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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Das war wohl auch das Motiv, welches Fräulein Mignot, die Gouvernante des Fräulein Roland, zur Denunciantin machte. Madame Roland hatte sie mit Wohlthaten überhäuft, ihr ein schrankenloses Vertrauen gezeigt, ja ihr sogar die Tochter übergeben wollen, wenn sie selbst der wechselnden Bewegung der Revolution zum Opfer fallen sollte. Dieses Fräulein Mignot hatte zum Theil die Unterhaltungen der Girondisten in dem Salon und bei den Diners der Madame Roland mit angehört und überbrachte einzelne Aeußerungen dem Revolutionscomité der Section des Pantheons. Gelobt wegen ihres Patriotismus, stolz auf den Triumph, den sie über ihre Gebieterin davon trug, steigerte sie sich in ihren Aussagen zu Uebertreibungen und Unwahrheiten. Man mag den Namen dieser Clavierlehrerin und Erzieherin der Nachwelt aufbewahren – die Demoiselle Mignot der Geschichte schlägt die Jane Eyre des Romans.

Unaufhörlich beschwerte sich die Roland über die Formwidrigkeit ihrer Verhaftung. Da trieb man ein böses Spiel mit ihr – man kündigte ihr die Freiheit an; sie verließ eilends die blumengeschmückte Kerkerzelle, welcher der Gefängnißwärter von jetzt ab den Namen des Pavillons der Flora zu geben versprach. Doch kaum hatte sie die Schwelle ihres Hauses wiederbetreten, als sie von neuem verhaftet wurde, diesmal nach allen Formen des Gesetzes. Ein junger Mann, der sich ihrer annahm, erbittert über dieses treulose Verfahren, büßte seinen Edelmuth mit dem Tode. Wieder in dem traurigen Gefängnisse von Saint-Pélagie verweilend, wies sie einen Befreiungsversuch von Seiten ihrer Freunde mit den Worten zurück: „Ich würde nur die Wuth der Feinde meines Gatten erregen; ich bleibe hier – mein Entschluß steht fest.“ Und in der That war es unmöglich, ihn zum Wanken zu bringen. Hier im Gefängnisse las sie den Tacitus, für den sie schwärmte; sie sah in seinen Annalen das Spiegelbild der eignen Zeit. Die damalige Regierung Frankreichs erschien ihr als ein Ungeheuer, dessen Formen und Auftreten gleich empörend seien, welches alles zerstöre, was es berühre, und sich selbst verzehre. Ihre ganze Seele weilte bei den Freunden, Buzot und Barbaroux, welche im Departement des Calvados den Aufstand gegen den Convent organisirten. Von ihnen erhielt sie auch Briefe durch Vermittlung eines Deputirten Duperret, der indeß später selbst verhaftet wurde; unter seinen Briefschaften fand sich Vieles, was Madame Roland compromittiren mußte. Am 31. October, am Tage der Hinrichtung der Girondisten, wurde sie in die Conciergerie gebracht.

Es war gewiß der trübste Tag ihres Lebens – so viele Freunde auf einmal dem Henkerbeile verfallen! Noch einem schönen begeisterten Todesmahle starben sie wie jugendliche Helden des Alterthums. Kaum eine halbe Stunde währte die Hinrichtung; es bedurfte nur so kurzer Zeit, um Talente in Masse aus der Welt zu schaffen. Die Rechnung des Todtengräbers lautete: „Für zweiundzwanzig Deputirte der Gironde an Särgen hundertsiebenundvierzig Francs; für Beerdigungskosten dreiundsechszig Francs, zusammen zweihundertzehn Francs.“ So wohlfeil kam der Tod dieser glänzenden Jugend Frankreichs zu stehn. Wenige beweinten sie damals; zu ihnen gehörte Manon Roland in ihrem Kerker. Zur Zeit, als die Männer der Gironde vor dem Revolutionstribunale standen, hatte sie gehofft, zur Zeugenschaft zugelassen zu werden. Als man sie nicht aufrief, aus Furcht vor ihrer Beredsamkeit und ihrer Unerschrockenheit, brachte sie ihr Zeugniß für die Nachwelt auf das Papier. Sie fügte den Anklageacten Amar’s „flüchtige Bemerkungen“ bei, zur Vertheidigung der Hauptvertreter ihrer Partei, und diese uns erhaltenen Bemerkungen sind der glänzendste Beweis für ihren scharfen Verstand, für ihre feine Menschenbeobachtung, für ihre edle Begeisterung für Freiheit und Freundschaft.

