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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

das Verweilen im väterlichen Hause verleideten. In diese Zeit fällt ihre erste Bekanntschaft mit Roland de la Platière, der sich durch den Brief einer Jugendfreundin bei ihr einführte. Er war zwanzig Jahre älter als Manon, und seine Persönlichkeit hatte nichts Gewinnendes. Hochgewachsen, von nachlässiger Haltung, dabei starr und steif in seinem Wesen, lakonisch in seiner Sprechweise, außer wenn er von sich selbst sprach, was er mit Vorliebe zu thun pflegte, dabei mit einem rauhen, unharmonischen Organe ausgestattet, war er nicht dazu geschaffen, bei dem ersten Anlaufe das Herz einer Frau zu erobern. Eine nähere Bekanntschaft zeigte freilich Vorzüge des Geistes und Charakters, welche für das Unvortheilhafte seiner äußeren Erscheinung entschädigen konnten. Er hatte sich dem Studium des Alterthums, für dessen große Männer er sich wie Manon begeisterte, mit Eifer hingegeben und war außerdem ein Anhänger der freigeistigen Encyklopädisten und Mitarbeiter an dem großen Sammelwerke in der technischen industriellen Abtheilung, in welcher er bedeutende Kenntnisse besaß. Dies Alles flößte der jungen Manon Sympathie und Achtung ein, und da sie sich aus dem Vaterhause fortsehnte, so war es ihr Wunsch, sich zu verheirathen. Wohl fehlte es ihr nicht an Bewerbern, doch sie zog den Pedanten Roland als einen tüchtigen Mann den geistlosen Freiern vor, die sich um ihre Gunst bemühten. Der Vater wies zwar Roland’s Antrag anfangs zurück; doch Manon sagte sich inzwischen ganz von demselben los, und als Roland von einer italienischen Reise zurückgekehrt war, reichte sie ihm am 4. Februar 1780 ihre Hand. Die Reisebriefe, die er ihr aus Italien geschrieben hatte und die später in sechs Bänden herausgegeben wurden, mögen die Achtung, die sie für seinen Charakter und seine Kenntnisse hegte, noch gesteigert haben.

Manon hatte, im Drange der Verhältnisse und dem Gefühle der Achtung folgend, eine Vernunftheirath geschlossen, die ihr niemals volle Befriedigung gewähren konnte.

Daß das Glück oft weit von ihnen war, bekennt sie ganz offenherzig. In der That, so groß ihre Achtung vor dem braven Gelehrten sein mochte, der sein Interesse für die alten Römer mit demjenigen für die Statistik der Schafzucht und der Baumwollenmanufacturen zu vereinigen wußte, so vollständig der Einklang ihrer politischen Ueberzeugungen war: sie konnte sich doch nicht, als die glühende Jugend der Gironde sich in ihrem Salon versammelte, dagegen verblenden, daß ihr Gatte ein etwas hölzerner antiker Römer war, verglichen mit diesen geistig hochbegabten jungen Männern, die sich zum Theil auch durch körperliche Schönheit auszeichneten. Die Schwerfälligkeit ihres Gatten, die ihn oft geistig vollständig hülflos machte, trat immer mehr hervor; sie lenkte ihn wie der Kornak den Elephanten, leider! zuletzt auch in gefährliche Untiefen, in denen Beide zu Grunde gingen.

Anfangs lebten die Neuvermählten in Paris, wo Roland einige wissenschaftliche Schriften herausgab; sie war seine Abschreiberin und Correctorin und gab seinem ungelenken Stile dabei Glätte und Abrundung. Später siedelten sie nach Amiens über, wo die Roland Mutter einer Tochter wurde. Sie lebte hier sehr zurückgezogen und verließ das Haus nur, um botanische Excursionen zu machen, da die stille Poesie der Pflanzenwelt sie schon lange angezogen hatte. Außerdem sorgte sie als echte Hausfrau für die Küche.

Eine Reise nach England unterbrach diese Idylle in der Provinz. Im Jahre 1781 wurde Roland nach Lyon versetzt, wo er eine vortheilhafte Stellung erhielt; er verdankte dieselbe den Bemühungen seiner Frau, die in Paris sich eifrig für ihn verwendet hatte. Die ausbrechende Revolution wurde von Beiden mit Begeisterung begrüßt. Als in Lyon im Jahre 1790 das große Föderationsfest gefeiert wurde, gab Madame Roland im „Courrier de Lyon“ eine begeisterte und so glänzend stilisirte Beschreibung desselben, daß die betreffende Nummer in mehr als sechszigtausend Exemplaren verkauft wurde. Gehoben durch diesen schriftstellerischen Erfolg, begab sie sich mit ihrem Gatten nach Paris, um die großen Männer der neuen Bewegung persönlich kennen zu lernen. Sie lauschte den Worten eines Mirabeau und Barnave; sie betrachtete die düstere Gestalt eines Robespierre, die sich unheimlich am Horizont der Revolution abzeichnete; ihr imponirte jetzt wie später die Charakterfestigkeit und die Zähigkeit, mit welcher dieser Volksmann an seinen Ueberzeugungen festhielt; doch es waren Männer wie Bristol, Petion, Buzot, welche, durch gleiche politische Anschauungen eng verbunden, im Hause Roland’s heimisch wurden und einmal wöchentlich hier ihre Abende zubrachten. Roland und seine Frau besuchten auch den Jacobinerclub und ließen sich ganz von den Wogen der politischen Bewegung treiben. Er selbst war diesmal als Abgesandter des Gemeinderaths von Lyon in Paris, um die trostlose Lage der Stadt, wo fast alle Fabriken stillstanden und zwanzigtausend Arbeiter brodlos waren, der Nationalversammlung zu schildern, und er setzte auch günstige Beschlüsse durch.

