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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

mit dem Vater des Mädchens zu theilen hat, der ein ehrwürdiger, aber etwas einfältiger und, wie alle alten Väter, eigensinniger Greis ist. Den Schalk im Stücke spielt der Barbiergeselle, ein junger Schlingel, „der mit allen Hunden gehetzt ist und an keinen Teufel glaubt“ und zum Ueberflusse gleichfalls in das Mädchen verliebt ist; ebenso entschieden, wie er letzteres liebt, haßt er seinen Brodherrn, der neben seinen sonstigen respectabeln Eigenschaften auch ein gut Theil Heuchelei besitzt und „es faustdick hinter den Ohren hat“, und nimmt jede Gelegenheit wahr, ihm, wie ein richtiger Figaro, „auf die sauberen Schliche zu kommen“. Die Heldin endlich ist ein recht verständiges Bauerndirnchen, ohne jeglichen Anflug von Sentimentalität, überhaupt, wie ein echtes Bauernkind, mehr praktisch als poetisch gestimmt; obwohl sie dem Müllerburschen, der, wie alle Liebhaber im Lustspiele, nicht gerade an Ueberfülle von Verstand leidet, „von Herzen gut ist“, zieht sie doch auch die Heirath mit dem ökonomisch so wohlsituirten Bader ernstlich und, wie mich fast bedünken will, für eine richtige Liebhaberin fast allzu ernstlich in Erwägung, dabei hat sie zu allem Ueberflusse in einer geheimen Falte ihres Herzens eine kleine, stille Zuneigung halb mütterlicher, halb schwesterlicher Gattung, die jedoch nicht ganz über jeden Verdacht erhaben ist, zu dem pfiffigen Barbiergesellen versteckt, der freilich als Heirathscandidat für die kluge Tochter der Berge nicht wohl in Betracht kommen kann, immerhin aber die leichten Herzensregungen, die sie von Zeit zu Zeit für ihn verspürt, noch am ehesten verdient. Nimmt man noch dazu zwei zufällig des Weges kommende Handwerksburschen, die keinen Heller in der Tasche haben, und eine alte Dorfklatschbase, so hat man die Träger der Handlung beisammen.

Selbstverständlich „kriegen sich“ die Liebenden am Schlusse des vierten Actes trotz aller Dorfcabalen, und zwar weil der verliebte Müllerbursche mit Gefährdung seiner biedern Persönlichkeit seinen Schatz aus einem brennenden Hause rettet, das der heimtückische Dorfbarbier angezündet. Man sieht hieraus, daß der Theaterdichter von Brixlegg es sich nicht minder bequem gemacht hat als seine bekannteren Collegen an den verschiedenen Hof- und Stadttheatern des deutschen Reiches, und daß er, wie diese, sein Publicum kennt, das eben überall nur sich selbst und seine guten Bekannten, seine häusliche Noth und Misère auf den Schaubuden sucht und sehen will. Auf der andern Seite aber müssen wir dem poetischen Roßknecht das Zugeständniß machen, daß er es unleugbar verstanden hat, seinen an und für sich einfachen Stoff dramatisch wie sprachlich zu gestalten; so waren namentlich einzelne Episoden von urkomischer Wirkung und machten einen geradezu hinreißenden Eindruck; vor Allem müssen wir hervorheben, daß der aufgeklärte Dorfpoet den bäurischen Aberglauben ganz meisterhaft komisch zu verwerthen gewußt hat. Was mir aber am meisten auffiel, war das vortreffliche Zusammenspiel der Darsteller, zu denen durchweg Dorfbewohner aus Brixlegg verwandt worden waren. Sie hatten ihre Rollen so musterhaft auswendig gelernt, daß sie, obwohl das Stück zum ersten Male aufgeführt wurde, keines Souffleurs bedurften.

Nach der Vorstellung brachte ich noch in Erfahrung, daß der Vater, der neben dem jungen Georg gerade am besten gespielt, ein vollständig tauber Greis war, der sich also sein Stichwort lediglich aus dem Mienenspiele der Mitspielenden ablesen mußte. Das Spiel selbst war zwar entschieden schablonenhaft, aber nicht ungefällig, und zeugte unleugbar von ganz sorgfältiger Einübung. Die ganze Darstellung machte den wohlthuenden Eindruck vollendeter Sicherheit, und die Ausstattung des Stückes war durchaus sachgemäß, obgleich sie mit den allereinfachsten Mitteln bewerkstelligt wurde.

Meine Theilnahme an dem ländlichen Kunstinstitute wurde noch um ein Merkliches gesteigert, als ich mich nach dem Leiter desselben erkundigte und zu meiner Verwunderung erfuhr, daß derselbe Niemand anders sei, als wieder „der Roßknecht des Judenwirths“. Selbst Vorhang und Coulissen, sowie sämmtliche Inventarstücke und die ganze Maschinerie des Theaters hatte er allein mit eigener Hand angefertigt. So war er Theater-Dichter, ‑Director, ‑Maler, ‑Maschinist, ‑Inspicient und ‑Hauptdarsteller, Alles in einer Person, denn die Rolle des jugendlichen Komikers, des Barbiergehülfen Georg, hatte er gleichfalls gespielt.

