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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Das Straußflechten ist eine Kunst, die nicht nur erlernt sein will, sondern ohne natürliches Talent, ohne Geschmack und Farbensinn sich gar nicht erlernen läßt. Die Pariser haben es in dieser Kunst zu einer großen Meisterschaft gebracht, und es ist nicht zu verwundern, daß Paris täglich eine bedeutende Menge Sträuße in die Provinzen und selbst in’s Ausland versendet.

Da der Cultus der Todten kaum in einer anderen Stadt so lebhaft ist, wie in Paris, so sieht man auf den Pariser Kirchhöfen, und besonders auf dem Père Lachaise die schönsten Sträuße und Kränze. Wie es in Paris viele Magasins de deuil giebt, Läden, in welchen man die Toilette für Trauernde verkauft, so giebt es auch Blumenläden, in welchen Blumen und Kränze zum Schmucke der Gräber verkauft werden, und ich habe in diesen Blättern bereits erwähnt, daß in der Nähe des Père Lachaise sich eine Reihe von Magazinen befindet, wo Blumen aller Art und Immortellenkränze mit eingeflochtenen oder bemalten Inschriften in großer Auswahl auf die Kunden warten. Diese Inschriften künden die verschiedenen Grade der Verwandtschaft an, wie z. B.: à mon mari! à mon frère! à ma soeur! à ma tante! Der Käufer sucht sich den Kranz mit der entsprechenden Inschrift aus. Gar manche arme Wittwe, gar manche betrübte Mutter giebt ihren letzten Sou hin, oder trägt ein Kleidungsstück in’s Pfandhaus, um am Tage aller Seelen das Grab ihres Gatten oder ihres einzigen Kindes schmücken zu können. Freilich kauft hier auch mancher lachende Erbe, dem der reiche Oheim zu lange gelebt hat, voll innigen Behagens einen Kranz mit der Inschrift: à mon oncle! Es giebt in Paris, und nicht blos in Paris, unzählige Hüte, die sich nach dem schwarzen Flore sehnen. Die innere Trauer hört oft auf, wenn die äußere beginnt. –

Ich komme jetzt von den natürlichen Blumen auf die künstlichen.

Es ist bekannt, daß schon die Alten künstliche Blumen verfertigten; ich glaube indessen nicht, daß die Alten in dieser Kunstindustrie auch nur im entferntesten den Vergleich mit der Pariser ausgehalten hätten, so sehr sie in jeder andern Kunst uns Alle übertreffen. In der Pariser Blumenfabrikation sind nur wenige Männer beschäftigt, und diesen ist blos ein Theil der Arbeit, das Ausschneiden der Blätter, anvertraut, eine Arbeit, die viel körperliche Kraft erfordert.

Die Arbeiterinnen werden in zwei Classen eingetheilt, in die eigentlichen Ouvrières (Arbeiterinnen) und in die sogenannten „Monteuses“. Die Ouvrières verfertigen die Blumen auf eine höchst mechanische Weise. Man liefert jeder derselben die einzelnen Bestandtheile, die sie dann zu einer Blume zusammenfügt, etwa wie der Uhrmacher aus den einzelnen ihm gelieferten Theilen eines Gehäuses die Uhr herstellt. Jede Ouvrière ist Specialistin. Die Eine verfertigt ausschließlich Veilchen, die Andere bloß Vergißmeinnicht und wiederum eine Andere nur Dahlien. Eine solche Arbeiterin wird auf’s Stück bezahlt und verdient täglich ungefähr zwei Franken. Manchen von ihnen gelingt es, nach jahrelanger Arbeit ein kleines Etablissement zu gründen, in welchem ihre frühere Specialität fortgesetzt wird. Es giebt in Paris viele solcher kleinen Werkstätten, von denen jede nur immer eine und dieselbe Blumenart liefert; ja, es giebt Fabrikanten, die ausschließlich blaue Blumen, andere, die nur weiße Blumen für Communionen und Brautkränze, oder Strohblumen für Grabstätten verfertigen. Durch diese Specialität wird eine große Vollkommenheit erwirkt, die sich besonders an der Rose zeigt. Die Rosenfabrikanten – die „Rosiers“ – bilden wieder gewisse Classen, von denen Einige die feinen Rosen für Kopfschmuck, die Anderen für Kleiderverzierungen herstellen. In keiner anderen Stadt der Welt wird diese Blume so trefflich im Einzelnen und so täuschend im Ganzen nachgeahmt wie in Paris.

