folgte auf den kurzen Traum als spanische Marquise ein sehr bitteres Erwachen, denn der Graf war eines Morgens in der Schweiz sammt ihren Effecten verschwunden. Schließlich machte das Zuchthaus seinen Donjuaniaden ein Ende.

Es sind dies nicht die einzigen Opfer des dämonischen Zaubers geblieben, den die abenteuerliche Romantik solcher fahrenden Glücksritter auf das weibliche Herz auszuüben vermag. Indeß treten oft genug auch die Vertreterinnen des schönen Geschlechts in selbstständigen Gaunerrollen, mindestens als treue Helferinnen gaunerischer Genossen auf. Meisterinnen der Verstellung, wie sie der Dichter bezeichnet, sind sie zumeist nicht die schlechtesten des Gewerbes. Bei Manchen von ihnen ist wirkliche Ueberspannung der Impuls zu ihrem verbrecherischen Treiben, so daß sie selbst an die Fabel ihres Lebens glauben, wie bei der Frau Pseudo-Obrist von M., einer verdorbenen Gouvernante. Sind sie noch jung und gar schön dazu, so sind sie höchst gefährlich – unter Umständen sogar der Polizei, die ja auch ein Herz in ihrem Busen trägt. Von einer solchen Hochstaplerin, einer gewissen Anna B–r, die als Fräulein von Wangenheim, Majorin Schmidt, Marquise von Pückler-Muskau die Welt durchzog, viel trank, Cigarren rauchte und sich auch noch andere Uebergriffe in die Sphäre des Mannes erlaubte, dabei die fabelhaftesten Erlebnisse zum Besten gab, inzwischen auch einmal durch Gefängnisse und Correctionsanstalten hindurchlief, entwirft ein Polizeibeamter folgende Schilderung:

„Man kann ihr trotz ihres gaunerischen Lebens seine Bewunderung nicht versagen, denn sie imponirt. Ihr Benehmen ist, so lange sie sich beherrscht, fein, vornehm. Ihre Rede ist gewandt, unterhaltend und so fesselnd, daß man ihr gern zuhört und zuletzt auch an die fabelhafte Geschichte ihres Lebens glaubt.“

Diese weiblichen Gaunerinnen borgen, wenn sie nicht blos auf ihr hübsches Gesicht reisen, gern die Masken der Officiers- und Beamtenwittwen, Gouvernanten, Künstlerinnen (ohne Kunst), Agentinnen für Dienstboten u. dgl. Den letzteren locken sie tüchtige Provisionen ab. Eine solche „Agentin für englische Bonnen“ hielt sich erst im vorigen Jahre längere Zeit in einem Dresdener Hôtel unter dem bestechenden Namen „Gräfin Reventlow“ auf, empfing eine große Anzahl junger Damen und vergaß bei ihrer etwas plötzlichen Abreise, wahrscheinlich im Drange der Geschäfte, Wirth und Schneider zu bezahlen. – Ein sehr einträgliches Geschäft für arbeitsscheue Dirnen ist seit Langem das Vermiethen an mehrere Herrschaften gegen Empfangnahme des Miethgeldes. Die Leichtfertigkeit, mit welcher viele Herrschaften mit oft ganz unbekannten Personen Miethsverträge schließen, wäre kaum glaublich, wenn sie nicht in dem namentlich auf dem Lande bestehenden Dienstbotenmangel ihre Erklärung fände.

Ein gewisser novellistischer Zug liegt in dem Verfahren der auf Verlobungen ausgehenden Gaunerinnen. Sie haben es vornehmlich auf junge Bauernbursche abgesehen, die gern reich heirathen möchten. Da man auf dem Lande immer noch viel auf die Ehrlichkeit in Gesicht und Rede giebt, so wissen sie bald den Glauben an ihre vorgespiegelten Reichthümer und damit die Neigung der goldlüsternen Freier zu erwecken. Nach mehrfachen Erpressungen und einer schwelgerischen Verlobungsnacht sind sie dann wie Gespenster im Morgenhauche verschwunden.

Das reiche Gebiet der Liebe wird natürlich noch in vielfacher Weise von der gaunerischen Praxis ausgenutzt. So ist die Praktik bekannt, daß ein Gauner mit dem an’s Fenster gelockten Hausmädchen ein Liebesgespräch unterhält, damit sein Genosse ungestört in’s Haus einschleichen und dort hantiren kann.

Daß es bei vielen unserer Heirathsagenten auch nur auf eine Geldprellerei abgesehen ist, das beweist z. B. der polizeiactliche Brief eines solchen an einen anfragenden Heirathslustigen. Darin schreibt der Agent, nachdem er dem heirathslustigen Anfrager durch die Angabe, daß er „eine Auswahl von hübschen und vermögenden Damen augenblicklich bis zu zweihundertfünfzigtausend Thalern an der Hand habe“, vorher den Mund wässern gemacht hat: „Gleichzeitig senden Sie mir auf jedes Tausend Thaler Vermögen, das Sie von der Braut wünschen, einen Vorschuß von fünf Thalern, mindestens aber einen Vorschuß von fünfzehn Thalern ein, und längstens drei Wochen später beraume ich ein Rendezvous mit einer oder mehreren passenden Damen an. Damen versenden ihre Photographien nur sehr ungern, weshalb ich auch keine versende. Das Honorar beträgt vier Procent, welches sich nach dem Vermögen der Braut richtet und acht Tage vor der Verheirathung zu zahlen ist.“ Der über eine solche Fülle weiblichen Reichthums verfügende Commissionär war selbst bereits fruchtlos ausgepfändet, auch schon bestraft.

Wie überhaupt das Gaunerthum mit den jeweiligen Anschauungen und Bedürfnissen zu markten versteht, wie es jeden neuen Fortschritt sich dienstbar zu machen weiß, so hat es auch unter geschickter Benutzung des sehr ausgebildeten Zeitungsannoncenwesens den materiellen Drang der Gegenwart nach Reichthum und raschem Erwerbe für sich ausgebeutet und so, ohne es zu wollen, eine stärkere Satire geliefert als je ein Dichter in Roman und Drama.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_030.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)