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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


am Flusse entlang lief, folgend, während Landeck eine schmale nur für Fußgänger berechnete Laufbrücke, die über das Gewässer führte, betrat und darauf sich rechts wandte, um flußaufwärts dem Hause des „Capitals“ zuzuschreiten.




3.

Als Landeck seinen Weg der Villa des Herrn Escher zu fortsetzte, dachte er voll Unruhe daran, daß Doctor Iselt wohl schwerlich ganz von seiner eifrigen und beredten Versicherung überzeugt sei, wie nur der reine Zufall ihn hierher in die Nähe der schönen Frau, die er früher an einem andern so fernentlegenen Orte gekannt, geführt habe. Landeck hatte Unrecht darin. Doctor Iselt war von dem, was er ihm vorgesagt, vollständig befriedigt; er ließ sich nicht einfallen, daß ein armer junger Gelehrter, ein Hauslehrer, wirklich habe die Thorheit begehen können, der vornehmen glänzenden Frau nachzuziehen.

Wir haben Landeck andeuten hören, was ihn vor ein Paar Jahren nach Hellas geführt. Dort, in Athen, wo die deutsche Colonie sich zusammenschloß, hatte er sich bei der Familie von Haldenwang, welche gastlich ihre Wohnung allen Landsleuten geöffnet hielt, einführen lassen. Der Mann war ein, wie es schien, nicht gerade reicher, aber sehr wohlhabender Gutsbesitzer aus Norddeutschland, der jedoch die meisten Tage seines Lebens den Genüssen der Residenz gelebt, in der Gesellschaft geglänzt, für die Kunst geschwärmt und endlich eine berühmte Sängerin heimgeführt hatte, die sehr viel jünger war als er. Landeck hatte jedoch sehr bald herausgefühlt, daß es nicht die Kunstschwärmerei gewesen, was den über sein Alter hinaus verbrauchten, blasirt gewordenen Baron Haldenwang in diese Welt großer Erinnerungen und auf den classischen Boden des Schönheitsideals geführt, sondern daß die junge Frau es gewesen, die dem Zuge ihrer licht- und sonnendurstigen Seele nach bis hierher gekommen war und ihren gutmüthigen Gemahl mit sich gezogen hatte, wie er auch in den meisten andern Lebensangelegenheiten ihr die Anregung zu überlassen schien.

Die Sehnsucht nach dem hellenischen Boden und dem blauen Himmel Attikas hatte nun bei ihr, der schönen und lebhaft empfindenden Frau, nicht etwa auf einer ganz außergewöhnlichen Bildung noch einer gelehrten Bekanntschaft mit der Formenschönheit der alten Welt beruht, welche hier ihre verstümmelten und trauernden Ueberreste hinterlassen. Gelehrte Bildung und ernst sinnende Beschäftigung mit den Lebensgestaltungen ferner Jahrhunderte hemmten den frischen und leichten Schlag ihres Herzens nicht. Aber sie trug doch ein Bild schöner geistesfreier und idealer Lebensformen in ihrer Seele. Landeck hatte mehrere Monate in einer stillen beglückten Schwärmerei für sie in Athen gelebt, bis eine plötzliche traurige Katastrophe eingetreten war, die allem ein Ende gemacht hatte. Der Baron von Haldenwang war von einem jener Fieber ergriffen worden, die im Süden das Leben der Fremden bedrohen und zwar an den schönsten und interessantesten Punkten zumeist; er war am Ende der vierten Woche der Krankheit derselben erlegen. Während dieser ganzen Zeit hatte Landeck die Baronin nicht gesprochen und auch ihre Wohnung nur betreten, um sich in das für Besucher offen liegende Buch einzuzeichnen; als er das letzte Mal gekommen, war er ebenfalls nicht empfangen worden; er hatte nur vernommen, daß sie am anderen Tage abreisen werde, und sie dann nur noch in Gegenwart mehrerer Bekannten gesehen, die ihr das Geleit auf den Bahnhof gaben; dort hatte sie ihm weinend stumm die Hand zum Abschiede gereicht, und dann hatte der Eisenbahnzug sie zum Piräus und zur weiteren Heimfahrt entführt.

Das war vor mehr als Jahresfrist gewesen; seitdem war er selbst zurückgekehrt mit dem Bilde der in ihren Trauergewändern doppelt schönen Frau tief im Herzen. Er hatte die schönsten Stunden seines Lebens in der zauberischen Fremde, in der idealsten Umgebung, die für ihn denkbar war, mit ihr zusammen gelebt. Und es lag ihm in der Seele wie ein Anrecht auch auf ihr Empfinden, auf ein Stück ihres Herzens, denn gemeinsam genossenes Glück, das uns ganz und völlig und bis in die Tiefe unseres Wesens ergriff, bindet ja edle Naturen für immer aneinander.

So dachte er an sie, vergaß über diesen Gedanken alles Andere, lehnte die Anstellungen ab, welche ihm an Lehranstalten geboten wurden, die ihn weit und auf immer von der Baronin entfernt hätten, und verschaffte sich endlich eine bescheidene Hauslehrerstelle in ihrer nächsten Nachbarschaft.

