Seite:Die Gartenlaube (1874) 321.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Feindseligkeiten gethan würde. Ich wandte mich daher an die Bemannung der Bootsflotille, welche sich um uns gesammelt hatte, und drohte Jedem, der Feuer geben würde, ohne daß der erste schwirrende Pfeil im Bord unserer Canots stecke, mit strenger Ahndung. Wir seien nicht gekommen, um die alte Fehde zu erneuern, sondern um Straßen, Eisenbahnen und Schifffahrtscanäle anzulegen und gerade die bis jetzt unzugängliche Wildniß, den „Sertao“ des Parana, zu erschließen. Die Regierung werde es daher sehr übel nehmen, wenn durch unsere Schuld die Erreichung dieses Zweckes erschwert werde, und ich für meinen Theil würde dafür sorgen, daß der Uebelthäter seiner Strafe nicht entginge.

Sie hörten mich ernst und schweigend an, und wir setzten, als ich noch etwas Munition vertheilt hatte und die Waffen schußbereit zur Hand lagen, die Fahrt stromab langsam fort unter steter Beobachtung der, wie es schien, an Zahl wachsenden Indianerhorde. Kaum hatten wir jedoch 2–300 Meter zurückgelegt, als sich am gegenüber liegenden Punkte des Ufers die Büsche theilten und ein gänzlich unbekleideter junger Indianer, vollständig unbewaffnet, auf eine flache Felsplatte heraustrat und uns Zeichen machte, heranzukommen.

Wenngleich der eine oder der andere unserer Leute, besonders ein paar furchtsame Neger, deren tiefen, psychologisch interessanten Abscheu vor den Rothhäuten ich öfters zu beobachten Gelegenheit hatte, etwas von Hinterhalt murmelte, so ließ ich doch alsbald anlegen und war auf’s Angenehmste überrascht, als der Indianer, ohne sich lange zu besinnen, in mein Boot sprang und sich zu uns setzte, als seien wir alte Bekannte. Es war ein kräftig gebauter, untersetzter Bursche von etwa zwanzig Jahren, dem die den ganzen oberen Theil des Hauptes einnehmende scharf abgegrenzte Tonsur ein eigenthümliches Aussehen gab. Einige Reihen weißer Glasperlen um den Hals bildeten, wie schon bemerkt, seine ganze Ausstattung.

Um die Conversation in einer allgemein verständlichen, für ihn angenehmen Weise zu eröffnen, ließ ich ihm ein Stück gebackenen Angu oder Polenta reichen, das er sogleich verspeiste, sowie eine Ziehharmonika, deren Töne, als einer der Ruderer sie spielte, seine Bewunderung zu erregen schienen. Er versuchte dasselbe zu leisten, ärgerte sich, daß es ihm nicht gelang, betrachtete das Instrument von allen Seiten, durchbohrte endlich wahrscheinlich behufs eingehenderen physiologischen Studiums, dessen Blasebalg mit den Fingern, suchte das tönende Princip im Innern zu erspähen, und warf, zuletzt ungeduldig werdend, den ganzen Plunder über Bord.

Nach diesem stummen, aber ausdrucksvollen Intermezzo setzten wir unsere Fahrt stromabwärts mit um so größerer Zuversicht fort, als wir nun von den friedlichen Absichten der uns Erwartenden überzeugt sein durften und der „Parlamentär“, welcher sich so vertrauensvoll zu uns gesellt hatte, uns durch Zeichen zur Weiterfahrt aufforderte.

Wir waren nach und nach in den Bereich der Schnelle gekommen; pfeilschnell schossen die Wasser dahin und bald saßen selbst unsere keineswegs tiefgehenden Fahrzeuge auf einem der Riffe fest. Unter stets getheilter Aufmerksamkeit auf den schwer ausfindig zu machenden Fahrweg und auf die am Ufer versammelten Indianer, welche bei unserer Annäherung ein lautes Geschrei erhoben, gelangten wir endlich in den Canal zwischen der Insel und dem rechtseitigen Ufer, hart unter dem hohen Gelände, auf dem die Hauptmasse der Rothhäute, etwa sechzig Männer und nahezu ebensoviel Frauen, sich versammelt hatten. Als die Canots wegen mangelnder Wassertiefe hier nochmals festsaßen, fanden wir uns im nächsten Augenblicke von der ganzen Bande umringt, so daß ich mir sagen mußte, wir seien, im Falle sie wirklich noch feindselige Absichten hegten, so ziemlich ihrer Gnade anheim gegeben.

Wir hatten jedoch, wie sich alsbald herausstellte, eher von allzu großer Zudringlichkeit und Freundlichkeit, als von Feindseligkeiten zu leiden, denn kaum hatte ich angefangen einige Geschenke: grobe Wollstoffe, rothe Taschentücher, Scheeren, Glasperlen etc., unter sie zu vertheilen, als ein solches Drängen, Schieben und Zugreifen rings um mich her entstand, daß ich mir, um nur einigermaßen die Freiheit meiner Bewegungen zu wahren, von Zeit zu Zeit durch meine Ruderer etwas Luft schaffen lassen mußte.