Die unleugbar hohe geistige Begabung dieses Bauernknechtes und das ernste Streben, das ihn beseelt, in den enggezogenen Grenzen seines künstlerischen Wirkens etwas Tüchtiges zu leisten, würden genügen, ihm unsere volle Achtung zu erwerben; dazu kommt aber noch ein eigenthümliches Lebensschicksal, das er mit einem bekannten norddeutschen Grafen gemein hat, der seiner Liebhaberei für die Schauspielkunst eine glänzende Stellung und einen fürstlichen Reichthum zum Opfer gebracht, obwohl, wenn wir die beiden Schicksalsgenossen nach den Erfolgen ihrer künstlerischen Neigungen messen, die Wagschale entschieden zu Gunsten des „gemeineren“ Mannes sinken wird.

„Des Judenwirths Roßknecht“ nämlich war vor Zeiten ein reicher Bauer, so reich, wie nur irgend einer im Innthale; die stattliche Mühle, die der Alpbach treibt, ehe er sich in den Inn ergießt, war sein eigen und dazu Wiesen und Felder und manches schöne Stück Vieh. Allein der unselige Hang zur Schauspielkunst ließ ihm nicht eher Ruhe, bis er in seiner Mühle ein Theater eingerichtet und seine Bekannten und Freunde alle zu Schauspielern abgerichtet hatte. Jetzt wurde gespielt und gedichtet, was das Zeug hielt, aber die Mühle ging dabei von Tag zu Tag langsamer, bis sie schließlich ganz stille stand. Und der Müller verkaufte zuerst die Kühe und dann die Wiesen, die er doch nicht mehr brauchte, weil er keine Kühe mehr zu füttern hatte, zuletzt aber kam das Gericht und jagte ihn von Haus und Hof. Da gab ihm der pfiffige Judenwirth ein enges Kämmerlein neben seinem Pferdestalle und das tägliche Brod dazu, wofür ihm der Arme die Gäule seiner Gäste verpflegen und in seinen Freistunden in einer alten Scheune ein Theater einrichten mußte. Und der Judenwirth hatte seine Rechnung gut gemacht, denn so oft sein Roßknecht ein Stück aufführte, war das Theater ausverkauft und die erheiterten Gäste tranken an einem Abende mehr von seinem Wein und Bier, als er sonst in einem ganzen Monat verbraucht hatte. So ward allen Theilen geholfen, das Dörflein Brixlegg aber kam zu einem Theater, und der Dichter fand sein ordentliches Auskommen, was wohl schwerlich bei allen seinen Collegen der Fall ist.

Als ich am anderen Morgen die gastliche Herberge verließ, stand der Roßknecht in Hemdärmeln unter dem Thore und striegelte einen Fuhrmannsgaul. Freundlich und bescheiden wünschte er mir Glück auf die Reise, ich aber mußte bei mit selber denken: Wie wenig braucht ein braver Mensch, um glücklich zu sein!




Die Gefahren der Vogelbrut.

Der Menge zufälliger Zerstörungen der Vogelnester anläßlich des menschlichen Verkehrs und der umgestaltenden Anordnungen eine eingehende Aufmerksamkeit zuzuwenden, liegt nicht in Plan und Entwurf des nachfolgenden kleinen Artikels, Wohl aber sind es die bisher wenig in Betracht gezogenen Einflüsse der Witterung zunächst, auf die meine Mittheilungen umfassendere Rücksicht nehmen sollen, und ich werde nachweisen, daß jene Einflüsse das Gedeihen der Bruten vielfach beeinträchtigen.

Schon im März erwacht der Paarungstrieb einiger unserer Sängerarten. Schwarzamsel und Singdrossel wählen sich geeignete Nistorte aus, und der aufmerksame Waidmann findet schon zu Ende dieses Monats oder zu Anfang des April gelegentlich der Schnepfensuche manchen brütenden Vogel. Da erfolgt plötzlich ein empfindlicher Rückschlag, der uns wieder in den Winter hineinwirft und die Landschaften in eine dicke Schneedecke hüllt, die von dem herrschenden eisigen Nordwinde widerstandsfähig erhalten wird gegen die Wirkungen der höher gestiegenen Sonne. Was bleibt da oft den brütenden Vögeln anders übrig, als schließlich den mächtigen Fortpflanzungstrieb unter den noch mächtigeren Ernährungstrieb zu beugen und den Kampf um Dasein und Selbsterhaltung zu unternehmen? Wohl wird, wie ich mich überzeugt habe, das Aeußerste von den Paaren gewagt, um die Brut zu retten. Aller Scharfsinn, alle zu Gebote stehenden Erinnerungen und gemachten Erfahrungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_356.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2021)