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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

viele der funkelnden Juwelen davor verschwanden. Das Haupt der jungen Frau trug einzig seinen natürlichen Schmuck; kein Diamant, nicht einmal eine Blume zierte die reichen blonden Flechten, deren matter Goldglanz so eigenthümlich reizend mit der zartrosigen Färbung des Teints harmonirte. Diese Gestalt bedurfte keiner berechneten Toilettenkünste, um sich schön zu zeigen, sie war es, ohne alle künstliche Unterstützung, und wenn die Blicke der Damen bald genug herausgefunden hatten, welch ein Werth sich hinter dieser anscheinend so einfachen Toilette barg, so hatten die Herren nicht weniger Augen für die Poesie der Erscheinung, die an ihnen vorüber schwebte.

Die Drei waren etwa bis in die Mitte des Saales gelangt, als sich zufällig eine der Gruppen, deren Mittelpunkt Reinhold gewesen war, auflöste und dieser selbst hervortrat und fast unmittelbar seiner Frau gegenüberstand. Es war nicht die erste derartige Begegnung zwischen den beiden Gatten, und sie mußten an solchem Orte immerhin auf die Möglichkeit eines Zusammentreffens gefaßt sein. Bei Ella schien dies auch der Fall; nur einen Moment lang bebte ihr Arm in dem ihres Begleiters, und eine fliegende Röthe kam und ging in ihren Zügen, dann aber glitt das große Auge ruhig weiter, und sie wandte sich zu dem Marchese, der ihr soeben die Namen einiger der Anwesenden nannte. Reinhold dagegen stand so fassungslos, als habe er die ganze Umgebung vergessen. Wenn ihm die jetzige Erscheinung seiner Frau auch nicht mehr fremd war, sie sah doch anders aus bei dem matten Lampenschimmer im Gartensaal der Villa Fiorina, bei dem düsteren Regenlichte der Veranda an jenem Sturmtage, und in dem halbdunklen Hintergrunde der Theaterloge. So hatte er sie noch nie gesehen, wie heute. Im blendenden Lichtmeer des Salons, im duftigen Festgewande und trotz des Ortes und der Umgebung wehte es zu ihm herüber, wie eine Erinnerung an jene traumhaft schöne Morgenstunde in Mirando, wo das Meer so tiefblau um die Terrasse des Schlosses wogte und der Blüthenduft aus den Gärten herüberzog, während die weiße Gestalt drüben an der Marmorbalustrade lehnte – freilich, ihr Antlitz war auch hier abgewandt, aber jetzt wandte sie es einem Anderen zu. Bei dem Anblick Cesario’s, der noch immer seinen Platz an ihrer Seite behauptete, zerstob Traum und Erinnerung; vor Reinhold tauchten die Worte seines Bruders auf, die ihm seit jener Unterredung alle Ruhe raubten. „Vielleicht für einen Anderen,“ klang es in seinem Inneren. Ein heißer drohender Blick fiel aus Cesario, und mit einer heftigen Bewegung in den kaum verlassenen Kreis zurücktretend, entzog er sich dem Gruße oder der Anrede des jungen Marchese.

Dieser sah ihm betroffen nach. Er kannte nicht entfernt den Grund dieses plötzlichen Ausweichens, aber er ahnte längst schon, daß hier mehr zu Grunde lag als nur eine Feindschaft zwischen Rinaldo und Erlau, die er früher angenommen hatte. Es war ihm nicht entgangen, daß irgend eine geheime Beziehung zwischen seinem Freunde und Ella stattfand, und das heutige Zusammentreffen bestätigte nur zu sehr diese Annahme. Cesario war zu stolz, um wie Beatrice seine Zuflucht zum Spioniren zu nehmen, und so ertrug er denn eine Ungewißheit, deren Lösung von Ella oder dem Consul zu verlangen er noch kein Recht hatte, und die Rinaldo ihm nicht lösen wollte.

Der deutsche Handelsherr war beinahe fremd in der Gesellschaft, dennoch begann die Erscheinung seiner Begleiterin bereits Aufsehen zu erregen. Erlau hatte allerdings die Stirn gerunzelt bei dem unerwarteten Anblicke Reinhold’s; da er aber sah, daß Ella scheinbar ganz ruhig blieb, so gewährte ihm das Zusammentreffen eher eine Genugthuung. Der Consul war augenscheinlich sehr stolz auf seine schöne Pflegetochter und bemerkte sehr wohl die bewundernden Blicke und flüsternden Bemerkungen, welche ihr überall folgten. Er sagte sich, daß auch der einstige Gatte diese Blicke sehen, diese Bemerkungen hören müsse, und mit einem kaum verhehlten Gefühl des Triumphes schritt er an der Gruppe vorüber.

