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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

für Deutschland“, führen und nichts Anderes zum Zwecke haben, als Reclame für den Kaninchenverkauf zu machen; Kaninchenzüchtervereine sind gegründet worden; Kaninchenausstellungen haben bereits mehrfach stattgefunden, und mit dem Beginne dieses Jahres ist eine Zeitschrift „Blätter für Kaninchenzucht“ (Redaction C. Rasch; Verlag Gebrüder Gerstenberg in Hildesheim) erstanden.

Da es nun notorisch, daß in Frankreich, Belgien, Holland und England das Fleisch und die Haut der zahmen Kaninchen ein sehr begehrter Handelsartikel geworden ist und z. B. allein in Frankreich etwa siebenzig bis fünfundachtzig Millionen Kaninchen jährlich producirt werden, die einen Erlös von schlechtgerechnet mindestens hundertundneunzig bis zweihundert Millionen“ Franken[WS 1] Franken ergeben, so liegt es auf der Hand, daß jeder Deutsche, welcher es als Pflicht ansieht, Alles zu thun, was den Nationalwohlstand fördern kann, auch den Bemühungen derjenigen Männer entgegen kommt, welche sich entschlossen haben, mit allen Kräften dahin zu wirken, daß einer rationellen Kaninchenzucht in Deutschland Bahn gebrochen werde.

Zwei Gründe waren es, welche die Redaction der Gartenlaube veranlaßten, diesen Artikel über Kaninchenzucht in ihr weitverbreitetes Blatt aufzunehmen, nämlich erstens die unverkennbare Wichtigkeit, welche eine richtig betriebene Kaninchenzucht für Deutschland haben kann, und zweitens die Thatsache, daß von verschiedenen aus- und inländischen Kaninchenzüchtern schwindelhafte Reklamen über den pecuniären Erfolg der Kaninchenzucht gemacht wurden und es an der Zeit scheint, die betreffenden Verhältnisse vorurtheilsfrei zu prüfen.

Wir kennen bekanntlich wilde und zahme Kaninchen. Die ersteren, weißgrau von Farbe oder braungrau und dann mit rostgelbem Nacken versehen, sind ursprünglich heimisch am Mittelmeere, hauptsächlich im südlichen Europa, z. B. in Spanien, auf Mallorca, Minorca und den Pityusen, in Sicilien, Sardinien, ferner in Kleinasien, in der Berberei. Jetzt findet man sie auch häufig in Mitteleuropa, in Frankreich, England, Schottland, Irland, in Mitteldeutschland, in Oesterreich; die Schweiz und Süddeutschland sowie die nördlichen europäischen Länder besitzen keine oder doch nur selten wilde Kaninchen.

Die zahmen oder Hauskaninchen sind aus den wilden hervorgegangen. Noch heute lassen sich wilde Kaninchen zähmen, und zahme, freigelassen, verwildern leicht. Wenn letzteres der Fall, ist stets die Eigenthümlichkeit zu beobachten, daß die Nachkommen der buntgefärbtesten Exemplare nach und nach zur grauen Farbe des wilden Stammvaters zurückkehren. Die Hauskaninchen sind, wie bekannt, sehr verschieden gefärbt: schwarz, braun, gelbbraun, blau, grau, scheckig, weiß, dann mit rothen Augen (Albinos oder Kakerlaken) etc. und sehr verschieden an Größe und Gestalt. Zufall, Laune des Züchters und die Mode haben hierbei viel mitgesprochen. Während man jetzt mit Vorliebe recht große und schwere Kaninchen mit sehr langen Ohren zu erzüchten sich bemüht, hat es Leute gegeben, die Gefallen daran fanden, einohrige oder keine äußeren Ohren aufweisende Kaninchen zu besitzen, wie denn jetzt in England das halbhängeohrige Kaninchen (ein Ohr am Kopfe herabhängend, das andere aufrecht getragen) mit gewisser Vorliebe gezogen wird.

Außer den überall in Deutschland gehaltenen gewöhnlichen Stallhasen kennt man folgende mehr oder weniger geschätzte Racen zahmer Kaninchen.

1) Das patagonische Kaninchen. Es zeichnet sich dasselbe durch ziemliche Größe und großen runden Kopf, der mit sehr kurzen Ohren versehen ist, aus. In England und Frankreich wird es zuweilen gezüchtet.

2) Das Nicard oder holländische Kaninchen. Ein sehr kleines Thier, oft nur ein und ein viertel Pfund schwer. Die Nicardweibchen werden oft als Ammen für die Jungen anderer zarter Racen benutzt.

3) Das Himalaya-Kaninchen, auch wohl das polnische oder russische Kaninchen genannt. Dasselbe besitzt rothe Augen und ist weiß; nur die Ohren, die Nase, die vier Füße und die obere Schwanzseite sind schwarzbraun gefärbt. Die Neugeborenen sind meist ganz weiß; innerhalb zwei bis drei Monaten bekommen die Ohren, die Nase, die Füße und Schwänze derselben die dunkle Farbe. Ausnahmsweise werden junge Thiere dieser Race mit schwarzem oder blaßgrauem Pelze geboren, innerhalb zwei bis drei Monaten werden sie aber weiß. In Polen, Rußland, England kommen sie häufig vor.

