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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 44.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Allerseelentag.

Wie die falben Blätter fallen –
Heut ist Allerseelentag,
Wo man zu den Gräbern wallen,
Beten dort und weinen mag

5
Und gedenken jener Tage,

Da sie lebten, die da nun
Ohne Leid und Lust und Plage
Tief im stillen Grabe ruhn.

Doch wer Keinen zu beklagen,

10
Wer kein Grab zu schmücken hat,

Dennoch mag er Leid wohl tragen,
Wenn auch ihm der Spätherbst naht.

Und er sorge, wird erscheinen
Ihm sein Allerseelentag,

15
Daß man klagen, daß man weinen

Auch an seinem Grabe mag.

 Hermann Allmers.




Die Geschichte vom Spötterl.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Aus den bairischen Bergen. Von Herman Schmid.


(Fortsetzung.)


Als Corona vor dem Director und anderen Musikverständigen Probe gesungen hatte, war das allgemeine Urtheil, wenn auch nicht so überschwenglich wie das des Pianisten, doch ein günstiges gewesen, das noch günstigere Erwartungen nicht ausschloß; als es aber an den eigentlichen Unterricht ging, wurde die Hoffnung des Lehrers wie der Eifer der Schülerin nur zu bald bedeutend heruntergestimmt. Corona faßte leicht und spielend auf; es machte ihr keine Schwierigkeit, eine Weise, die man ihr vorsang oder vorspielte, in ihren Naturgesang zu übertragen, aber das bloße, ermüdende und keineswegs erfreuende Ueben der einzelnen Töne und Tonverbindungen war ihr rasch verleidet; sie fühlte, daß man etwas von ihr verlangte, was in ihrem Wesen keinen Grund hatte. Der Lehrer konnte sich bald nicht verhehlen, daß die Stimme vielleicht eben ihrer Eigenart wegen einer eigentlich künstlerischen Ausbildung eigensinnig widerstrebte; der ursprüngliche Traum, aus der Sennerin eine Sängerin ersten Ranges zu bilden, zerrann und ließ nur die Möglichkeit zurück, daß das frische Naturkind dafür im muntern Fache, als Soubrette oder Localsängerin, desto Bedeutenderes leisten würde – vollauf genug, um den gutmüthigen Meister in seinem Eifer nicht erkalten zu lassen.

Was sie am härtesten vermißte, war das Leben in und mit der freien Natur, an das sie von Jugend auf gewöhnt war; trotz des Winters waren ihre Gedanken doch immer weit jenseits der Stadtmauern, und wenn der Wind so recht durch die Straßen sauste, den Schnee jagte und an die Scheiben warf, kam es ihr oft schier grauenhaft vor, als wäre es die Stimme eines Freundes, dem sie entflohen und der jetzt mit lautem Rufen und Klagen nach ihr suche – kein Wunder, wenn ihr dabei manchmal auch andere Erinnerungen erwachten und ein Gefühl sie anwandeln wollte, das der Reue so ähnlich sah, wie ein Wassertropfen dem andern. Wohl nahm sie sich dann immer wieder zusammen und sagte sich selbst, daß sie keine Thörin sein dürfe und, was sie sich einmal vorgenommen und zugetraut, auch durchführen müsse, aber die Anwandlungen kamen öfter, wie die Schwierigkeiten sich häuften. Das war besonders der Fall, als sie anfangen sollte, mit dem Gesange auch die Darstellung zu verbinden und eine Andere zu scheinen, als sie war. Bisher war ihr der Gesang, wie dem Vogel, die natürliche Aeußerung ihres eigenen Gemüthes gewesen; jetzt sollte sie etwas Anderes hineinlegen, was man ihr von außen vorschrieb. Darin lag etwas, wogegen ihr Inneres sich wie gegen eine Unwahrheit sträubte, und was eben deshalb ihre Versuche in dieser Richtung bald als sehr zweifelhaft erscheinen ließ. Der kluge Director hatte daher den Ausweg eingeschlagen, sie zuerst in einer Bauernrolle auftreten zu lassen, in der sie am wenigsten aus sich herauszugehen brauchte und gewissermaßen sich selbst spielen konnte. Zu diesem Zwecke war in der beliebten Posse „Der Geist im Hofgarten“ eine ländliche Scene eingeschoben worden; nach diesem Versuche, dachte er, sollte sich wohl bemessen lassen, ob und welche Hoffnungen überhaupt auf ihre künftige Entwickelung mit Recht gebaut werden konnten. Sie hatte der ersten Probe mit Bangen entgegengesehen, sich aber, als es zum Auftreten kam, zusammengenommen und mindestens keine auffallende Ungeschicklichkeit begangen. Eine Bemerkung, die sie dabei gemacht, war ihr von wesentlichstem Vortheile gewesen; bald genug hatte sie nämlich gemerkt, daß Manche von der Gesellschaft Lust zeigten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_703.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)