Die Menge der auf- und abwogenden Gäste und die zahlreichen Gesellschaftsräume machten es für die, welche sich nicht sehen wollten, leicht, einander auszuweichen.

Es mochte ungefähr eine Viertelstunde seit dem Erscheinen Erlau’s vergangen sein, als Capitain Almbach herantrat, um ihn zu begrüßen.

„Sind Sie denn überall, Herr Capitain?“ fragte der Consul überrascht.

Hugo machte eine halb ironische Verbeugung. „Ich habe die Ehre. Mißfällt Ihnen das so sehr?“

„Nicht doch! Sie wissen ja, daß ich Sie immer gern sehe, aber am dritten Orte trifft man Sie leider nur in Begleitung Ihres Bruders. Es scheint, man kann keinen Schritt in die Gesellschaft thun, ohne auf Signor Rinaldo zu stoßen.“

„Er ist mit dem Herrn des Hauses befreundet,“ erklärte Hugo.

„Natürlich,“ grollte der Consul. „Ich möchte einen Kreis kennen, der ihn nicht vergöttert, und in dem er nicht dominirt. Ich konnte die Einladung unseres Gesandten nicht ausschlagen und wollte meiner armen Eleonore doch endlich einmal etwas Anderes zeigen, als nur das Krankenzimmer. Haben Sie sie schon gesprochen?“

„Allerdings,“ sagte der Capitain, nach der andern Seite des Saales hinüberblickend, wo Ella im Gespräch mit dem Marchese, dem Lord und einigen Damen stand, „das heißt, so weit Marchese Tortoni mir die Möglichkeit dazu ließ. Er beansprucht durchaus den Löwenantheil der Unterhaltung. Ich halte mich bescheiden zurück.“

„Ja, bester Capitain, daran werden Sie sich gewöhnen müssen,“ lachte Erlau. „Im Gesellschaftskreise ist Eleonore selten frei für die Unterhaltung eines Einzigen. Ich wollte, Sie sähen Sie einmal, wenn sie in meinen Salons die Honneurs macht. Wir sind fast gänzlich fremd hier, sonst, versichere ich Ihnen, wären Marchese Tortoni und Lord Elton nicht die Einzigen, über die Sie sich in solcher Weise ärgern.“

Ella hatte inzwischen ihr Gespräch beendigt und verließ jetzt mit einer leichten Verneigung die Gruppe, um zu ihrem Pflegevater zurückzukehren. Da der Marchese zu seinem großen Mißvergnügen durch eine der Damen in der Unterhaltung festgehalten wurde, schritt die junge Frau ganz allein durch den Saal, als plötzlich in der Mitte desselben ein dunkles Sammetgewand das ihrige so nah und heftig streifte, daß es beinahe wie Absicht aussah. Aufblickend gewahrte sie dicht vor sich das schöne, aber in diesem Augenblick fast erstreckende Antlitz Signora Biancona’s.

Ella verrieth indeß weder Schrecken noch Verlegenheit, sie nahm langsam ihr Spitzenkleid auf und trat etwas seitwärts. In der Bewegung lag ein ruhiger, aber sehr entschiedener Protest gegen jede Berührung von dieser Seite, und Beatrice schien ihn nur zu gut zu verstehen, trotzdem trat sie noch näher. Die junge Frau fühlte einen heißen Athem dicht an ihrer Wange und vernahm die geflüsterten Worte:

„Signora, ich bitte Sie um einige Minuten Gehör!“

Ella antwortete mit einem Blick des Erstaunens und der Entrüstung. „Sie – mich?“ fragte sie gleichfalls leise, aber mit einer nicht mißzuverstehenden Betonung.

„Ich bitte um einige Minuten,“ wiederholte Beatrice. „Sie werden sie mir gewähren Signora.“

„Nein!“

„Nicht?“ Die Stimme der Italienerin bebte in kaum verschleiertem Hohne. „Also fürchten Sie mich so sehr, daß Sie nicht einmal ein kurzes Alleinsein mit mir wagen?“


(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.


Nr. 36. Pancratius Sanitabringius im Elsaß.


Wenn die Sitten eines Volkes dargestellt werden sollen, so kann die Religion und das religiöse Leben nicht außer Acht bleiben. Es ist bekannt, daß das Elsaß, Straßburg und die Landstädte obenan, der Herd vielfacher religiöser Bewegungen gewesen. Hier ist nicht der Ort, darüber eine Geschichte zu schreiben. Aber es muß hervorgehoben werden, daß die Bevölkerung des Elsaß, in Folge ihrer hohen Empfänglichkeit für die praktischen Fragen des Christenthums, zu allen Zeiten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_574.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)