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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Notburga hätte! – Noch Eines! Steub ist ärgerlich darüber, daß in Tirol überall neben Notburga als männlicher Beistand der spanische Heilige Isidor abgebildet und verehrt werde, und kein Einheimischer. Da kommt mir die Frage: Sollte das männliche Gerippe der heiligen Notburga nicht einem verkannten Heiligen, der durch dieses Wunder zu seiner Verehrung gelangte, angehören, und könnte der nunmehr unfehlbar gewordene heilige Vater in Rom nicht diesen, wie ja so manchen anderen Heiligen geschehen, die, wie Sanct Nepomuk, die elftausend Jungfrauen etc., gar nicht existirt haben, für Geld und gute Worte etwa als heiligen Notburgus canonisiren? Damit würde Steub’s Sorge, „ob sich mit den geeigneten Mitteln nicht ein bairisch-tirolischer Knecht, Bauer oder Wirth zum Heiligen heranziehen ließe“, am kürzesten gehoben.

Eine lange Verzögerung duldet dieser Schritt jedoch nicht, denn die Welt wird, nach dem Zeugniß des heiligen Vaters, alle Tage schlechter, und wie leicht droht sogar der heiligen Notburga der Tiroler das Schicksal, das den Volkshelden der Schweiz, den Wilhelm Tell, erreicht hat, das schreckliche Schicksal, daß Niemand mehr an sie glaubt! Denn es wird kommen der Tag, wo sogar die einheimischen Naturforscher beweisen müssen, daß eine Sichel nicht in der Luft hängen bleibt, der Inn einem Ochsenpaar nicht ausweicht und noch nie ein männliches Gerippe in einem weiblichen Körper gesteckt hat. Dann bleibt nur die freundliche Schnitterin von Eben und die liebenswürdige Köchin von der Rottenburg übrig, und sie kann Gott danken, wenn ein germanistischer Mytholog sie nicht wegen ihrer Sichel in eine heidnische Mondgöttin verwandelt. Jetzt schützt sie noch das „Notburgibüchel“ gegen solche Gefahr, und ihr einsichtigster Verehrer, der fromme Ludwig Steub, von dem wir bei dieser schönen Gelegenheit, mit dem besten Dank für die angenehme Begleitung, hiermit Abschied nehmen.

H. v. C.




Aus dem Familienleben des Löwen.


Im October 1870 erwarb der Breslauer Zoologische Garten ein Löwenpaar mit zwei säugenden sieben Monate alten Jungen. Um Mitte December wurden letztere entwöhnt und die Alten wieder vereinigt. Drei und ein halber Monat verflossen, da begrüßte uns eines Morgens das Miauen neugebackener Wüstenprinzen. Bei uns leben nach solchem Ereigniß die Gatten voneinander getrennt. Nöthig scheint das nicht zu sein. In Dresden machte man den Versuch, sie beisammen zu lassen, doch fand man nachträglich gerathen, sie zu trennen. Beide Thiere aber waren mißvergnügt darüber, und so wurden sie andern Tags wieder vereinigt. Anfangs zwar wehrte die Mutter den alten Löwen ab, wenn er den Kindern zu nahe kam. Nach und nach erwarb er sich ihr volles Zutrauen und erkühnte sich sogar, eines der Jungen nach Katzenart am Kragen zu fassen und triumphirend im Käfig einherzutragen. Die Mutter, doch nicht ganz frei von Angst, stürzte auf ihn los und schlug nach ihm. Er packte das Thierchen unwillkürlich fester und ließ es erst dann los, als man ihm ein Kaninchen vorhielt. Jetzt wurden die Alten getrennt. Drei Tage später starb das Junge. Sein ganzer Leib war blauscheckig mit Blut unterlaufen. Auch kommt vor, daß die Mutter ohne erkennbare Ursache das eine oder das andere ihrer Kinder, auch wohl die ganze Brut vernachlässigt. Vielfach scheint mangelndes Gedeihen Ursache zu sein, daß die Mutter die Hoffnung auf Erhaltung des Kindes und damit auch die Sorgfalt dafür aufgiebt. Schließlich wird es einfach beseitigt und begraben, das heißt mit Haut und Haar verschluckt. Zuweilen freilich sprechen andere Gründe mit, und auch unnatürliche Mütter giebt es, wie nicht zu verwundern, zumal in unnatürlichen Verhältnissen. Zuweilen haben die Mütter die Untugend, sich selbst oder ihren Jungen an der Schweifspitze herumzukauen. Weiter werden wohl auch die Jungen so zärtlich geleckt, daß kahle, selbst wunde Stellen entstehen, die, immer mit der widerhakigen Zunge abgeraspelt, nicht leicht zur Heilung kommen und schließlich nackte, häßliche Narbenflecke bedingen.

