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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Sind (Figur 1) und zwei Erdorte, der Erdmittelpunkt, der Mars, so wird die Marsparallaxe (die gleich dem Winkel oder oder ist) an der Himmelssphäre durch den Bogen gemessen. Mißt man nun von den beiden Orten und die Abstände und der Marsprojection von einem Stern , so giebt ihr Unterschied offenbar den Bogen und damit die Marsparallaxe. Diese ist nun in günstigen Oppositionen des Mars zwei bis drei Mal


Figur 1.


größer als die Sonnenparallaxe; und da man das Verhältniß der Entfernungen der einzelnen Planeten von der Sonne (verglichen mit der Entfernung der Erde) genau kennt, also auch ihr Parallaxenverhältniß, so ist es möglich, unmittelbar aus der Parallaxe eines Planeten die der Sonne zu bestimmen. Zugleich ist klar, daß diese Bestimmung eine um so sicherere wird, je entfernter einestheils die beiden Beobachtungsorte auf der Erde und je näher andererseits der Planet der Erde ist, weil im ersten Falle die Basis, von deren Endpunkte aus man mißt, eine größere und damit auch die Parallaxe eine größere ist und im zweiten Falle


Figur 2.


die gleichfalls größere Parallaxe durch eine größere Zahl dividirt, also ein und derselbe Beobachtungsfehler im schließlichen Resultate eine geringere Unsicherheit, als unter weniger günstigen Umständen, hervorbringen wird.

Von allen Planeten ist nun Venus derjenige, welcher der Erde am nächsten kommt; das geschieht, wenn sie zwischen Erde und Sonne tritt; in diesem Falle ist Venus der Erde etwa vier Mal näher, als die Sonne, die Parallaxe der Venus also auch etwa vier Mal größer als die Sonnenparallaxe. Für gewöhnlich ist aber Venus dann unsichtbar, weil sie uns ihre nicht beleuchtete Seite zukehrt und dabei zwar in der Richtung


Figur 3.


Erde–Sonne, aber entweder über oder unter der Sonne steht; nur in den sehr seltenen Fällen, wo sie dem Sonnenmittelpunkte auch nach oben oder unten sehr nahe, ihr Abstand von demselben kleiner als der scheinbare Sonnenhalbmesser ist, wird sie als kleiner, schwarzer, runder Fleck auf der leuchtenden Sonnenscheibe sichtbar. Läge die Bahn der Venus und der Erde in einer Ebene, so müßte jedesmal, wenn Venus in die Richtung Erde–Sonne tritt (wie man sagt, gleiche Länge mit der Sonne hat) – was aller 584 Tage stattfindet – dieselbe auch auf der Sonnenscheibe sichtbar werden; sie träte am östlichen Rande ein, ginge quer vor der Sonnenscheibe vorbei und träte nach acht Stunden am westlichen Rande wieder aus. Nun ist aber die Venusbahn gegen die Erdbahn um etwa 31/2 Grad geneigt, und ein Vorübergang vor der Sonne oder ein Venusdurchgang kann nur dann stattfinden, wenn Venus nicht nur gleiche Länge mit der Sonne hat, sondern auch nahezu gleiche Breite, das heißt, wenn sie auch einem der Durchschnittspunkte (sogenannten Knotenpunkte) ihrer Bahn mit der Erdbahn nahe steht; und dies findet eben sehr selten statt. Es liegt an den Verhältnissen der Umlaufszeiten von Venus und Erde und an der Neigung der Venusbahn gegen die Erdbahn, daß solche Vorübergänge nur in Zwischenräumen von acht, hundertfünfundeinhalb, acht und hunderteinundzwanzigeinhalb Jahren stattfinden, und zwar abwechselnd zwei im Juni und zwei im December. Die letzten ereigneten sich 5. Juni 1761 und 3. Juni 1769, die nächsten werden 8. December 1874 und 6. December 1882, die dann folgenden erst 2004 und 2012 und wieder im Juni eintreten. Wie man aus der Beobachtung eines Venusdurchganges die Sonnenparallaxe bestimmt, kann wenigstens im Principe aus Figur 2 klar gemacht werden.

bedeutet hier die Erde, die Venus, die Sonne.* Ist ein sehr südlicher, ein sehr nördlicher Erdort, so würde die Venus am obern, dieselbe am untern Sonnenrand in den Punkten und sehen. Mißt man nun diesen Abstand , so erhält man aus ihm zunächst die Parallaxe der Venus (strenger die Differenz der Venus- und Sonnenparallaxe), ferner, da das Verhältniß der Venus- und Sonnenentfernung oder -Parallaxe genau bekannt ist, auch die Parallaxe der Sonne, und schließlich, da die Entfernung der Erdorte und in Meilen oder Kilometern gegeben ist, auch die Entfernung der Sonne in Meilen oder Kilometern. In der That gestalten sich nun freilich die Verhältnisse nicht so einfach, sowohl wegen der Kleinheit der Erde, verglichen mit der Entfernung der Sonne, wie wegen des Hinzutretens eines neuen Elements, der Bewegung in der Zeit. Zufolge der relativen Kleinheit der Erde unterscheiden sich nämlich auch die von den entferntesten Punkten der Erde nach der Venus gezogenen Richtungen, die sich in und auf der Sonne abbilden würden, um nicht mehr als den fünfundzwanzigsten Theil des scheinbaren Sonnendurchmessers oder etwa 1′ 10″ von einander, sodaß ein selbst sehr kleiner Beobachtungsfehler doch im schließlichen Resultate einen bedeutenden Fehler hervorbringen kann. Die nebenstehende Figur 3 zeigt diesen Unterschied, wie er bei dem bevorstehenden Venusdurchgange stattfinden wird, in ungefähr richtigem Verhältnisse; die untere Linie giebt nämlich die scheinbare Bahn der Venus vor der Sonnenscheibe, gesehen vom nördlichen Sibirien, die obere dieselbe, gesehen vom südlichen Eismeere.

Den Abstand dieser beiden Linien oder Wege, welche die Venus vor der Sonnenscheibe zurücklegt, konnte man nun bisher nicht direct messen, sondern mußte ihn aus ihren Längen berechnen, und diese Längen ergaben sich auf einfache Weise aus den Zeiten, welche die Venus für die verschiedenen Orte braucht, um durch die Sonnenscheibe hindurchzugehen. Diese Methode der Durchgangszeiten oder Verweilungen heißt nach dem Engländer Halley, der überhaupt zuerst, zu Ende des siebenzehnten Jahrhunderts, auf die Wichtigkeit der Venusdurchgänge aufmerksam machte, die Halley’sche; bei ihr braucht man also nur eine während des Durchgangs richtig gehende Uhr und ein gutes, aber


* Die Größen und Entfernungen müssen, um die Erscheinung auf dem Papiere darstellen zu können, sehr abweichend von den in der Natur statthabenden Verhältnissen genommen werden; in der That würde, wenn man der Erde einen Durchmesser von zehn Millimeter giebt, die Venus einen gleichen, die Sonne dagegen einen von mehr als einem Meter haben, die Entfernung von der Erde bis zur Venus wäre richtig dann neunundzwanzig Meter, die bis zur Sonne hundertsechszehn Meter.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_694.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)