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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


trösten; was ihnen bei aller Pflege, bei allen Liebkosungen gefehlt habe, es sei die Freiheit gewesen, das höchste aller Güter, für das man selbst seine Wohlthäterin vergißt und ein Recht hat, sie zu vergessen.

Bei solcher Gesinnung darf man sich nicht wundern, daß Lucile eifrigen Antheil an den journalistischen Arbeiten Camille’s nahm. Kaum hatte dieser eine Nummer seines Blattes vollendet, als Lucile sich dieselbe zur Lectüre geben ließ und bei einzelnen Stellen über die Einfälle und Witze ihres Gatten in ein herzliches Gelächter ausbrach, welches für den Autor eine wohlthuende Ermuthigung war. Der Herzog von Orleans und andere namhafte Persönlichkeiten der Revolution besuchten die Salons von Camille. Lange Zeit hindurch schmückte dieselben das Bild von Lafayette, der von Lucile wie von den meisten Frauen der damaligen Zeit als Vorkämpfer der amerikanischen Freiheit verehrt wurde, bis auch ihn die Demokratie ächtete. Im Sommer bewohnte das junge Ehepaar oft ein reizendes Landhaus der Madame Duplessis in Bourg-la-Reine, wo sie sich in harmlosen idyllischen Vergnügungen ergingen. Theilnehmer derselben war Fréron, Camille’s Freund und ein leidenschaftlicher Verehrer der schönen Lucile, dessen Freundschaftsversicherungen, wie sie uns in seinen Briefen erhalten sind, Liebeserklärungen zum Verwechseln ähnlich sehen.

Lucile führte ein Tagebuch, welches lebhafte Schilderungen jener Zeit enthält und dessen einzelne Blätter nicht unwichtige Beiträge zur Charakteristik derselben sind. Wir sehen, in welcher furchtbaren Aufregung sich oft die Frauen jener Männer befanden, welche die revolutionären Stürme entfesselten; so besonders an dem verhängnißvollen Tage des zehnten August. „Was wird aus uns, armer Camille,“ ruft sie aus, „Geliebter meiner Seele! Ich wage kaum Athem zu holen. Mein Gott, warum schützest Du nicht die Männer, die Deiner würdig sind? Wir wollen frei sein; doch wie viel Opfer kostet dies, mein Gott!“ Lucile war am Abend des zehnten August im Hause Danton’s; da weinte die Mutter des wilden Volksmannes in unsäglicher Traurigkeit. Waffenlärm ertönte auf den Straßen; Camille erschien, ein Gewehr in der Hand. Mit beiden Händen bedeckte er Lucile’s Haupt und weinte heiße Thränen. Fréron erklärte, daß er lebensmüde sei und bereit zu sterben. Bewaffnete kamen und gingen. Lucile verbarg sich im dunkeln Salon, um die Vorbereitungen zum Kampfe nicht mitanzusehen. Danton, Camille hatten das Haus verlassen. Da ertönte die Sturmglocke der Cordeliers. Allein, in Thränen gebadet, am Fenster niederkniend hörte Lucile das verhängnißvolle Geläute. Endlich kam Danton zurück. Boten kamen und gingen; gute und schlimme Nachrichten wechselten. Sie vernahm, daß man den Plan hatte, gegen die Tuilerien zu rücken. Auch Camille kehrte heim und schlief ermüdet auf Lucile's Schultern ein. Abermals gingen die Männer des zehnten August an ihr blutiges Werk. Madame Danton schien auf den Tod ihres Mannes gefaßt zu sein; der Donner der Geschütze ertönte gegen Morgen; sie hört es, erblaßt und sinkt in Ohnmacht. Auf den Straßen Geschrei und Geschluchze; die Frauen glaubten, daß ganz Paris mit Blut überschwemmt sein werde. Bald erfuhren sie, daß die Revolution gesiegt habe, aber in grausamer Weise, daß die Schweizer blutig hingemordet seien, und der heimkehrende Camille erzählte, daß der Erste, den er fallen gesehen, der Journalist Suleau gewesen sei.

Am 12. August war Danton Justizminister, und Camille Desmoulins bekleidete eine der höchsten Stellen, welche juristischer Laufbahn zugänglich sind, die Stelle eines Generalsecretärs; dann wurde er auch in den Nationalconvent gewählt. Er unterstützte Robespierre im Kampfe gegen die Gironde, doch beklagte er die Hinrichtung der talentvollen Volksvertreter. Allmählich trat er gegen die gesteigerte Schreckensherrschaft in Opposition; er geißelte sie in seinem vieux Cordelier mit der einschneidenden Satire eines Tacitus, mit all’ dem glänzenden Witze und Sarkasmus, der seinem Talente eigen war. Er wurde bei den Jakobinern angeklagt; Robespierre vertheidigte ihn anfangs und gab ihn dann auf, als Camille ein geflügeltes Bonmot gegen den Gewaltigen nicht hatte unterdrücken können. Mit dem mächtigen, aber lässigen Danton sah sich Camille auf einmal bei Seite gedrängt; Beide lebten in glücklichen Verhältnissen, an der Seite anmuthiger und geliebter Frauen, im Schooße des Reichthums; die Blutarbeit der Revolution, die sich überstürzende Bewegung begann ihnen unbequem zu werden. Damit wurden sie verdächtig, und ihr Todesurtheil war gesprochen.