4) Das Moskau-Kaninchen. Dieses rothäugige, schneeweiße Thierchen, welches selten größer als das wilde Kaninchen wird, zeichnet sich durch schwarzbraune Ohren, zwei dunkelbraune Flecken in der Nähe der Nase, ähnlich gefärbte Stellen an der oberen und unteren Fläche des Schwanzes und an den Enden der Hinterfüße aus. Die Haare seines Pelzes sind lang und weich.

5) Das englische silbergraue Kanin. Der Pelz desselben ist grau, mit langen schwarzen und weißen Haaren untermischt. Köpfe und Füße sind schwarz. Die Farbe wird fast constant vererbt. Die Jungen werden ausnahmsweise mit schwarzem Pelze versehen geboren, erhalten aber nach einiger Zeit ihre eigenthümliche graue Farbe. Als große Seltenheit treten zuweilen silbergrau geborene Individuen auf, welche später vollkommen schwarz werden. Die Thiere dieses Schlages sind sehr scheu, nicht viel größer als wilde Kaninchen, als deren „verbesserte Auflage“ sie angesehen werden müssen. Man hält sie in England in Gehegen, die oft einen großen Flächenraum Landes einnehmen. Nach Sonnini soll es dort in sehr großem Maßstabe angelegte Kaninchengärten geben, nämlich solche, in denen in einer einzigen Nacht zwölfhundert Kaninchen geboren werden; derselbe Autor theilt mit, wie der Bischof von Derby aus seinem Gehege über zwölftausend Kaninchenbälge jährlich absetzte. – Hierher gehört auch das französische Gehegekaninchen (Lapin de garenne). Es ist dasselbe nicht sehr groß, wird höchstens zwei und ein halbes Kilogramm schwer, ist grau, braungrau, silbergrau, blau oder schwarz gefärbt, jedoch nicht immer einfarbig, sondern oft weißfleckig. Auch in Frankreich hält man diese Thiere in Gehegen oder Kaninchenbergen. Auffrischung des Blutes dieser Lapins durch Paarung derselben mit eingefangenen und gezähmten wilden Kaninchen soll oft nothwendig werden. – Von dem englischen silbergrauen Kanin wurden Exemplare nach Australien exportirt: dort haben sich dieselben ungemein vermehrt; viele australische Kaninchenfelle kommen alljährlich in den Handel.

6) Das Chinchilla. Zum Unterschied von dem gewöhnlichen englischen Gehegekanin wird dasselbe auch als das „zahme graue Kanin“ bezeichnet. Es besitzt einen mausgrauen oder schieferfarbenen Pelz, der untermischt ist mit langen schwärzlichen und weißen Haaren; selten findet man hellsiberfarbige Exemplare. Die Jungen werden fast immer mit schwarzem Fell geboren, das später grau oder schieferfarben wird. In England sind sie häufig.

7) Das Angora-Kanin. Dasselbe ist verschieden gefärbt, wie der gewöhnliche Stallhase. Oft ist es weiß und hat rothe Augen. Es giebt aber auch weiße Angora-Kaninchen mit dunklen Augen. Dann ist das weiße Fell (besonders aber Ohren, Schnäuzchen, Pfoten) an einzelnen Stellen gelb, gelbbraun oder braun gefärbt. Es besitzt dichte, lange und feine sogenannte gewickelte Haare, die selbst auf den Fußsohlen sehr lang sind. Es ist sehr friedfertig, nicht so beißsüchtig wie andere Kaninchen, gesellig und zerstört die junge Nachkommenschaft nicht. Früher wurde es häufiger als jetzt wegen seines zu Gespinnsten verwendeten feinen Haares gezüchtet. Man kämmte es alle vierzehn Tage aus, und mehrmals im Jahre wurde es geschoren oder es wurden ihm die Haare ausgerupft. Das Fleisch dieses Thieres soll keinen guten Geschmack haben.

8) Das gewöhnliche französische Kanin oder Lapin ordinaire. Den Franzosen muß das Verdienst zugesprochen werden, die werthvollsten und brauchbarsten Kaninchenracen ausgebildet zu haben. Sie verstanden es, aus dem gewöhnlichen kleinen Stallkaninchen durch richtige Auslese, geeignete Ernährung und Pflege den Lapin ordinaire zu schaffen, ein Geschöpf, das im Mittel drei Kilogramm schwer wird, ein wohlschmeckendes Fleisch und einen guten Pelz besitzt. Es ist fast überall in Frankreich, Belgien und Holland, sowie in Lothringen und Elsaß verbreitet, ebenso in England, wo es als gewöhnliches langohriges Kaninchen bezeichnet wird. Die Farbe desselben ist sehr verschieden; man kennt graue, hasenfarbige, isabellenfarbige, silberfarbige (das Silberkanin ist wegen seines werthvollen Pelzes sehr geschätzt), aber auch blaue, schwarze, weißfleckige. Der Lapin ordinaire wird häufig mit dem Lapin bélier gekreuzt; dann werden Schläge erzeugt, die sehr verschiedene Namen tragen,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: einhundertsechszig- bis zweimalhunderttausend. vergl. Berichtigung (Die Gartenlaube 1874/29)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_432.jpg&oldid=- (Version vom 28.7.2018)