Nach Lyon zurückgekehrt, gründete Roland in dieser Stadt ebenfalls einen Jacobinerclub, der mit dem Pariser in nahe Beziehungen trat; doch war seines Bleibens in Lyon nicht; die Stelle, die er bekleidete, wurde aufgehoben und er begab sich nach Paris, um eine Pension zu erlangen und seine encyklopädischen Arbeiten fortzuführen. Hier schloß er sich noch enger an die gleichgesinnten Abgeordneten der gesetzgebenden Versammlung an und wurde auf ihren Vorschlag in das Ministerium gewählt, welches König Ludwig der Sechszehnte aus Dumouriez und Mitgliedern der Gironde zu bilden sich durch seine Machtlosigkeit und völlige Abhängigkeit von der Versammlung genöthigt sah.

Das Ministercabinet, der Ministersalon – welch ein Tummelplatz für eine begabte und unternehmende Frau, welche jetzt erst, wie sie selbst bekennt, ihre ganze Bedeutung zu fühlen anfing! Die geringe Begabung der damaligen Staatsmänner, welche nur in einer gewissen Entfernung zu imponiren vermochten, war in der Nähe unverkennbar. Madame Roland sprach ihre Verwunderung aus über die allgemeine Mittelmäßigkeit, die Alles übertreffe, was die kühnste Einbildungskraft sich denken konnte; ihr Ideal von großen Männern, das ihr Gatte so schlecht verwirklichte, kam auch bei den anderen Berühmtheiten des Ministeriums zu kurz. Doch wie viele berühmte Staatsmänner auch anderer Zeiten sind im Grunde mittelmäßige Köpfe gewesen, die nur durch gewisse Charaktereigenschaften und glückliche Erfolge sich einen weitreichenden Ruhm erwarben! Sie hatten die Hände voller Trümpfe und machten einen Stich nach dem andern; aber es fehlte eine Roland, um ihr Spiel zu controliren.

Manon Roland wurde der Cabinetssecretär ihres Mannes, aber einer jener Secretäre, welche mehr dictiren als nachschreiben. Sie selbst erzählt, daß sie bei allen Rundschreiben, bei Instructionen, bei wichtigen Veröffentlichungen selbst zur Feder gegriffen habe; sie erkennt das Administrationstalent ihres Mannes an; aber sie meint doch, daß mit ihrer Beihülfe Alles, was er schrieb, mehr Nachdruck und Wirkung gewonnen habe, „denn es gelang mir, in seine Manifeste eine Mischung von Kraft und Milde, die Macht der Vernunft und den Reiz der Empfindung zu bringen, die vielleicht nur bei einer Frau vereinigt zu finden sind, welche Gefühl und einen klaren Kopf besitzt.“

Ohne Frage unterschätzte sich Manon Roland nicht – und wenn in ihrem Zimmer die Girondisten berathschlagten, während sie selbst mit weiblichen Arbeiten beschäftigt war oder Briefe schrieb, ohne daß ihr ein Wort der Berathung verloren ging, da hatte sie oft das Gefühl, daß sie nicht nur der einzig klare Kopf, sondern daß sie auch als Weib weit entschiedener sei als diese Männer. „Was mich am meisten befremdete,“ sagt sie, „war das Hin- und Herreden und der Leichtsinn, mit welchem Männer von tüchtigem Verstande drei bis vier Stunden zubrachten, ohne zu einem festen Entschlusse zu kommen. Ich hätte den Ehrenmännern, die ich wegen des Adels ihrer Gesinnung und der Reinheit ihrer Absichten täglich mehr achten lernte, vor Ungeduld Ohrfeigen geben können.“ Das that sie nun freilich nicht, aber sie redete jedem Einzelnen in’s Herz; sie citirte Einen nach dem Andern vor ihren politischen Beichtstuhl, hielt ihm eine Strafpredigt und mahnte ihn, sich zu bessern. Sie war mißtrauisch gegen den Hof und dessen Intriguen, besonders gegen die Königin Marie Antoinette. Als Jemand Mitleid bei der Beschimpfung derselben und des kleinen Dauphin zeigte, wandte sie sich ab mit den Worten: es handle sich in der Revolution um größere Dinge, als um ein Weib und ein Kind. Während ihre Freunde noch Vermittelungen mit dem Königthume suchten, hatte sie vollständig mit ihm gebrochen. Die Royalisten ihrer Zeit verglich sie mit jener Wirthsfrau, die, als einmal über Manon’s Vater der Betthimmel bei dem Zusammenziehen der Vorhänge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_353.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)