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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


wenige Auserlesene; denn die Erzeugnisse der ersten Glanzperiode unserer Literatur sind längst das fast ausschließliche Eigenthum der classisch Gebildeten unter uns geworden, dem großen Publicum aber sind sie seit lange fremd, wie jene poesiedurchwebten Tage selbst, denen dieses sagenumkränzte Liebespaar seine Existenz verdankt. Wir glauben daher nicht zur Unzeit zu kommen, wenn wir im Nachstehenden, sei es auch nur in gedrängter Kürze, eine Orientirung über die Hauptquelle dieser oft bewunderten Liebesmär sowohl nach ihrem stofflichen Gehalte, wie nach ihrem ästhetischen Werthe zu geben versuchen. Diese Hauptquelle aber, auf welche alle späteren Behandlungen des Tristan-Mythus zurückzuführen sind, ist bekanntlich Gottfried's von Straßburg große Dichtung „Tristan und Isolde“.

Fast bei allen Völkern des Abendlandes finden wir schon frühe die Spuren der sinnreichen und echt menschlichen Mär von Tristan und Isolde, welche ursprünglich aus der Phantasie keltischer Stämme hervorgegangen zu sein scheint. Wie es eine schöpferische Eigenschaft des Schönen ist, daß es überall, wo es sich zeigt, anregend und weckend, befruchtend und zeugend wirkt, so vervollständigte sich auch die Geschichte dieser Liebenden bei allen Völkern, zu denen sie kam, immer auf's Neue. Schon vor unserem Dichter haben Engländer, Franzosen und Deutsche den reichen Stoff vielfach behandelt.

Meister Gottfried von Straßburg, über dessen äußeren Lebenslauf uns nur überliefert worden ist, daß er seinen Zunamen von der alten elsässischen Hauptstadt führt und aus dem Bürgerstande hervorgegangen ist, dichtete sein Epos in den Jahren 1207 bis 1210 und zwar nach dem französischen Vorbilde des Thomas von Bretagne. Trotz der Anlehnung an ein bestimmtes Muster muß die Dichtung indessen als eine originale Leistung betrachtet werden; denn Gottfried prägte dem überlieferten Stoffe den Stempel seines eigenen Dichtergenius auf und schuf uns so, indem er die von tiefsinniger Poesie durchwehten mythischen Vermächtnisse einer fernen Zeit mit seinem eigenen Geiste erfüllte und sein edeles, warmes Herzblut belebend in den todten Sagenstoff goß, eine Dichtung von ureigener und dauernder Schönheit und Lebensfülle.

Der Inhalt des Epos ist in Kürze der folgende.

Die Einleitung erzählt die Liebesabenteuer Riwalin's, Königs im Parmenierlande, mit Blancheflur, der Schwester Marke's, des Königs von Cornwallis in England. Riwalin fällt im Kampfe gegen den benachbarten Fürsten Morgan, Blancheflur aber, von ihrem Bruder verstoßen, stirbt nach der Geburt eines Sohnes, der den bezeichnenden Namen Tristan, das heißt: der Traurige, erhält, da er in Trauer gezeugt und in Trauer geboren worden ist.

Der getreue Marschall Rual übernimmt die Fürsorge für den Knaben. Vom siebenten Jahre an läßt er ihn in allen Wissenschaften und Fertigkeiten unterrichten, so daß er mit dem vierzehnten viele Sprachen sprechen kann und in ritterlichen Uebungen erfahren ist. Da fällt er in die Gewalt norwegischer Kaufleute, welche ihn als gute Beute mit sich führen. Als aber ein Sturm sie auf dem Meere überfällt, da setzen sie, von Gewissensbissen gefoltert, den Knaben an der Küste von Cornwallis aus. König Marke hält gerade eine Jagd ab, und dies giebt Tristan Gelegenheit, sich als trefflichen Jäger und Hornbläser zu zeigen. So erwirbt er die Gunst des Königs, der ihn an seinem Hofe freundlich aufnimmt. Inzwischen ist auch der treue Rual, der den Verlorenen überall gesucht hat, zu Tintayol, Marke's Hauptstadt, eingetroffen und klärt den König über Tristan's Herkunft auf. Marke begrüßt ihn als seinen Neffen und schlägt ihn zum Ritter. Die ersten Thaten Tristan's sind, daß er den Tod seines Vaters an Morgan rächt, indem er denselben erschlägt und Cornwallis von einem Tribute an Irland befreit, der in der Lieferung von dreißig schönen Knaben besteht. Er erreicht dies, indem er Morolt, den Eintreiber des Tributes, im Zweikampfe tödtet. Aber Tristan ist durch einen vergifteten Pfeil des Gegners verwundet worden. Heilung kann ihm nur Morolt's Schwester, die weise und zauberkundige Königin von Irland, schaffen. Als Spielmann und unter dem Namen Tantris begiebt er sich nach Irland und findet durch die Königin die ersehnte Heilung. Zum Danke ertheilt er deren Tochter, der blonden Isolde, Unterricht im Saitenspiele und kehrt dann nach Cornwallis zurück. Seine Schilderungen von der schönen Isolde erwecken in dem greisen König Marke den Wunsch, die liebreizende Jungfrau zur Gemahlin zu haben. Tristan begiebt sich daher als Freiwerber seines Onkels wieder nach Irland, und nachdem er einen gewaltigen Drachen, welcher das Land verwüstet, getödtet hat, geht er mit der schönen Isolde als Marke's Braut zu Schiffe.

