Seite:Die Gartenlaube (1874) 350.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Hm, das ist ungeschickt,“ sagte der Alte mitleidig. „Es sind schon drei Bewerber hier gewesen, und jeder hat mir ein interessantes Stück gebracht.“ Er riß einige der Schubladen auf und nahm aus einem Sammetetui eine dreieckige Münze. „Sehen Sie, das ist ein seltenes Stück; der hat Aussichten, gegründete Aussichten. Aber,“ fügte er hinzu, „Sie gefallen mir. Bringen Sie mir einen Nero, dann sollen Sie den Dienst haben!“ Er schlittete wieder weiter und rieb seine alten runzeligen Hände.

„Das ist sehr schwer, Herr Baron,“ wagte Felix einzuwerfen. „Dürfte es nicht ohnedem gehen? Offen gestanden, ich habe mein Herz an ein holdes Mädchen verloren, und – ich denke, wenn ich den Dienst nicht erhalte, so sind Herz und Dienst und Mädchen zugleich verloren.“

Er konnte den Humor selbst jetzt nicht lassen und erwartete die Wirkung seiner Argumente.

„Hm, hm, gerade da fällt mir ein,“ sagte wichtig der Alte, „der Förster war neulich bei mir und meinte, man solle darauf hinwirken, daß der Unterlehrer von Ebensee versetzt werde. Hm, hm, wissen Sie auch, warum?“

Felix erbleichte, erwiderte aber nichts.

„Die Ellen, die schöne Ellen!“ kicherte der Baron. „Ich begreife es, erinnere mich auch – – in den Haselstauden im Herbste, … nicht wahr? hm, hm!“

„Ja, da haben wir Nüsse gesucht, Herr Baron,“ versicherte Felix mit möglichster Unbefangenheit.

„Nüsse und Küsse, hab’s wohl gesehen,“ krächzte der Alte und schlittete weiter. „Nun, junges Blut, kann mir gleich sein; aber dem Förster ist es nicht gleich,“ fuhr er fort.

„Nero, Nero,“ krächzte die Dohle aus ihrem Winkel und kollerte einen goldenen Ring über die Diele, den ihr der Baron zum Spielen gegeben hatte.

„Ja, ja, Wütherich, gut gemacht, gut gejagt, kleiner Nero! Aber“ – er blickte stumpf auf seine Fächer – „einen Nero müssen Sie mir schaffen! Dann bekommen Sie den Dienst und vielleicht die schöne Ellen auch. Der Förster ist hochmüthig, fast hochmüthiger als ich,“ setzte er mit naiver Selbstironie hinzu. „Ich werde noch einmal mit ihm reden.“ Sogleich aber auf den alten Gedanken überspringend, den er wie ein Tretrad bearbeitete, sagte er, indem er ein altes vergilbtes Register aus einem Fache hervorholte:

„Mein Großvater hat eine herrliche Münzsammlung angelegt. Hier ist Stück für Stück verzeichnet und darunter war ein Nero –“

„Nero, Nero,“ heulte die Dohle als Echo.

„Ein Nero, sage ich Ihnen, wie der Graf Hinko keinen hat. Es ist zum Verzweifeln. Denken Sie, die Münzsammlung ist fort, gestohlen, verkauft, versteckt, verloren, was weiß ich!“ Er weinte fast, der alte kindische Mann, und schlittete in heller Verzweiflung auf und ab. „Geben Sie mir meinen Nero wieder, und Sie sollen den Dienst und die schöne Ellen und Alles haben. Nur meinen Nero möchte ich.“

„Nero, Nero!“ echote die Dohle.

Felix wußte nicht, sollte er lachen oder weinen. Er that aber keines von Beidem, sondern sagte mit sauersüßem Gesichte, indem er sich empfahl:

„Ich will einmal nachforschen und bitte nur, die Verleihung des Dienstes nicht übereilen zu wollen. Kommt Zeit, kommt Rath,“ sagte er wie beschwichtigend zu dem alten Kinde, das wieder trostlos auf seine Fächer starrte.

„Meinen Sie?“ fuhr der Baron auf. „Also suchen Sie – aber nicht Nüsse und Küsse – suchen Sie meinen Nero!“

„Nero, Nero!“ kreischte die Dohle noch, und im nächsten Augenblicke stand Felix auf dem Gange und freute sich, wenigstens nicht ganz dem Wütherich Nero zum Opfer gefallen zu sein.

