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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 45.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die Geschichte vom Spötterl.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Aus den bairischen Bergen. Von Herman Schmid.


(Fortsetzung und Schluß.)


4. Ich weiß nur, was ich hab’.


Der Sommer ging wieder zu Ende. In den Kirschbäumen um Tegernsee glühten und dunkelten die rothen und schwarzen Früchte, die immer später reifen als draußen im milderen Flachlande; in den Grasgärten um die Bauernhöfe fingen die Zwetschen zu blauen an, und als wollten sie mit freundlicher Färbung nicht zurückbleiben, vergilbten die Birken an den Höhen und begannen die Buchen der Wälder sich zu röthen. In Haus und Hof rüstete man sich überall für den Herbst, dem oft nur zu rasch der Winter auf die Fersen tritt. Um Fenster und Thüren wurde das Brennholz als Schutzwand und Vorrath aufgeschichtet, und aus den Scheunen klopfte schon hier und da der Tactschlag der Drischel, während auf den Berghalden das Winterheu schon in den zerstreuten Hütten untergebracht und von den höher gelegenen Almen die Abfahrt bereits gehalten war. Schwalben und Staare bereiteten sich zum Abzuge; dafür waren im Seethale andere Zugvögel angekommen – Gäste, die man gleich gern sah und mit gleicher Freude willkommen hieß wie jene, wenn sie zum Beginne des Frühjahrs kamen, den Lenz zu verkünden. König Max war wieder da, um den Jagdfreuden obzuliegen, das Herz zu erfreuen an der Schönheit des Thales und den Sinn zu erfrischen an seiner paradiesischen Ruhe und Einsamkeit.

Um diese Zeit war Handel und Wandel und das ganze Leben in den Seedörfern ein viel regeres und lauteres, und besonders an einem schönen klaren Septemberabende konnte der Wiederhall in den Bergen gar nicht zu Ende kommen, auf all’ das Jauchzen, die Horn- und Trompetentöne und das Büchsenknallen zu antworten, das an der Neureit hinan aus dem Bergeinschnitte ertönte, durch welchen der Albach sich das abschüssige Bett gegraben. Der König hatte den Bergschützen ein großes Schießen mit reichen Preisen gegeben; in der schattigen Thalschlucht waren die Scheiben aufgestellt und der Schützenstand errichtet worden, und Alles, was irgend mit dem Stutzen umzugehen verstand, hatte sich eingefunden. Da waren die Männer alle, von den jüngsten, die noch mit dem Pulver das Lehrgeld bezahlten, bis zu den wackeligen Greisen, welche die Büchse nicht mehr ruhig halten und den Schwarzschuß nicht sicher abzielen konnten, sondern im Auffahren und wie im Fluge abfangen mußten.

Auf dem geräumigen Platze vor dem Hause des Bäckers, der zugleich den Wirth machte, war der Mittelpunkt des ganzen Festes.

Da stand noch von der Frühlingsfeier her ein Maibaum von solcher Höhe, daß er mit den Kirchthürmen wetteiferte. Während den Stamm unten ein Mann kaum zu umklammern vermochte, bog er sich oben fast zur schwachen Gerte, welche nicht im Stande schien, den bekränzten und bebänderten Reifen und die weiß-blaue Flagge zu tragen, welche im frischen Abendwinde und in den Pulverwolken flatterte, die jeden Augenblick neu aus den krachenden Büchsen und Böllern emporstiegen. Unweit von den Schießständen waren Tische und Bänke im Schatten aufgeschlagen, damit auch andere Bewohner Tegernsees mit ihren Gästen und mit Frauen und Mädchen Gelegenheit hätten, an dem Feste der Schützen theilzunehmen. Daneben saßen die Musikanten, eifrig bemüht, durch allerlei Tänze, Märsche und andere Stücke die Zeit auszufüllen, bis ihre Hauptaufgabe herankam, am Schlusse des Festes bei der Preisvertheilung jeden Fahnenträger mit einem Tusche zu begrüßen und dann dem feierlichen Aufzuge durch die Dorfgassen voranzublasen. Ueber einer großen, aus Tannengewinden aufgebauten Pforte, die auf den eigentlichen Schießplatz führte, waren die Preisfahnen ausgestellt, meist schwere Seidentücher mit angereihten Goldstücken und blinkenden Silbermünzen oder feinen Gemälden aus dem Jäger- und Schützenleben. Unweit davon befand sich die Schützenschreiberei, von vielen Neugierigen umdrängt; eben war eine neue Scheibe aufgestellt und die alte hereingebracht worden; der Forstmeister als Schützenmeister und ein paar Bauern als Beisitzer waren eifrig darüber, die Schüsse abzuziehen und zu bestimmen, was jeder gelten solle, und welcher in zweifelhaften Fällen für den bessern zu halten sei.

Die Versammlung vieler Menschen hatte, wie gewöhnlich, auch allerlei Leute herbeigeführt, die eine solche Gelegenheit gern ausbeuten und daher mit allerlei Kleinkram erschienen, den sie in der erhöhten und freigebigeren Stimmung der Anwesenden an den Mann zu bringen hofften. Da waren Lahninger herübergekommen aus dem nahen Tirol – fahrende Leute, die ihren kleinen Blachenwagen selbst zogen, in dem sie mit Weib und Kind hausten und doch noch Raum fanden für einige Körbe rothblauer Küchelberger Trauben aus den Weinbergen von Meran, für schöne Goldreinettenäpfel oder zartflaumige Pfirsiche. Ein Ständchen mit Lebkuchen, Pfeffernüssen und ähnlichen Näschereien fehlte ebenso wenig wie ein anderes mit bescheidenen einheimischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_719.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)