Hiermit hebt in der Dichtung der wichtigste Moment und zugleich die Wendung zum Tragischen an. Die Königin hatte nämlich ihre Nichte Brangäne, welche Isolde begleitet, einen Liebestrank mit der Weisung mitgegeben, denselben am Hochzeitsabende in das Getränk der Neuvermählten zu mischen. In Folge eines Irrthums trinken Tristan und Isolde während der Reise von dem verhängnißvollen Zaubertranke und entbrennen in gegenseitiger Liebe. Die Vernunft in ihnen unterliegt der Leidenschaft, und nun beginnt nach der Vermählung des Königs Marke mit Isolde eine schmähliche Täuschung des Alten, hinter dessen Rücken das Liebesverhältniß Tristan's mit der schönen Irländerin sich lange ungestört fortspielt, bis Marke endlich doch Verdacht schöpft. Unter der Schilderung von mancherlei Abenteuern, welche die Liebenden zu bestehen haben, nimmt die Dichtung ihren Fortgang: Marke verbannt Beide mehrmals von seinem Hofe und ruft sie, von Zweifeln an ihrer Schuld bewegt, immer auf's Neue wieder zurück. Längere Zeit führen sie ein märchenhaftes Liebesleben in der Wildniß. Endlich verrathen die Liebenden sich vollends durch eine Unvorsichtigkeit, und Tristan muß vor dem Zorne Marke's fliehen. Auf seinen Wanderungen gelangt er an den Hof des Herzogs von Arundel, wo er in dessen Sohne Kahedin einen Freund findet. Dieser hat eine schöne Schwester, welche ebenfalls Isolde heißt und wegen ihrer schneeweißen Hände den Zunamen Weißhand führt. Ihre unwiderstehlichen Reize umstricken den vor Sehnsucht nach der ersten Geliebten fast sinnverwirrten Tristan mit dämonischer Gewalt, und in seinem erregten Gemüthe fließen die Gestalten der beiden Isolden zu einer zusammen. Da ergreifen ihn im Gefühle seiner Treulosigkeit gegen die Jugendgeliebte schwere Qualen des Gewissens. Indem der Dichter diesen peinvollen Zustand Tristan's schildert, bricht er sein Gedicht plötzlich ab. Man weiß nicht, ob der Tod oder eine andere Ursache ihm die Feder aus der Hand nahm.

Gottfried's Dichtung fand zwei Fortsetzer, den einen um 1250 in Ulrich von Türheim, den anderen im letzten Drittel desselben Jahrhunderts in Heinrich von Freiberg. Beide weichen in ihren Fortsetzungen in manchen Punkten voneinander ab. Den Grundzügen nach aber lassen sie die Liebesmär folgendermaßen enden: Tristan kann den Versuchungen, in welche er sich durch die Liebe zur Isolde Weißhand verstrickt fühlte, nicht widerstehen und vermählt sich mit ihr. Allein diesem Frevel an der ersten Geliebten folgt schnell die Vergeltung auf dem Fuße nach. Sofort nach geschlossenem Bunde fällt ihm die Reue auf's Herz, so schwer, daß er in der Brautnacht, von bangem Zagen des Gewissens ergriffen, sein Weib unberührt läßt. Nachdem dann diese Halbehe eine Zeitlang bestanden und Tristan auf seinen abenteuerlichen Streifereien die andere Isolde noch einmal gesehen und all seine Herzenspein durch ihre süße Nähe doppelt empfunden hat, wird er bei einer Liebesfehde seines Schwagers Kahedin tödtlich verwundet. Im Gefühle seines herannahenden Endes ergreift ihn namenlose Sehnsucht zu seiner ersten Geliebten, der blonden Isolde; er entsendet daher einen Boten nach Cornwallis, dieselbe zu ihm einzuladen, damit sie ihn heile, und giebt ihm den Befehl, wenn er bei seiner Heimkehr die Geliebte mitbringe, ein weißes Segel aufzuhissen, wenn nicht, ein schwarzes. – Die blonde Isolde folgt dem Rufe des Geliebten. Das Schiff naht sich. Auf Tristan's Frage nach dem Segel antwortet die eifersüchtige Weißhand, es wehe ein schwarzes. Augenblicklicher Tod des schwer Verwundeten ist die Folge dieser Bosheit sein Weibes. Die blonde Isolde kommt, vernimmt den Tod des heißgeliebten Mannes, eilt in's Münster, wohin sein Leichnam gebracht worden, und stirbt über dem Geliebten. König Marke holt die Leichen der Liebenden nach Tintayol, läßt sie nebeneinander bestatten und pflanzt auf Tristan's Grab einen Rosenstock, auf das Isoldens eine Rebe. Rosenstock und Rebe verschlingen ihr Gezweig unzertrennlich ineinander; denn selbst im Tode läßt Liebe von Liebe nicht.

So endet die Mär von Tristan und Isolde.

In dem Nachworte zu seiner verdienstvollen Uebersetzung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_006.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)