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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

nicht wieder so benimmst, daß ich Dich höchstens als Folie für meine eigene zu entwickelnde Liebenswürdigkeit benutzen kann.“

Reinhold runzelte ein wenig die Stirn. „Ich bitte Dich, Hugo, werde endlich einmal vernünftig! Wie lange denkst Du denn eigentlich noch diese Komödie fortzuspielen und Dich über das ganze Haus lustig zu machen? Nimm Dich in Acht, wenn sie dahinter kommen, von welcher Beschaffenheit Deine Liebenswürdigkeit eigentlich ist, und daß Du im Grunde nur Deinen Spott mit ihnen Allen treibst.“

„Das wäre allerdings schlimm,“ sagte Hugo ruhig. „Sie kommen aber nicht dahinter; verlaß Dich darauf!“

„So thue mir wenigstens den Gefallen, und laß’ Deine entsetzlichen Indianergeschichten! Du muthest ihnen wirklich zu viel damit zu. Der Onkel debattirte erst gestern mit dem Buchhalter über den Kampf mit der Riesenschlange, den Du ihnen neulich auftischtest, und der denn doch auch ihm etwas unerhört schien. Ich gerieth in die grenzenloseste Verlegenheit beim Zuhören.“

„In Verlegenheit hat Dich das gebracht?“ spottete der Capitain. „Wäre ich dabei gewesen, ich hätte ihnen sofort noch eine Elephantenjagd, eine Tigergeschichte und einige Ueberfälle der Wilden mit so haarsträubenden Effecten zum Besten gegeben, daß ihnen die Sache mit der Riesenschlange darnach höchst wahrscheinlich vorgekommen wäre. Sei unbesorgt! Ich kenne meine Zuhörer; das ganze Haus erdrückt mich ja fast mit Sympathiebeweisen.“

„Ella ausgenommen,“ warf Reinhold ein. „Es ist doch eigenthümlich, daß ihre Scheu vor Dir in keiner Art zu überwinden ist.“

„Jawohl, das ist sehr eigentümlich,“ stimmte Hugo mit beleidigter Miene bei. „Ich kann durchaus nicht zugeben, daß Jemand im Hause existirt, der von meiner Vortrefflichkeit nicht unbedingt überzeugt scheint, und habe mir bereits vorgenommen, mich heute in meiner ganzen unwiderstehlichen Liebenswürdigkeit meiner Frau Schwägerin zu präsentiren. Ich zweifle durchaus nicht, daß sie sich darauf hin gleichfalls der Majorität anschließen wird, Du bist doch hoffentlich nicht eifersüchtig?“

„Eifersüchtig? Ich? Und um Ella’s willen?“ Der junge Mann zuckte halb mitleidig, halb verächtlich die Achseln. „Was fällt Dir ein?“

„Nun, es hat auch keine Gefahr! Ich suchte schon vorhin eine Unterredung mit ihr, aber sie war ausschließlich mit dem Kleinen beschäftigt. – Sage einmal, Reinhold, woher hat das Kind die wunderschönen blauen Märchenaugen? Die Deinen sind es nicht; da ist auch nicht die leiseste Spur einer Aehnlichkeit vorhanden, und sonst wüßte ich doch Niemanden in der Familie –“

„Ich glaube, Ella’s Augen sind blau,“ unterbrach ihn der Bruder gleichgültig.

„Das glaubst Du nur? Ueberzeugt hast Du Dich davon wohl noch nie? Allerdings mag das schwierig sein; sie schlägt sie ja niemals auf, und unter dieser unendlichen Haube ist überhaupt nichts von ihrem Gesichte zu erblicken. Reinhold, um Gotteswillen, wie kannst Du Deiner Frau eine solche vorsündfluthliche Tracht erlauben! Ich versichere Dir, für mich wäre diese Haube ein unbedingter Scheidungsgrund. “

Reinhold hatte sich an den Flügel gesetzt und ließ mechanisch die Hand über die Tasten gleiten, während er mit vollkommener Theilnahmlosigkeit erwiderte: „Ich kümmere mich nie um Ella’s Toilette, und ich glaube, es wäre auch nutzlos, da Aenderungen durchsetzen zu wollen. Was geht es mich auch an?“

„Was es Dich angeht, wie Deine Frau aussieht?“ wiederholte der Capitain, indem er einige der auf dem Tische liegenden Notenblätter ergriff und flüchtig durchsah; „eine allerliebste Frage für einen jungen Ehemann! Du hattest doch sonst einen nur allzu reizbaren Sinn für das Schöne, und ich möchte beinahe fürchten – was ist denn das? ‚Signora Beatrice Biancona in H.‘ Hast Du italienische Correspondenzen hier in der Stadt?“

Reinhold sprang auf. Verlegenheit und Unmuth stritten in seinem Gesichte, als er den Brief, den er vorhin unter die Noten geschoben, in der Hand des Bruders sah, der unbefangen die Adresse wiederholte:

„Beatrice Biancona? Das ist ja die Primadonna der italienischen Oper, die hier ein so unglaubliches Furore machen soll. Kennst Du die Dame?“

„Oberflächlich,“ sagte Reinhold, ihm den Brief rasch aus der Hand nehmend. „Ich wurde ihr kürzlich beim Consul Erlau vorgestellt.“

„Und Du correspondirst bereits mit ihr?“

„Nicht doch! Der Brief enthält nicht eine einzige Zeile.“

Hugo lachte laut auf. „Ein Couvert mit einer vollständigen Adresse darauf und einem sehr umfangreichen Papier darin und keine einzige Zeile? Lieber Reinhold, das ist noch wunderbarer, als meine Geschichte mit der Riesenschlange. Verlangst Du im Ernst Glauben dafür? Nun sieh nur nicht so finster aus! Ich beabsichtige durchaus nicht, mich in Deine Geheimnisse zu drängen.“

Statt aller Antwort zog der junge Mann das Papier aus dem noch nicht geschlossenen Couverte hervor und hielt es dem Bruder hin, der verwundert darauf niederblickte.

„Was soll das heißen? Nur ein Lied – Noten und Text – kein Wort der Erklärung dabei – einzig Dein Name darunter. Hast Du das etwa componirt?“

Reinhold nahm das Papier wieder zurück, schloß den Brief und steckte ihn zu sich.

„Es ist ein Versuch, weiter nichts. Sie ist Künstlerin genug, um darüber zu urtheilen. Mag sie es annehmen oder verwerfen!“

„Du componirst also auch?“ fragte der Capitain, dessen Gesicht auf einmal ernst geworden war. „Ich glaubte nicht, daß Deine leidenschaftliche Neigung für die Musik bis zum eigenen Schaffen ginge. Armer Reinhold, wie hältst Du es nur aus in diesem Leben, unter all dieser Engherzigkeit und Beschränktheit, die jeden Funken von Poesie als überflüssig oder gefährlich ersticken möchte? Ich habe es nicht gekonnt.“

Reinhold hatte sich wieder auf den Sessel vor seinem Flügel geworfen. „Frage mich nicht, wie ich es aushalte!“ entgegnete er gepreßt. „Genug, daß ich es thue!“

„Ich ahnte es längst, daß Deine Briefe nicht aufrichtig waren,“ fuhr Hugo fort, „daß hinter all der Zufriedenheit, mit der Du mich täuschen wolltest, sich etwas ganz Anderes barg. In dieser einen Woche hier im Hause ist mir die Wahrheit klar geworden, trotzdem Du Dir alle nur erdenkliche Mühe gabst, sie mir zu verbergen.“

Der junge Mann blickte düster vor sich hin. „Wozu sollte ich Dich in der Ferne auch noch mit der Sorge um mich quälen? Du hattest genug zu thun, Dich selber durchzubringen, und es gab ja auch eine Zeit, wo ich zufrieden war, oder es wenigstens zu sein glaubte, weil mein ganzes geistiges Leben wie in einem Banne lag, wo ich in dumpfer Gleichgültigkeit Alles über mich ergehen ließ und willig der Kette die Hand bot. Ich habe es gethan, nun ja! Ich habe aber auch mein ganzes Leben lang daran zu tragen.“

Hugo war zu ihm getreten und legte die Hand auf seine Schulter. „Du meinst Deine Heirath mit Ella? Bei der ersten Nachricht davon wußte ich, daß es einzig das Werk des Onkels war.“

Ein bitteres Lächeln spielte um die Lippen des jungen Mannes, als er fast schneidend erwiderte: „Er war von jeher ein ausgezeichneter Rechenmeister, und das hat er auch hier wieder gezeigt. Der arme, aus Gnade und Barmherzigkeit aufgenommene Verwandte mußte es ja als ein Glück betrachten, daß man ihn zum Sohn und Erben des Hauses erhob, und die Tochter mußte doch einmal verheirathet werden; da galt es, mit ihrer Hand der Firma einen Nachfolger zu sichern, der den gleichen Namen trug. Es war nicht Ella’s Schuld und nicht die meine, daß man uns so zusammenband. Wir waren Beide jung, willenlos, ohne Verständniß des Lebens und unser selbst. Sie wird es ewig bleiben – wohl ihr! Mir ist es nicht so gut geworden.“

Man hätte es den kecken braunen Augen des jungen Capitains kaum zugetraut, daß sie so ernst blicken konnten, wie in diesem Momente, wo er sich zu dem Bruder herabbeugte. „Reinhold!“ sagte er halblaut. „In der Nacht, als ich entfloh, um mich einer Willkür zu entreißen, die mir Freiheit und Zukunft verschütten wollte, da hatte ich Alles geplant und vorhergesehen, nur das Eine, Schwerste nicht, die Minute, wo ich an Deinem Bette stand, um Dir Lebewohl zu sagen. Du schliefst ruhig und ahntest nichts von der Trennung, aber ich – als ich Dein kleines blasses Gesicht auf dem Kissen sah und mir sagte,

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