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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Anden oder Kordilleren jählings empor, hier in zwei seiner schönsten Kolosse gipfelnd, in dem breitkuppeligen Chimborasso und in der blendend weißen Pyramide des Kotopaxi.

Am nächsten Morgen kreuzten unsere Abenteurer die Bucht und gingen vor Anker angesichts der wohlgebauten Stadt Tumbez, deren Aussehen ihre Zugehörigkeit zu einem civilisirten Staatswesen bezeugte. Das Zeugniß trog nicht. Tumbez war eine volkreiche Stadt des Inka-Reiches.

Das so lange, so mühsälig gesuchte El Dorado war gefunden; denn Pizarro landete an der Küste von Peru.




3.


Wo lag Peru? Wie war es mit dem Inka-Reiche?

Amerika – das darf jetzt für ausgemacht gelten – hat seine Urbevölkerung von Asien her erhalten. Wir können uns die Stunde vorstellen, wo ein Halbthier von Mensch nordasiatisch-mongolischer Rasse seine Blicke über die Beringstraße hinüberwarf und sich fragte: Kann ich da hinüber gelangen? Diese Frage muß so oder so gelöst worden sein, denn die Rassegenossenschaft der asiatischen Mongolen und der amerikanischen Indianer scheint einer begründeten Anzweifelung kaum noch unterstellt werden zu können. Im übrigen ist die vorzeitliche Geschichte Amerika’s bis zur Ankunft der Europäer in der Neuen Welt vorerst ein Chaos, für dessen Entwirrung und Aufhellung zwar schon vieles gethan worden, aber noch weit mehr zu thun sein wird. Die zwei großen Pfadesucherinnen und Pfadefinderinnen, die vergleichende Sprach- und Religionsforschung, haben hier noch eine ungeheure Wildniß zu durchwandern.

Geschichtliche Thatsache ist vorderhand, daß die indianische Bevölkerung Amerika’s vor der Ankunft der Europäer auf sehr verschiedenen Kulturstufen stand. Ebenso, daß die Spanier im 16. Jahrhundert in Centralamerika schon auf die ruinenhaften Ueberbleibsel einer bereits zu Grunde gegangenen Civilisation stießen. Endlich, daß wir durch Vermittelung der spanischen Conquistadoren von den Zuständen, von der Macht und von dem Verderben der zwei bedeutendsten Staats- und Gesellschaftswesen, welche die Cultur der amerikanischen Rothhäute geschaffen hatte, vom Azteken-Reich in Mexiko und vom Inka-Reich in Peru, umfassende Kunde besitzen. In welchem Lichte den erobernden Spaniern diese beiden Staatswesen erschienen, bezeugt schon der Umstand, daß sie dem Beherrscher von Mexiko wie dem von Peru den Titel ihres eigenen Monarchen, den Titel Karl’s des Fünften, den Titel „Kaiser“ (emperador) beilegten und damit die außerordentliche Machtstellung dieser indianischen Fürsten anerkannten. Freilich mag hierbei auch die Absicht der Eroberer, die Größe ihrer Wagnisse und ihrer Erfolge in ein möglichst glänzendes Licht zu stellen, mit im Spiele gewesen sein.

Als Pizarro und seine Miträuber – denn diese Bezeichnung gebührte im Grunde doch der ganzen Sippschaft – an der Küste von Peru erschienen, hatte dieser Staat das Hochmaß seiner Ausdehnung erreicht, während seine Gesundheit und Kraft schon im Sinken begriffen waren. Man kann die ungefähren Grenzmarken des Reiches bestimmen, wenn man sagt, daß die Inka-Kaiser das ganze Gebiet beherrschten, welches heutzutage die vier sogenannten Republiken Ecuador, Peru, Bolivia und Chile einnehmen. Der unterirdische Reichthum des Bodens war ein außerordentlicher und namentlich durfte Peru mit Grund ein Goldland, das Goldland heißen. Die oberirdische Bodenbeschaffenheit dagegen konnte sich an Fruchtbarkeit mit den östlichen Küstenländern von Süd- und Mittelamerika bei weitem nicht messen. Im peruanischen Reiche mußte gearbeitet werden und zwar tüchtig, um die nöthigen Lebensmittel für die Bevölkerung zu beschaffen. Die große Meisterin Noth mit ihrer erstgeborenen Tochter Arbeit, sie waren auch hier, wie überall, die Kulturbringerinnen.

