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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

fragte mich, wo ich mein Gepäck habe. Ich sagte ihm, daß ich es im Meierhofe bei meinem Führer gelassen.

„Sie brauchen jetzt keinen Führer mehr,“ fiel er lächelnd ein. „Ich bestehe darauf, daß Sie einige Wochen hier bleiben und mein Gast sind. Ihr Gepäck werde ich sogleich holen lassen; den Führer können Sie im Laufe das Tages verabschieden. Sind Sie damit einverstanden?“

„Sie überschütten mich mit Güte,“ sagte ich, „und thun es auf eine so liebenswürdige Weise, daß ich entschlossen bin, zu bleiben und mich ruhig überschütten zu lassen.“

Er bat mich nun, mit ihm auf seine Zelle zu kommen. Wir verließen den Saal. Bodiwil hatte einen leichten, eleganten Schritt und eine prächtige Haltung. Er sagte mir, indem wir einen langen Gang durchschritten, daß die Fundamente des Gebäudes römischen Ursprunges seien. Es sei anzunehmen, daß die Saracenen später eine Festung hier gehabt, wofür der orientalische Thurm an der Ostseite des Gebäudes spreche. „Im Erdgeschosse,“ sagte er, „sind das Empfangszimmer, ein immenser Festsaal, welcher die ganze Westseite einnimmt, die Zimmer des Prälaten, die Bibliothek, eine Naturaliensammlung, das Refectorium, die Apotheke, mehrere Lehrsäle und die Kapelle. Im oberen Stocke liegen die Zimmer der Stiftsherren und der Zöglinge, die Fremdenzimmer, eine Gemäldesammlung, einige Lehrsäle und das Atelier der malenden Zöglinge.“

Wir stiegen über eine steinerne Treppe in den obern Stock, wo auf der Nordseite über dem Garten Bodiwil’s Zelle lag, wie er sein Zimmer nannte. Es war ein Saal, durch einen Vorhang von schwerem violettem Seidendamast in zwei ungleiche Theile getheilt. Die größere Hälfte bildete Bodiwil’s Studir- und Wohnstube; in der kleineren schlief er. Der Vorhang war in der Mitte offen; ich sah über Bodiwil’s Bett ein Gemälde, eine Sphinx darstellend. In der Studirstube standen ein Schreibepult, ein Piano, verschiedene Glasschränke, in welchen ich Bücher und ägyptische Merkwürdigkeiten sah; auf einer niedrigen Truhe stand ein ägyptischer Sarg, der eine Mumie enthielt.

Bodiwil sagte, als er meine Ueberraschung sah: „Wundern Sie sich über meine Vorliebe für Aegypten? Ich habe stets eine unbezwingliche Neigung für das tiefsinnige Land der Sphinxen gehabt, und der Wunsch, jenes Land zu sehen, wurde eine Plage für mich und für Andere. Mein Oheim, der Prälat, wollte mich wohl nach Italien gehen lassen, weil er dachte, es sei für meine künstlerische Ausbildung nothwendig; allein eine Reise nach Aegypten hielt er für unzweckmäßig. Ich ließ mich nach Italien schicken, und von da aus ging ich, ohne um Erlaubniß zu fragen, nach Aegypten. Ich schrieb dem Prälaten aus Kairo, daß, wenn er mir diese Unart nicht verzeihe, ich Muselmann werden und einen Turban tragen werde. Darauf kam eine vollständige Verzeihung und die Erlaubniß, das ganze Nilthal bereisen zu dürfen.“

Auf meine Frage, wie lange Zeit er dazu gebraucht habe, antwortete er:

„Zwei Monate; was für die Schätze Aegyptens gerade so wenig ist, wie zwei Tage für die Genüsse dieser Erde.“

„Darf ich das Gemälde über Ihrem Bette sehen?“ fragte ich.

Bodiwil zögerte, wie es mir schien, einen Moment, sagte aber sehr verbindlich: „Gewiß, es ist mein bestes Bild; allein dies ist das Verdienst des Gegenstandes und nicht das meinige.“

Das Gemälde wirkte auf mich wie jene Weine, welche erst eine süße Wärme, aber nach und nach ein fahrendes, wahnsinniges Feuer in uns verbreiten. Die Sphinx lag im Sande hingestreckt, das Angesicht voll dem Beschauer zuwendend. Das Licht im Bilde hatte die matte bräunliche Färbung der Abenddämmerung. Ein Purpurstreifen, der sich am Himmel hinzog, ließ einen zarten Schimmer auf den Scheitel der Sphinx fallen. Der Scheitel war von der strengen ägyptischen Haube bedeckt, welche bis zu den Schultern herab fiel und ein weißes, mit goldenen Fäden durchwirktes Gewebe zu sein schien. Das Angesicht der Sphinx, welche nicht ein steinernes Bild, sondern ein lebendiges Weib war, hatte die Blässe einer sehr blassen Theerose. Feine, gerade Augenbrauen zogen sich über den nicht besonders großen, mandelförmigen Augen hin, welche die Farbe einer reifen Haselnuß hatten. Der Mund war unbeschreiblich süß und unbeschreiblich ernst, das Kinn weich und oval. Zwei dicke braune Flechten fielen unter der Haube herab und verschlangen sich auf der Brust zu einem reichen Knoten.