Die Mutter ist in der Sorge um ihre Brut nicht besonders gut zu sprechen und selbst für ihre vertrautesten Wärter ziemlich unnahbar. Deshalb und um allzu grell einfallendes Licht, welches verderblich auf die Sehkraft wirken könnte, zu vermeiden, sucht die Mutter gern ihre Jungen in Stroh zu bergen, oder wir weisen ihr einen Dunkelraum zur Stätte an. Es ist das um so nothwendiger, als die Löwin ausnahmsweise unter den Katzen, die bekanntlich blind, das heißt mit geschlossenen Augenlidern geboren werden, ihre Jungen mit geöffneten Lidern, zumeist wenigstens, zur Welt bringt, soweit Beobachtungen hier und anderwärts vorliegen. Ob aber Löwen bei der Geburt schon ihre Augen zum Sehen gebrauchen können, ist darum immer noch zweifelhaft, weil sie durch ein die Pupille verschließendes Häutchen auch bei offenen Lidern daran verhindert werden dürften. Nach wenigen Tagen mag auch dieses Hinderniß weichen und mögen die Augen frei sein; natürlich bleiben sie aber noch immer sehr empfindlich gegen Tageslicht.

Die jungen Löwen gediehen vortrefflich. Einer davon zeigte freilich, wenige Monate alt, eine Kropfgeschwulst, wie sie bei Löwen eine Art Entwicklungskrankheit zu sein scheint. Dabei war aber des Thieres Befinden nicht gestört, doch nahm die Anschwellung sichtlich zu. Die ärztliche Untersuchung ergab Ansammlung von Flüssigkeit innerhalb des Gewebes der Schilddrüse. Es wurde zur Operation geschritten. Wie diese Aufgabe gelöst worden, wurde von mir schon anderwärts mitgetheilt und kann hier umsomehr davon abgesehen werden, da die Sache ihrer Zeit die Runde durch verschiedene Blätter gemacht hat. Das nicht ganz unbedenkliche Unternehmen gelang zwar vorzüglich, doch kehrte das Uebel nach mehrmonatlicher Frist wieder, wenn auch nicht in so bedenklicher Höhe, daß man nicht die Hoffnung hätte hegen können, die Anschwellung werde sich allgemach, wie sie gekommen, zurückbilden. Gar bald aber wurden wir aus unseren Genesungsträumen aufgeschreckt. Eben noch hatte das Thier mit ungewohntem Appetit seine Nahrung verzehrt, als sich plötzlich Erstickungsanfälle einstellten. Der nächstliegende Gedanke war, ob nicht etwa ein Theil der Mahlzeit im Schlunde sitzen geblieben sein könnte. Bald aber besserte sich der Zustand, leider nur vorübergehend; neue Anfälle stellten sich ein, und auch schleunigst versuchte Oeffnung der mit Flüssigkeit gefüllten Drüsenanschwellung ergab keine Hülfe. Das Thier erlag rettungslos. Die Section erst klärte uns über den bis dahin räthselhaften Zustand auf. Kurz nach der Mahlzeit und vielleicht durch die Anstrengung dabei war in einem der Hohlräume der entarteten Drüse ein Blutgefäß geplatzt, und dessen Inhalt, urplötzlich ergossen, übte einen jähen Druck auf die Luftröhre aus. Ohne Zweifel würde sich das wieder ausgeglichen haben, und waren schon alle Aussichten dazu vorhanden, als ein ebenso urplötzlicher erneuerter Bluterguß erfolgte, gleichzeitig aber das krankhaft veränderte und darum wenig widerstandsfähige Drüsengewebe, nach hinten durchbrechend, sich in den Raum rings um die Luftröhre ergoß und so einen gewaltsamen Erstickungstod herbeiführte.

Gegen Ende Januar 1872 wurde die Löwin von ihren Jungen getrennt. Eine wie ausgezeichnete Mutter sie auch ist, fügte sie sich doch ohne sonderliches Murren und war bestrebt, der Vergangenheit vergessend, lediglich der Zukunft zu leben, die einer neuen, womöglich verbesserten Auflage ihrer Familie galt. Dennoch währte es einige Zeit, ehe das Mutterherz gegen die sehnsüchtigen Blicke der Kinder und deren jammerndes Verlangen sich verhärtete. Andererseits ward es, um den Trennungsschmerz nicht tagtäglich zu erneuern, nothwendig, zwischen Mutter und Kindern eine Holzblende zu errichten. Jede Luke aber wurde lüstern benutzt, um wenigstens verstohlen einen Blick zu wechseln, ja die für Löwen nicht ganz leichte Kunst zu klettern geübt, um sich, wenn auch noch so flüchtig, über den Blendschirm hinweg zu erspähen. Allgemach erst trösteten sich die Kinder mit Kuhmilch.

Unserer Fanny, so heißt die Löwin, freilich harrte eine ungleich schwerere Aufgabe, sich mit dem Löwen Jack nach fast elfmonatlicher Abgeschlossenheit in’s Einvernehmen zu setzen. Das war diesmal wirklich kein leichtes Werk. Höchst wahrscheinlich waltete dabei ein Mißverständniß ob; Regel ist, daß selbst nach langer Trennung die erste Begegnung eine recht freundliche ist. Als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_684.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)