Wenn in früheren Aufzeichnungen uns Manon Roland als das vollkommene Abbild von Rousseau’s Julie geschildert und die hervorstechende Schönheit ihrer Augen, ihrer Haare, ihres Wuchses und ihres Teints gerühmt wird, so hat uns ein Mitgefangener in der Conciergerie, Riouffe, ein anziehendes Bild der ebenso anmuthigen wie seelenstarken Frau aus ihrer letzten Lebenszeit gegeben: „Ihr ganzer Gesichtsausdruck war vergeistigter Art. Das Unglück und ihre lange Haft hatten allerdings in ihrem Gesichte Spuren des Tiefsinns zurückgelassen, allein diese wurden durch ihre natürliche Lebhaftigkeit gemildert; sie besaß eine wahrhaft republikanische Seele in einem Körper, der bei aller Anmuth eine Haltung zeigte, wie man sie nur an einem Königshofe sich wünschen mag; in ihren großen, dunkeln Augen voll Sanftmuth und Feuer malte sich etwas mehr, als was sich gewöhnlich in den Augen der Frauen spiegelt. Mit der Freiheit und dem Muthe einer großen Seele sprach sie oft mit mir durch das Gitter ihres Gefängnisses. Diese freie und kühne Sprache in dem Munde einer anmuthigen französischen Frau, deren Schaffot schon errichtet war, erschien als ein Wunder der Revolution. Wir alle um sie her lauschten mit einer Art von Bewunderung und Erstaunen ihrer Unterhaltung, die hohen Ernst mit liebenswürdiger Wärme vereinigte. Sie wußte sich mit seltener Anmuth und mit solcher Schönheit der Sprache auszudrücken, daß, wenn man sie vernahm, man eine dem Ohre bisher fremde Musik zu hören glaubte.“

Sie erschien vor dem Revolutionstribunale in einem weißen Kleide; das gelöste schöne Haar wallte ihr bis zum Gürtel herab. Bei dem Verhöre hatte man die unwürdigsten Fragen an sie gerichtet, ohne sie aus der Fassung zu bringen. Ihr ganzes Streben war darauf gerichtet, Roland selbst zu vertheidigen. Sie sprach mit gewohnter Anmuth und Energie. „Ihr könnt mich auf das Blutgerüst schicken,“ rief sie aus, „aber mir nicht die freudige Genugthuung rauben, die ein gutes Gewissen und die Ueberzeugung giebt, daß die Nachwelt mich und Roland rächen wird, indem sie unsere Verfolger der ewigen Schande preisgiebt.“ Sie sprach stolz und muthig, bis man ihr das Wort entzog, aber die ihr angethane Schmach konnte sie nicht verwinden und mit Thränen in den Augen kehrte sie nach dem Verhöre in ihren Kerker zurück.

Als ihr Advocat, Chauveau-Lagarde, zu ihr kam, um sich mit ihr zu berathen, hörte Madame Roland mit ruhiger Miene zu, besprach kaltblütig die zu ihrer Vertheidigung vorgeschlagenen Mittel; dann aber zog sie gerührt einen Ring von ihrem Finger und reichte ihn ihrem Advocaten, indem sie sagte: „Kommt morgen nicht zum Tribunale! Das hieße Euch verderben ohne mich zu retten; empfangt das einzige Pfand, das meine Dankbarkeit Euch darzubieten vermag. … Morgen werde ich nicht mehr sein.“

Das Todesurtheil wurde über sie gesprochen. Sie rief ihren Richtern zu: „Ihr haltet mich für würdig, das Loos der großen Männer zu theilen, die Ihr gemordet habt; ich danke Euch, indem ich Euch zugleich die Versicherung gebe, daß ich mich bemühen werde, auf dem Wege zum Blutgerüste denselben Muth zu zeigen, wie sie.“

Als sie in die Conciergerie zurückkehrte, umdrängten sie die Gefangenen mit inniger Theilnahme und mit der Frage, wie es um sie stehe. Sie antwortete mit einer nicht mißzuverstehenden Pantomime, indem sie mit der rechten Hand an ihrem Halse die Bewegung eines Messers nachahmte, das einen Kopf abschneidet. Sie blieb ruhig; doch rings um sie klagte und weinte man.

Sie besaß Opium, doch sie machte nicht Gebrauch davon. Der Gedanke, daß ihre Hinrichtung noch ihrem Vaterlande nützlich sein könne, hielt sie von Selbstmord ab.

Ihre letzten Aufzeichnungen zeugen von seltener Seelengröße; der Adel des Ausdrucks giebt ihnen ein einfaches Gepräge. „Wenn die Unschuld,“ ruft sie aus, „zur Richtstätte schreitet, verurtheilt von dem Irrthume und der Nichtswürdigkeit, so findet sie dort unvergänglichen Ruhm. Möchte ich das letzte Opfer sein, das der Wuth des Parteihasses anheimfällt! Ich würde mit Freuden diese unglückliche Erde verlassen, welche die Guten verschlingt und mit dem Blute der Gerechten befleckt ist.“ Ihre letzten aufgezeichneten Worte waren eine Verherrlichung jener wahren Freiheit, welche nur für die großen Seelen ist, die den Tod verachten und für sie zu sterben wissen, nicht für die schwachen Menschen, welche mit dem Verbrechen unterhandeln, nicht für die Verdorbenen, die aus dem Bette der Schande und dem Schmutze des Elends emporsteigen, um sich in dem Blute zu baden, das von dem Schaffote fließt, nur für ein weises und gerechtes Volk. „So lange Ihr nicht ein solches Volk seid,“ ruft sie ihren Mitbürgern zu, „so lange wird für Euch die Freiheit nur ein leerer Schall sein. Ihr werdet nur die Freiheit haben, Einer dem Andern zum Opfer zu fallen, Ihr werdet Brod verlangen und man wird Euch Leichen geben; Ihr werdet unter dem Joche der Knechtschaft enden.“

Dies waren ihre letzten Zeilen. Noch auf dem Blutgerüste soll sie Schreibzeug verlangt haben, um die ganz besonderen

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