Aber die Stirn! Sie war breit, voll und von so geistiger Feinheit, daß die Gedanken darunter hervorzuleuchten schienen. Der Ausdruck der Augen war leidenschaftlich und tiefsinnig, sanft und begeistert, durchdringend und träumerisch. Ich dachte bei mir: wenn ein solches Weib lebt, der, welcher es sähe, müßte seine Seele daran verlieren.

Bodiwil führte mich nun in sein Privat-Atelier, welches neben dem Studirzimmer lag. Ich würde zu weitläufig werden, wollte ich hier eingehend von den Bildern sprechen, welche ich sah. Ich hebe nur einen Christus hervor, in dessen herrlichem Angesichte Hoheit, Milde und feine Ironie auf’s Wunderbarste verschmolzen waren. Alle Bilder Bodiwil’s hatten indeß die Gewalt der Wahrheit und des Ureigenen. Täglich, so lange ich im Stifte war, stand ich vor diesen Schöpfungen, und mit jedem Tage bewunderte ich sie mehr. Der Fürst Ap. hatte mit Recht gesagt: „Bodiwil’s Bilder erinnern an keine Schule und an keine Epoche. Es ist eine absolute, große Individualität darin, die Individualität eines gottbegnadeten Genies.“

Bodiwil’s Schule zählte neun Zöglinge, von welchen zwei bedeutendes Talent hatten. Ihre Bilder waren übrigens frei gewählt und frei ausgeführt. Bodiwil’s Princip war, die Individualität seiner Schüler herauszulocken; er wollte, daß Jeder eine eigene Auffassung und Gefühlsweise, einen eigenen Styl, eigenen Ausdruck und Ton habe. Er erkannte diese Verschiedenheiten unter seinen Schülern mit seltenem Scharfsinne und bildete sie künstlerisch aus durch die Unmittelbarkeit und Feinheit seines Genies.

Dieses Princip der Originalität, der Vielseitigkeit gab der kleinen Schule zu Constantin einen Vorzug, der nicht genug geschätzt werden kann. Bodiwil war übrigens nicht eigentlich der Stifter der Schule. Er erzählte mir, daß er im Alter von zwölf Jahren seine Eltern verloren habe. Der Prälat des Stiftes, ein Bruder von Bodiwil’s Vater, führte den verwaisten Knaben nach Constantin. Es hatte damals schon ein älterer Stiftsherr die Malerei in den Unterricht eingeführt und, da die meisten Zöglinge drei bis vier Jahre im Stifte blieben, die talentvollsten der Schüler bis zu einem gewissen künstlerischen Grade ausgebildet. Bodiwil hatte nie einen anderen Unterricht, als den des alten Stiftsherrn genossen. Sein wunderbares Genie ward die Veranlassung einer Theilung unter den Schülern. Man schied die entschiedenen Talente von den mittelmäßigen und beschloß, die letztern als Dilettanten, die erstern aber als angehende Künstler zu betrachten. Es wurde ein Atelier gebaut und die zu einer Schule gehörenden Requisiten angeschafft. Die kleine Bildergalerie des Stiftes bestand, mit Ausnahme einiger alter byzantinischer Bilder, nur aus Gemälden der Zöglinge. Nach des alten Stiftsherrn Tode ward Bodiwil das Haupt der Schule. Er beschäftigte sich täglich zwei Stunden mit seinen Zöglingen im allgemeinen Atelier. Außer der Malerei lehrte er Geschichte der bildenden Kunst, Geschichte des Alterthums und Anatomie. Seine Kenntnisse des Alterthums, namentlich Aegyptens und Indiens, waren staunenswerth; sein Vortrag frei, fließend, hinreißend.

Je mehr ich diesen klaren, überlegenen Verstand, diesen sprühenden Geist, diese warme, große Natur kennen lernte, desto unbegreiflicher ward es mir, daß Bodiwil sich mit der dumpfen, obscuren Existenz auf Constantin begnügte. Hätte er in der Welt gelebt, so würde er sich einen unsterblichen Namen errungen haben.

Man hatte mir ein Zimmer in Bodiwil’s Nähe angewiesen, und da er ebenso viel Sympathie für mich zu haben schien wie ich für ihn, so fühlte ich mich im Stifte schon nach einigen Tagen wie zu Hause. Nach dem Abendessen pflegten Bodiwil und ich im Garten auf und ab zu gehen. Oftmals machte Bodiwil einsame Spaziergänge, nach welchen ich ihn stets einsilbig und zerstreut fand. Bei unseren gemeinsamen Spaziergängen war er mittheilsam und beinahe überfließend. Als ich ihn einmal fragte, ob er aus eigener Wahl Klosterherr geworden sei, da zuckte er die Achseln und sagte:

„Mein Onkel hatte diese Idee, als ich noch zu jung war, um selbst Ideen haben zu können. Auch liebte ich die Malerei so leidenschaftlich, daß ich ganz darin aufging und nicht dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 785. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_785.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)