Als aber der Augenblick gekommen, wo er sie wieder sehen sollte, ergriff ihn eine fast peinvolle Sorge, ein niederdrückender Gedanke, der einen Haupttheil seiner Nahrung aus einer fast bis zur Schwäche gehenden Eigenschaft zog, einer Art sensitiven Stolzes, der sich doch wieder mit der größten Bescheidenheit vertrug. Frau von Haldenwang war jetzt frei; sie war Wittwe; trat er jetzt vor sie, wie müßte sie dieses plötzliche, unerwartete Erscheinen deuten? Wie anders, als daß er eben ihr gefolgt sei, daß er ihre frühere Güte gegen ihn in eitelster, kläglichster, beleidigendster Weise ausgedeutet habe, daß er mit Hoffnungen komme, welche ihn, den armen, aussichtslosen, unbedeutenden Menschen, in ihren Augen über alles Maß lächerlich machten und ihm von einer hochmüthigen, viel umworbenen, glänzenden Frau nur eine spöttische und sarkastische Aufnahme zuziehen konnten.

Darum hatte ihm, als er an seinem neuen Wohnort angekommen, fast der Muth gefehlt, zu ihr zu gehen. Durch ein sehr feierliches Billet hatte er sich erst um die Erlaubniß, sich vorstellen zu dürfen, bewerben zu müssen geglaubt. Ihr Diener hatte darauf sofort eine freundliche Einladung gebracht. Und doch war er schüchtern und verlegen bei ihr eingetreten. Sie hatte ihn mit Zeichen lebhaftester Freude empfangen, er es immer wieder betonen zu müssen geglaubt, daß nur der Zufall ihn in diese Gegend geführt, daß er überrascht gewesen, von ihrer Anwesenheit hier zu vernehmen. Und über diesen Versicherungen war sie offenbar kühl und verstimmt geworden, als ob sie nun erst beginne, ihm nicht zu glauben, und nun auch anfange, dieses seltsame Ihr-Nachgezogen-Kommen, dieses überraschende Auftauchen vor ihr in einer für ihn beschämenden Weise auszulegen. Das empörte seinen Stolz. So wurde er, als er in Folge ihrer Einladungen sie öfter sah, herbe, scharf und bis an die äußerste Grenze des Taktvollen ungalant – sie hatte ihn ja heute deshalb die „umgekehrte Biene“ genannt. Auf ihren klaren offenen Zügen, die jede innere Bewegung abspiegelten, zeigte sich sehr oft ein Ausdruck, den Landeck als den zorniger Geringschätzung deutete, und dies hatte die Wirkung gehabt, daß auch sie ihn nun gereizt empfinden ließ, wie sehr ihre gegenseitige Situation geändert sei, wie sehr die Zeit vorüber, wo ihre Herzen von demselben Schlage für irgend einen Gegenstand gemeinsamer Schwärmerei bewegt worden, wie sehr sie, sagte er sich bitter, die Edeldame von Haldenwang sei, die ihn in seiner Stellung zu halten wisse.

Landeck litt furchtbar unter dieser Lage, die ihm aussichtslos und ganz verzweifelt schien, weil sich einerseits immer mehr seine Leidenschaft für Frau von Haldenwang hineinmischte, die ihm jetzt in ihrer Kälte und Strenge tausendmal begehrenswerther schien als je früher in den Tagen ihres harmlosen Verkehrs, und weil er andererseits von Tag zu Tag weniger von der Entschlossenheit der Resignation in sich fühlte, mit der ein stärkerer Mann sich einer hoffnungslosen und ihn innerlich aufreibenden Lage entrissen hätte.

Nur das Gift der Eifersucht hatte sich bisher nicht gemischt in das Schmerzliche und innerlich Aufreibende seiner Lage. Er war gewohnt gewesen, Malwine Haldenwang von Huldigungen umgeben zu sehen, und die, deren Zeuge er hier wieder geworden, schienen ihm nicht gefährlicher Natur.

Jetzt waren Doctor Iselt’s Worte nahe daran gewesen, es ihm einzuträufeln, dieses Gift. Maiwand – sollte dieser Mensch, mit seinem überlegenen sarkastischen Lächeln, mit der neidenswerthen Sicherheit seines stillen, zurückhaltenden, kaustischen Wesens, dieser Mensch, der ihm so antipathisch war, der Mann sein, der Malwinens heitere, bewegliche, offene und sich so ungezwungen gebende Natur gewonnen? Durch die Macht der Gewohnheit? Durch die Macht des Schlangenblicks auf den Vogel, hätte Landeck lieber gedacht.

So kam er heim, unzufrieden mit sich, voll der schmerzlichen Klage, daß ein unwiderstehlicher Zug des Schicksals ihn seinen Lebensweg in dieses Flußthal zurücklenken lasse, heim in das stille Eckzimmer im zweiten Stock in der Villa des Herrn Escher, welches ihm als Wohn-, Arbeits- und Unterrichtszimmer eingeräumt war, während im Nebenraume das kleine Bett seines zwölfjährigen Zöglings Karl dem seinen gegenüber einen Platz gefunden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_022.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)