Männer, Frauen und halberwachsene Kinder, bis an die Kniee im Wasser stehend, suchten durch die lebhaftesten Geberden das Bedürfniß nach schützender Kleidung, von welcher die Männer und Kinder gar nichts, die Frauen nur ein grobes Lendentuch auf sich hatten, auszudrücken, und trotz aller Anstrengung von unserer Seite konnten wir es nicht verhindern, daß der Eine oder der Andere, der seinen Antheil schon empfangen, zum zweiten Male sich vordrängte.

Noch wartete unser jedoch die größte Ueberraschung: Mühevoll bewegte sich eine Gruppe von Indianern von der Insel her, von Stein zu Stein springend oder durch die brausenden Rinnen watend, auf unsere Boote zu, von Zeit zu Zeit eine Lanze mit einem an deren Spitze befestigten Bündelchen hoch haltend oder schwenkend.

Laut schreiend und gesticulirend machten uns die Umstehenden darauf aufmerksam; da wir jedoch ihre Sprache, die von dem bekannteren Guarany durchaus verschieden ist, nicht verstanden, so mußten wir uns gedulden, bis das Räthsel von selbst sich löste. Endlich waren sie keuchend und triefend neben unsern Fahrzeugen angelangt und ein schöner, ernst blickender Indianer von etwa fünfzig Jahren, der, auf zwei jüngere Bursche sich stützend, allem Anscheine nach der Häuptling sein mußte, übergab uns mit einer gewissen Würde und nicht zu verkennender freudiger Erregung einen sorgfältig in glatte Palmitohüllen gewickelten – Brief! – Jawohl! – einen wirklichen, echten, mit schwarzer Tinte auf etwas grobes, graues Papier geschriebenen Brief in portugiesischer Sprache, der obendrein noch so sorgfältig wie möglich, und zwar an die „Ingenieure José und Francisco Keller auf dem Ivahy“, adressirt war. Auf dem Ivahy, der auf seiner ganzen Länge zwischen endlosen Urwäldern, die noch nie der Fuß eines Weißen durchmessen, dahinfließt!!

Das merkwürdige, mit wenig gewandter Feder in steifen, ich möchte sagen klösterlichen, Zügen geschriebene Document kam von der Hand des Fray Timotheo de Castelnuovo, eines genuesischen Capuzinermönches, der zur Zeit die Stelle eines Directors in der von der Regierung am Tibagy in San Pedro d’Alcántara gegründeten Indianer-Colonie oder Aldeamento einnahm. Er hatte von dem Präsidenten der Provinz, unserem verehrten Freunde Herrn André Augusto de Padua Fleury, durch einen expressen Boten von unserer Expedition Nachricht erhalten, und erkundigte sich darnach, wann wir etwa, von der Ivahymündung den Parana aufwärts fahrend, an der Mündung des Paranapanema ankommen könnten, um uns dorthin ein Canot mit frischen Lebensmitteln entgegen zu schicken.

Der Gedanke war gut, doch dessen Ausführung nicht so leicht, da wir kaum hoffen konnten, noch so weit vom Ziele, in nahezu gänzlicher Unkenntniß der Schwierigkeiten, die unser noch warten konnten, nur auf die Basis höchst ungenauer und unvollständiger Karten hin den Zeitpunkt unserer Ankunft am Paranapanema auch nur annäherungsweise angeben zu können.

Doch was war zu machen? Die zu erwartenden Vortheile waren zu groß, als daß wir nicht hätten Gefahr laufen sollen, eine vielleicht nicht zutreffende Angabe zu machen, und so schrieb ich denn auf ein aus meinem Notizbuche gerissenes Blatt ein paar Zeilen an den guten Pater, worin wir ihm nicht nur für die pünktliche Ausführung des vom Präsidenten erhaltenen Auftrags die gebührende Anerkennung zollten, sondern ihm auch den Tag unserer muthmaßlichen Ankunft an jenem dem Ivahy nächstliegenden Seitenstrome des Parana anzugeben suchten. Der Zufall wollte, daß wir wirklich an dem in dieser Weise voraus bestimmten Tage, und zwar nahezu zwei Monate nach Empfang des Briefes, dort anlangten, woselbst das vom Tibagy herunter gekommene Canot mit einem Quantum höchst willkommenen frischen Proviants (von dem uns nicht nur der Speck, sondern auch schon das Salz zu mangeln begann) schon einige Tage auf uns wartete.

Wie wir später in Sao Pedro d’Alcántara erfuhren, hatten die vom Ivahy, dem gewöhnlichen Ziele ihrer Jagdausflüge, nach der Mission zurückkehrenden Coroados nicht nur mein Billet richtig übergeben, sondern auch durch einen daselbst wohnenden Dolmetscher (wohl den einzigen weißen Mann, der ihre Sprache versteht) einen umständlichen Bericht über unsere Expedition, deren Stärke etc. abgegeben und dabei die wohlverdienten Geschenke vorgezeigt.

Das Geschick, womit diese Wilden den inmitten jener Wälder, bei der zwischen der weißen und rothen Race leider

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_321.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)