Seite:Die Gartenlaube (1874) 794.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Durchschnitte bringt der Canal in jeder Secunde zwei und einen halben Kubikmeter oder zweitausendfünfhundert Liter Wasser, doch ist das Quantum nach Tages- und Jahreszeit sehr veränderlich. Um elf Uhr Mittags traf am meisten ein, um zwei Uhr Nachts am wenigsten. Bei heftigem Regenwetter wurde die Wassermenge mehr als verdoppelt und sank bei anhaltender Dürre auf ein Drittel des Mittelwerthes. Um den Werth für den Ackerbau darzuthun, berechnete man annähernd, wie hoch der Preis der von den siebenzig Millionen Litern Abwasser jährlich mitgeführten Dungstoffe

Die Wallfahrt nach Kevlaar.
Originalzeichnung von Professor Thumann.

sein würde, wenn man sie in gewöhnlicher Weise ankaufte. Dies ergab die ansehnliche Summe von sieben Millionen Franken, die also bis dahin nur schadenbringend der Seine zugeführt wurde.

Was nun die Erfolge der Versuche betrifft, so brachte die chemische Methode zwar die Gewißheit, daß ein Zusatz von schwefelsaurer Thonerde das Wasser veranlaßt, in großen Bassins seine Schlammtheile vollständig abzusetzen und klar abzufließen; indessen ist die Reinigung insofern nur eine scheinbare, als ein Drittel der verunreinigenden Stoffe in aufgelöster Form vom Wasser zurückgehalten wird. Weit vollkommener wirkte die Berieselung von Ackerland. Das den Boden durchsickernde Wasser verlor nicht allein seine Schlammtheile, sondern auch fast alle in Lösung befindlichen Substanzen, namentlich die gefährlichen, welche dem Pflanzen- und Thierreiche entstammten. Gemüse, Getreide, Gras etc. gediehen im berieselten Boden zu üppiger Ernte. Auch waren Geschmack und anderweitiges Verhalten von den in gewöhnlicher Weise geernteten Früchten nicht verschieden. Ferner beklagte sich Niemand über die von den Gegnern der Berieselung vorhergesagten übeln Ausdünstungen und Gerüche, weil sie nicht zu bemerken waren, so wenig im Felde, wie in dessen Umgebung. Die Ansicht des M. Mille hatte somit einen glänzenden Sieg errungen und die chemische Methode konnte nur noch als Aushülfe in Betracht kommen, um etwa im Winter das vom Boden zurückgewiesene Wasser zu klären.

Die Berechnung ergab, daß etwa zweitausend Hectare Bodenfläche genügen würden, um alle Abwässer von Paris darauf während des ganzen Jahres zu vertheilen. Glücklicher Weise brauchte man das geeignete Teerain nicht weit zu suchen. Es lag auf dem Clichy gegenüberliegenden Seine-Ufer in der Ebene von Gennevilliers, wie zu diesem Zwecke geschaffen, ein sehr durstiger durchlassender Sandboden mit Kiesunterlage, der wegen dieser Eigenschaften bisher nur spärliche, in trockenen Jahren verschwindende Ernten gegeben hatte. Für diesen Boden mußte das Wasser höchst segensreich wirken. Allein die anliegenden Gemeinden wollten nichts davon wissen. Wie in früheren Zeiten die erleuchteten Magistrate vieler Städte sich mit allen Mitteln gegen die ihnen zugedachten Eisenbahnen wehrten, so entstand hier eine allgemeine Opposition gegen die beabsichtigte Wasserzuführung.

Die Stadt beschloß, ohne Gewaltmittel vorzugehen und die gute Sache durch überzeugende Beispiele mit der Zeit siegen zu lassen. Sie kaufte in der Nähe ein Grundstück von fünf bis sechs Hectar, versah dasselbe reichlich mit Abwasser und übergab es gratis geschickten und willigen Gärtnern zur Bebauung. Unter erfahrenen fleißigen Händen bedeckte sich der unfruchtbare Boden bald mit den üppigsten Pflanzen, welche ihre Nahrung dem Canalwasser entnahmen und durch ihr herrliches Gedeihen den Reichthum des Wassers bekundeten. Neidisch sahen jetzt die umliegenden Landleute ungeahnte Erträge heranreifen und baten nun ebenso dringend um Wasser für ihre Ländereien, wie sie es vorher zurückgewiesen. Die Gesuche wurden natürlich gern gewährt. Dadurch erlangte das Ganze ein so erfreuliches Ansehen wunderbarer Fruchtbarkeit, wie die Oase in der Wüste. Selbst der Kaiser Napoleon wurde hingeführt, um den Anblick zu genießen. Er soll sich auch sehr daran ergötzt haben, allein das hinderte ihn nicht, bald das Signal der Zerstörung zu geben, indem er Deutschland den Krieg erklärte. Beim Nahen des deutschen Heeres wurden die Seinebrücken und damit die Wasserzuleitungen zerstört. Später wurden die eben befruchteten Felder von den Soldaten der Regierung in ihren Kämpfen gegen die Commune zertreten und die Maschinen-Anlagen mit Granaten beworfen. Als ruhigere Zeiten eintraten, hat man sie wieder aufgebaut und das Werk soweit entwickelt, wie wir es jetzt fanden. Wir bitten den Leser uns auf einem Rundgange zu begleiten.

Vom Bahnhofe St. Lazare in Paris kommt man durch ein Billet nach Asnières in wenigen Minuten an Ort und Stelle. Von Asnières führt der Weg über die nahe Seinebrücke zur

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_794.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)