Seite:Die Gartenlaube (1874) 517.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

danken, daß es eine Schaar junger Aerzte von einer Sicherheit im Auftreten und ärztlichem Handeln besitzt, die geradezu beispiellos dasteht.

Als Arzt, wie als Lehrer, war er immer von einer bezaubernden Liebenswürdigkeit, und der persönliche Verkehr mit ihm ist für Jedermann in hohem Grade anziehend gewesen. Von Pedanterie war keine Spur in seinem Wesen, im Gegentheil: nicht leicht verstand es ein Lehrer, so liebenswürdig, wie er, jugendliche Thorheiten seinen Schülern zu verzeihen und verzeihend abzugewöhnen; nachgetragen hat er niemals einem seiner Schüler eine That jugendlichen Leichtsinns; selbst wenn er, was nicht selten der Fall war, von Zeit zu Zeit den Einen oder Anderen auf seiner eigenen Jagd bei der Wilderei, dem uralten Laster des Tübinger Studenten, erwischte, so schickte er ihn mit einem classischen Witze nach Hause, und die Sache war abgethan.

Seine Sorge um das Wohlergehen der Unbemittelten unter seinen Schülern äußerte er ebenso zartfühlend wie originell; nicht wenigen unter den beschäftigtsten Aerzten meiner Heimath ist es nur durch seine großmüthige und nachhaltige Unterstützung möglich gemacht worden, daß sie ihre Studien gründlich vollenden konnten. Von der originellen Art, wie er, wo er nur immer konnte, seine in die Praxis übergegangenen Schüler zu fördern suchte, will ich nur eine einzige launige Probe anführen, die mir selbst begegnet ist.

Ich kam zu ihm, um Abschied zu nehmen.

„Wo eröffnen Sie denn die goldene Praxis?“ frug er.

„Im Schwarzwald, Herr Professor.“

„Sind Sie verrückt geworden?“ rief er und blies eine gewaltige Wolke aus der Cigarre. „Ein Kerl wie Sie gehört in eine Großstadt und nicht in den Schwarzwald; zum Theaterarzt würden Sie gar nicht übel taugen,“ fügte er mit sarkastischem Lächeln bei.

„Ich bleibe auch nur so lange im Schwarzwald, bis ich meine Schulden bezahlen kann.“

„Dazu will ich Ihnen bald behülflich sein. Jetzt reisen Sie mit Gott! Adieu, mein lieber Junge!“

Damit schob er mich zur Thür hinaus.

Ich war Arzt in einem kleinen Städtchen des Schwarzwaldes. Eines schönen Morgens reite ich gemächlich einem Dörflein zu, wo ich mehrere Kranke zu besuchen hatte. Da schmettern lustige Posthorntöne mir entgegen, und in rasender Eile jagen zwei Extrapostchaisen an mir vorüber. Wie ich zurückkomme und eben mein Pferd zu besorgen beginne, rennt athemlos der Hausknecht aus der Post auf mich zu und brüllt schon von Weitem:

„Herr Doctor, kommen Sie schnell! Seine Excellenz der Herr Minister von Delbrück ist angekommen und will Sie consultiren.“

Sprachlos folgte ich dem Menschen.

Auf der Post wurde ich in ein Zimmer geführt, in dem eine Gesellschaft von mehreren Herren und Damen beisammensaßen.

„Sehen Sie, mein Junge, wie ich Wort halte!“ rief mir eine wohlbekannte Stimme entgegen, und Professor von Niemeyer umarmte mich herzlich. Dann stellte er mich dem Minister, der in blühendster Gesundheit neben ihm saß, und einigen hochadeligen Damen aus Berlin vor, die auch mitgekommen waren, seinem Schüler die Praxis begründen zu helfen. Unter heiteren Scherzen flog ein herrlicher Tag dahin. Als die Stunde der Trennung schlug, drückte mir der Minister lächelnd die Hand mit den Worten: „Hoffentlich trägt unsere kleine Kriegslist gute Früchte.“

Und die hat sie getragen: von diesem Tage an war ich der beschäftigtste Arzt weit und breit im ganzen Schwarzwalde.

Der große Lehrer der Heilkunde ist gestorben, viel zu früh für die Wissenschaft, wie für die leidende Menschheit; im schwäbischen Boden, fern von seiner nordischen Heimath, liegt seine sterbliche Hülle. Möge er sanft in der Erde meines Heimathlandes ruhen, und sein verklärter Geist von lichter Höhe freundlich herabschauen auf den bescheidenen Kranz, den, wenn auch nicht sein talentvollster, so doch sein dankbarster Schüler auf sein Grab legt.