Die einzelnen Blumen werden dann der „Monteuse“ übergeben, welche dieselben zu Sträußen, Kränzen, Hutverzierungen und Kleidergarnituren zusammensetzt. Die Monteuse kann keine Blumen verfertigen; sie hat diese nur geschmackvoll zu gruppiren. Sie wird nicht nach dem Stück bezahlt, sondern bezieht einen Monatsgehalt. Eine Monteuse, die sich durch feinen Geschmack auszeichnet, gewinnt monatlich zweihundert bis zweihundertfünfzig Franken. Es giebt Pariser Häuser, in denen viele Monteuses beschäftigt sind. Ich habe eine solche Werkstätte gesehen. Dieselbe ist im Besitze eines wackeren Deutschen, dessen liebenswürdiger Zuvorkommenheit ich manche Belehrung über den hier besprochenen Industriezweig verdanke. Man kann sich nichts Anmuthigeres denken als eine Gruppe junger Mädchen, die mit feinen geübten Fingern die Blumen zu malerischen Sträußen, zu farbenprächtigen Kränzen flechten und winden. Ich wurde an die Geliebte und spätere Gattin unseres großen Dichters erinnert, an Christiane Vulpius, die sich vor ihrer Bekanntschaft mit ihm bekanntlich durch Verfertigen künstlicher Blumen ernährte und die ihn unter Anderm zu den schönen Gedichten „Der neue Pausias“ und die „Metamorphose der Pflanzen“ begeisterte.

Die Ausfuhr der französischen künstlichen Blumen beläuft sich auf mehr als dreißig Millionen im Jahre. Den meisten Absatz finden dieselben in Amerika, in England und Deutschland. Sonderbar ist es, daß diese unechten Kinder der Flora auch in Südamerika sehr gesucht sind, wo doch die Natur die allerherrlichsten Blumen hervorbringt und den Blüthenschmuck in keiner Jahreszeit ablegt. Die Kunden in den südamerikanischen Ländern verlangen gewöhnlich an den künstlichen Blumen den eigenthümlichen Duft der natürlichen. Die Blätter von jenen werden also mit den entsprechenden Essenzen getränkt, die Blätter der Rose mit Rosenessenz, die Blätter der Nelke mit Nelkenessenz etc. Ein Verfahren, das, beiläufig gesagt, die Alten auch schon kannten.

Unter den Stoffen, die zur Herstellung der künstlichen Blumen verwendet werden, befindet sich ein eigner Sammt, der, wie ich gehört, in Deutschland in besonderer Güte verfertigt und auch von dort bezogen wird. Von Deutschland werden auch zum großen Theil die Federn bezogen, aus denen man ebenfalls künstliche Blumen herstellt. Diese Federn werden in Paris gefärbt und überhaupt den entsprechenden Zwecken gemäß behandelt. Neben diesen gefärbten Federn verarbeitet man auch die natürlichen buntfarbigen aus den tropischen Ländern.

Es giebt unter den Pariser Blumenfabrikanten mehrere Deutsche. Früher waren sehr viele deutsche Mädchen in den Blumenfabriken beschäftigt. Seit dem jüngsten deutsch-französischen Kriege hat sich dies jedoch sehr geändert, wie denn überhaupt unsere Landsleute jetzt in den Pariser Werkstätten nur wenig vertreten sind. Ich habe vor einer Reihe von Jahren einen unserer Landsleute kennen gelernt, der in der Nähe von Paris eine Lederblumenfabrik besaß. Die fabricirten Blumen unseres Landsmannes waren höchst geschmackvoll, und daß sie sich auch durch seltene Solidität auszeichneten, versteht sich von selbst.

Mehrere Knollengewächse werden ebenfalls als Materialien zu künstlichen Blumen benutzt, die man auf den Pariser Straßen fast täglich sieht. Rosen und Dahlien, aus Kartoffeln, Tulpen und Astern, aus weißen Rüben geschnitzt und naturgemäß gefärbt, finden ihre Käufer unter der ärmeren Volksschichte. Diese Blumen bieten den Vortheil, daß sie erst als Augenweide dienen und dann als Gemüse verspeist werden können. Sie vereinigen das Angenehme mit dem Nützlichen und unterscheiden sich dadurch von einer anderen Gattung künstlicher Blumen, von den rhetorischen Blumen nämlich, die auf den politischen Rednerbühnen fabricirt werden und an denen keines von beiden zu rühmen ist.




In der Bildergalerie.
1. Wie wir die Bilder ansehen.


In einem illustrirten Familienblatte, welches nicht blos durch den todten Buchstaben, sondern auch durch das lebendige Bild auf den Geist zu wirken strebt und häufig gute Holzschnittcopien berühmter Gemälde veröffentlicht, sind ein paar Worte über die schwierige Kunst, Bilder zu betrachten, gewiß nicht am unrechten Orte. Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, daß zum Sehen unendlich viel mehr gehört, als das Oeffnen der Wimpern, daß diese Sinnesthätigkeit eine überaus zusammengesetzte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_340.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)