Er ging an dem uralten Diener vorbei, der ihn wieder fade anlächelte, und schlug den Weg nach der sogenannten Waldkirche ein. –

Die Waldkirche war der Rest eines alten Klosters, dessen Bewohner längst weggezogen waren. Sie gehörte zu dem Gute des Barons Bisam, diente aber längst nicht mehr zum gottesdienstlichen Gebrauche. Unter ihren Steinfliesen, die mit alten Figuren und ausgetretenen Steinlettern bedeckt waren, ruhten die ehemaligen Aebte des Klosters in Metallsärgen. Alles war alt und zerfallen; das Weihwasserbecken war umgestürzt; die Fenster waren zerborsten; selbst das Crucifix auf dem Hauptaltare, der noch stand, war in Stücke zerfallen, und nur der eiserne Fuß ragte kahl in die Höhe. Die Steine hatten alle Risse und Höhlungen, und aus ihren Ritzen krochen die Ranken der Brombeere und falbes Moos. Zu den Fenstern herein nickten, wie am Forsthause, Haselstauden, die sich eben begrünten. Sie waren das Bild des Lebens gegen den Tod da innen. Ueberall zitterte der Staub nieder, wenn ein Fußtritt in dem alten Gemäuer hörbar wurde, und dann schrieen die Schwalben und Elstern, die in den alten Winkeln hausten.

Auf den Stufen des Altars saß Ellen; sie glich einem Engel, der an den Gräbern der Vergangenheit trauert. Ja, sie trauerte, aber über die Gegenwart, die so gar nicht frühlingsgrün war für sie, sondern herbstlich kahl. Sie war heimlich herübergeschlichen vom Forsthause, das nicht weit entfernt war – sie wartete auf Felix.

Was hätten wohl die alten Herren da unten gesagt, wenn sie gesehen hätten, wie es da oben ein Stelldichein gab zwischen Liebenden? Wer weiß es? Sie hätten vielleicht trübe gelächelt mit ihren bleichen Gesichtern und geschwiegen, wie jetzt.

Bald saß Felix an der Seite Ellen’s und drückte sie fest an sich, denn es war gar kühl in den alten dicken Mauern. Er hatte an den Rosen, die sie am Sonntage an der Brust getragen, die Bestellung für den heutigen Tag erkannt.

„Was bringst Du Gutes?“ fragte sie.

„Wenig,“ antwortete er. „Der Baron ist ein completer Narr, und wenn ich ihm nichts vorschwindeln kann, mit einer Goldmünze nämlich, die er verlangt, kann mein Stündlein in Ebensee bald schlagen.“ Er erzählte kurz, aber mit so komischen Randglossen seine Audienz, daß auch über Ellen’s Lippen ein Lächeln hinzitterte.

„Es könnte schlimmer sein,“ meinte sie, „obwohl es schlimm genug ist, daß mein Vater auf Deine Beseitigung sinnt. Ich bringe Schlimmeres.“ Und jetzt erzählte sie die Begebnisse jener Sturmnacht, deren Nachwehen ihn bei diesen Eröffnungen kühl durchschauerten. „Das Schlimmste ist,“ endete sie, „daß mein Vater den Sohn seines Freundes, dem er meine Hand zugesagt, zum Besuche eingeladen hat. Warum, kannst Du Dir denken. Es ist drei Jahre, daß er auf Besuch bei mir war, und ich fürchte für diesmal Alles.“

„Es muß bald eine Wendung zum Bessern nehmen, Ellen,“ beruhigte Felix. „Mein fröhlicher Sinn hat mich noch nicht verlassen, und das ist ein gutes Zeichen. Da, ein neues Andenken!“ Er nahm ein Sträußchen von Veilchen aus dem Knopfloche und steckte es, wie damals die Schlüsselblume, an Ellen’s Brust, indem er sagte:

„Erst wenn Du ein Paar Thränen auf diese Blümchen geweint hast, paßt mein Vers, den ich dazu gemacht habe, denn bei dem Thau habe ich an Deine Thränen gedacht.“ Er recitirte:

„O mein Veilchen, zartes, blaues!
Sag’ mir eine Blume, welche
Schöner sei als mit des Thaues
Perlrund du in deinem Kelche.“

„O wie schön das ist und wie lieb Du bist!“ sagte Ellen mit ihrer verschleierten Stimme und gab ihm einen süßen Kuß.

„Jetzt mußt Du mir aber auch ein Andenken schenken,“ bat Felix.

„Was kann ich Dir geben, daß es der Vater nicht erführe?“ meinte sie sorgend. „Einen Ring vermißt er sogleich; die Halskette hier ist von meiner Mutter selig und sonst habe ich nichts.“ Sie suchte in ihrer Tasche, und plötzlich ging ein schelmisches Lächeln sonnig über ihre frischen Lippen. „Weißt Du noch, Felix,“ sagte sie dann mit einem Anfluge des frühern Jugendübermuthes, „wie wir im letzten Herbste so oft Haselnüsse zu suchen gingen und –“

„Nüsse und Küsse,“ lachte Felix, dem der Baron Bisam einfiel.

„Ich habe einen ganzen Korb voll zusammengebracht. Aber wie gewonnen, so zerronnen; der große Felix hat sie mit Mühe und Noth gesammelt und der kleine Felix hat sie leichtfertig aufgegessen – bis auf eine, die ich heute gefunden habe und aufheben wollte als Andenken an Dich. Da Du aber eines

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_350.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)