Lucile erkannte die drohende Gefahr; bald nach jener Scene im Jakobinerclub, nach der Anklage Robespierre’s gegen Camille, schrieb sie an ihren Freund Fréron einen hülfeflehenden Brief, der die rührend schönen Worte enthält: „Sie klagen Camille an, daß er ein reiches Weib geheirathet hat. O, möchten sie doch nie von mir sprechen, möchten sie vergessen, daß ich in der Welt bin, möchten sie mich in der Einsamkeit einer Wüste leben lassen! Nichts verlange ich sonst von ihnen; Alles, was ich besitze, will ich ihnen geben, wenn ich nur nicht dieselbe Luft mit ihnen zu athmen brauche. O, könnte ich sie vergessen und alles Weh, das sie uns zufügen. … Meine Augen sind mit Thränen gebadet; im tiefsten Grunde meines Herzens verschließe ich den bittern Schmerz, der mich zu Boden drückt; ich zeige Camille eine heitere Stirn und heuchle muthigen Sinn, damit dieser ihm nicht fehle.“

Fréron, der in Toulon damit beschäftigt war, die blutigen Befehle des Convents zu vollstrecken, antwortete nicht ohne Besorgnisse, aber dabei im Tone so liebkosender Tändeleien, daß man die verkleideten Schäfer des ancien régime in Trianon glaubt sprechen zu hören und um die Treue der schönen Lucile gegen ihren Gatten bange wird. Wunderbare Contraste jener Zeit! Der Nipptisch mit seinen Tändeleien stand dicht neben der Guillotine mit ihren Schrecken. Freilich, Fréron wurde nicht lange darauf der Anführer jener goldenen Jugend, die sich in den Salons der Madame Tallien drängte, und Lucile Desmoulins hat Verse hinterlassen, in denen sie, wetteifernd mit Ovid, die Kunst der Liebe, ihre anmuthigen Steigerungen und alle Feinheiten des Genusses besingt. Die ahnungsvollen Befürchtungen Lucile's sollten sich bald bestätigen. Camille hatte einen gefährlichen Feind in dem jungen Schreckensmanne Saint-Just, den er mit schonungslosem Witze beleidigt hatte. Saint-Just war, ehe er in der Revolution seine furchtbare Rolle spielte, mit der wandernden Guillotine hinter den Heeren einherzog und die Generale im Zaume hielt, als Dichter mit einem ziemlich frivolen Gedicht „Orgaut“ aufgetreten. Camille hatte erklärt, dieses Gedicht mit seinen vierundzwanzig Gesängen sei dem Mikroskope der Literarhistoriker entgangen, welche sonst die kleinsten Insecten der Literatur entdeckt hätten; er sagte ferner, Saint-Just trüge sein Haupt so würdig auf den Schultern, als trüge er das heilige Sacrament, worauf der kühne Genosse Robespierre’s entgegnete, er werde dafür sorgen, daß Camille das seinige wie Sanct Dionysius unter dem Arme trage. Der verunglückte Schriftsteller Saint-Just rächte sich an seinem hämischen Kritiker Camille. Literarische Gehässigkeiten spielen eine größere Rolle in der Revolution, als man in der Regel glaubt; man antwortete damals nicht mit einer Gegenkritik, sondern mit dem Fallbeile.

Saint-Just klagte Camille im Convent des Verrathes an; in der Nacht vom zum 30. zum 31. März wurde dieser aus den Armen seiner geliebten Lucile gerissen und in das Gefängniß geworfen. Von hier schrieb er Briefe aus zerknirschtem Herzen; der Gedanke an seine Frau machte ihm das Leben werth; seine Lucile, seine Seele, sein Leben, seine Gottheit auf Erben fesselte ihn wie mit magischer Gewalt. Er weinte im Gedanken an sie, als ihm das Todesurtheil verkündet wurde; er tobte vor Wuth gegen Robespierre noch auf dem Leichenkarren und zerriß seine Kleider. Er war ein beweglicher Kopf, ein glänzender Geist, aber ohne nachhaltige Kraft, ohne Ausdauer im Leiden, ohne Größe des Charakters und Heldenmuth.

Ganz anders Lucile: ihre Seele wuchs mit ihrem Unglück. Die kokette Schönheit des ancien régime wurde eine Heldin. Wir haben sie oft genug weinen gesehen; sie erzählt es uns ja selbst; doch sie weinte im Stillen. In Gesellschaft war sie die immer lächelnde Grazie, eine reizende Lachtaube, die Alles mit ihrer Heiterkeit ansteckte. Jetzt irrte sie mit ihrem kleinen Horaz um die Gefängnißmauern, um nur noch einmal den Gatten zu sehen; sie schrieb einen Brief an Robespierre, unter energischer Berufung auf die frühere Freundschaft; doch der Brief wurde nicht vollendet, nicht abgeschickt. Aehnlich erging es dem Briefe, den Madame Roland an den Gewalthaber geschrieben hatte. Doch Lucile wollte auch handeln; in Gemeinschaft mit dem befreundeten General Dillon sollte ein Aufstand in den Gefängnissen erregt werden; Lucile sollte das Geld dazu hergeben. Ein Brief des Generals an Lucile, der diesen Plan erwähnte, gerieth in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_027.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)