„Ein in Eisen gelegter Vulcan“.



So, meinte der Mann, welcher den Bau einer Eisenbahn von Neapel bis zum Krater des Vesuvs unternommen hat, müsse der alte Feuerberg genannt werden, sobald dieser kühnste Schienenweg um und auf denselben vollendet sei. Ob der gewaltige Gatte der Venus, welcher am glühenden Herde der Tiefe über die rauchende Esse gebietet, so großen Respect vor den seine Lavaklippen durchziehenden Schienenfäden verspüren wird, um sich „in Eisen gelegt“ zu fühlen, mag dahingestellt sein; kann aber durch die Kunst und Macht der Technik der schaulustigen Menschheit die bis jetzt noch über alle Maßen beschwerliche, ja sogar lebensgefährliche Strecke über den obersten Aschenkegel des Vesuv bis zum Kraterschlund bequem zugänglich gemacht werden, so ist damit abermals ein gutes und ohne Zweifel auch recht einträgliches Werk vollbracht.

Der Vertreter der Gesellschaft, welche diesen Bahnbau unternehmen will, Herr E. E. Oblieght, hatte in Rom die Baupläne zur öffentlichen Prüfung ausgestellt und sandte der Redaction der Gartenlaube die von uns in Holzschnitt wiedergegebene Zeichnung und eine Beschreibung der künftigen Bahn zu, die wir übrigens in anderen illustrirten Zeitungen bereits abgedruckt finden. Wir beschränken uns deshalb nur auf die nöthigsten Andeutungen zum Verständniß der Illustration, Weiteres für den Zeitpunkt aufsparend, wo über die fertige Bahn zu berichten sein wird.

Von der Eisenbahn von Neapel nach Torre del Greco abzweigend, soll die Vesuvbahn in weitem Bogen um den nordwestlichen, nördlichen, westlichen und südwestlichen Fuß des Berges herumbiegen und Stationen bei den Ortschaften Barra, San Sebastiano, Santa Anastasia, Somma, Ottajano und San Giuseppe erhalten. So weit würde auf dem gewöhnlichen Schienenwege die Locomotive arbeiten. Die Bahnlänge bis dahin würde dreiundzwanzig Kilometer betragen. Von da an beginnt die Steigung und zwar in zwei Absätzen von zusammen drei Kilometern. Der erste Absatz erhält bei einer Länge von zweitausendeinhundert Metern eine größte Steigung von zwanzig Procent und soll bei dem Atrio del Cavallo enden; der zweite Absatz mit der stärksten Steigung bis zu fünfunddreißig Procent soll eine Strecke von elfhundert Metern überwinden und in den Ausgangsbahnhof, wenige Meter vom Kraterrande entfernt, einmünden. Die Bewältigung dieser beiden Absätze über Lava, Schlacken und Asche des Vesuvs hin geschieht durch Anwendung des Drahtseilsystems, über welches wir unseren Lesern nächstens einen besonderen Artikel bringen.

Einem Freunde, welcher soeben von einer Reise durch Italien, mit welcher er eine Besteigung des Vesuvs verbunden hatte, zurückgekehrt ist, verdanken wir noch folgende, unseren Lesern durch ihren belehrenden Inhalt gewiß willkommene Mittheilungen über die bisherige Vesuvbesteigungsweise und die Vortheile der künftigen.

„An der Südseite des Berges, längs der Küste, läuft bekanntlich schon seit länger als einem Vierteljahrhundert eine Bahnlinie, welche sich am Südost-Fuße des Vesuvs in Torre dell’Annunziata theilt und rechts am Strande noch eine halbe Meile nach Castellamare weiter geht, wo sie endet, während die andere Linie über Pompeji nach Nocera, Salerno, Eboli und weiter führt. Die Vesuvbesteiger konnten diese Bahn jetzt bis Portici oder Pompeji benutzen. Im ersteren Falle hatten sie ebenso, wie die größere Masse, welche von Neapel direct mit dem Wagen nach Resina fuhr (eine Stunde Fahrzeit), sich in’s Führerbureau in Resina zu begeben, von wo sie gewöhnlich zu Pferd oder Esel den Weg bis zum sogenannten Eremiten, neben dem Observatorium, zurücklegten. Die Entfernung beträgt zwei Stunden, die Höhe fast die Hälfte des Berges. Bis hierher geht Fahrstraße; eine Minderzahl fährt im Wagen. Die Straße war durch den vorletzten Ausbruch (1868) überdeckt, ist aber wieder hergestellt worden.

Vom Observatorium aus führt ein Fußweg, auf welchem


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_517.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)