Man hat die Anfänge der peruanischen Civilisation früher am Titikakasee suchen zu müssen geglaubt, ist aber jetzt vergewissert, daß diese Civilisation in und bei Kuzko ihren Ursprung genommen habe. Diese Stadt, deren Name „Nabel“ bedeutet, war der geheiligte Mittelpunkt des Inkareiches, und es drängt sich uns als ein denkwürdiger Zusammenklang in den Anschauungen grundverschiedener und einander wildfremder Völker die Erinnerung auf, daß die Hellenen ihr Nationalheiligthum Delphi ebenfalls den „Nabel“ (der Erde) genannt hatten. Von Kuzko aus war die peruanische Cultur in der Form der Eroberung südwärts bis an die Grenzen des Araukanerlandes, nordwärts über Quito hinaus vorgedrungen. Ostwärts erstreckten sich die Grenzen des Reiches bis hinauf zur Wasserscheide der Anden und da und dort auch über die Kämme derselben hinüber und in die Pampas des südamerikanischen Festlandes hinein. Unlange vor der Ankunft der Spanier hatte das Reich der Inka den Gipfel seiner Machthöhe erreicht.

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(Fortsetzung folgt.)




Zwei stumpfe Ecken Berlins.


Wenn man im ältesten Theile der jetzigen Hauptstadt des deutschen Reichs vom Molkenmarkt aus den Weg nach dem Kölnischen Fischmarkt einschlägt, sieht man in der von der Poststraße und dem Mühlendamme gebildeten „stumpfen Ecke“ die stattlich abgerundete Façade eines drei Stockwerke hohen Gebäudes hervorspringen, dessen reiner und sauberer Anstrich ihm fast ein modernes Ansehen verleiht, das aber bei näherer Betrachtung in seinem Baustil und seinen Verzierungen unschwer seinen alterthümlichen Charakter erkennen läßt. Der von acht Säulen getragene Balkon mit dem künstlerisch schöngeformten Gitter und den zierlichen Figuren, sowie hoch oben die steinernen Vasen, welche das Gebäude krönen, deuten darauf hin, daß es kein gewöhnliches Bürgerhaus ist. Und in der That, das hohe Alter und die historisch denkwürdige Vergangenheit des Hauses, welches mehrere absonderliche Geschlechter durch seine Räume ziehen sah, berechtigen es, mit selbstbewußter Würde auf seine niedrigen und unscheinbaren Nachbarn herabzublicken.

Der sogenannte „Mühlendamm“, dessen Abschluß das Gebäude auf seiner rechten Seite bildet, gehört zu den ältesten Anlagen der Stadt und zugleich zu denjenigen Theilen derselben, welche seit ihrer Erbauung keine sehr wesentliche Umbildung der äußeren Form erfahren haben. Um das Jahr 1100 soll die Anlegung von Mühlen, veranlaßt durch den größeren Bedarf an Mehl, der eine Folge der rasch zunehmenden Bevölkerung war, stattgefunden haben. Sie standen ursprünglich der Landesherrschaft zu, wurden aber später theilweise von dem Rathe und den Bürgern Berlins erworben. Dieses getheilte Eigenthumsrecht hörte nach der großen Empörung der Berliner Bürger 1448 unter der Regierung des Kurfürsten Friedrich’s des Zweiten auf. Stadt und Bürger büßten alle ihre Lehne und auch ihre Mühlen ein, welche von diesem Zeitpunkte an Eigenthum des Landesherrn wurden und es auch geblieben sind. Der Mühlendamm selbst bestand vor Alters aus einem schmalen, unansehnlichen Gange, welcher mit einigen hölzernen Krambuden besetzt war.

Etliche solcher „Hausbuden“ nahmen denn auch ursprünglich die am Mühlendamm gelegene Seite unseres Grundstückes ein, während in der Front der Poststraße mehrere von einem offenen Platze umgebene Gebäude auf demselben standen. Die ältesten Urkunden über das Grundstück, welches jetzt die Nr. 16 der Poststraße führt, reichen bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts. Wenn man heutigen Tages den wohlgeordneten großstädtischen Verkehr beobachtet, wird man sich kaum eine Zeit vorstellen können, in welcher diese Gegend wüst, schmutzig und der Heerd schrecklicher Seuchen war. Bei Regenwetter bildeten sich auf dem ungepflasterten Damm der Straße riesige Pfützen, in denen sich das Federvolk der Enten und Gänse mit Behagen niederließ. Jeder Hauseigenthümer hielt sich dergleichen Hausgethier, welches für stattliche Mistbeete sorgte, die den Zugang zu den mit Lehm oder, wenn es hoch kam, mit Schindeln gedeckten und durch kleine Sandwüsten oder schlammige Sümpfe von einander getrennten Häusern erschwerten. Denkt man sich um dieses ungeregelte, schmutzige Chaos erbärmlicher Wohngebäude eine halbverfallene Mauer, welche schwerlich im Stande

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 777. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_777.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)