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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Logenbrüstung des ersten Ranges bis zur letzten Hinterwand des Bühnenraums erstreckt. Der Vorhang, welcher das Auditorium sonst von diesem trennte, ist verschwunden, das Parquet mit seinen Bankreihen begraben unter den Dielen des in der Höhe der Scene darüber gelegten Bodens. Die Kronen, Lüstres und Wandleuchter verbreiten ein taghelles Licht durch den kolossalen Raum. Allseitig einströmend, hebt dasselbe jeden Schatten auf und läßt nichts als die Farben wirken. Alle Ränge sind dicht besetzt mit einer in allen Tönen des Prismas in Seidenstoffen, Spitzen, Sammet, Edelsteinen und Perlen prangenden Menge. Auf den Stufen, welche von der großen königlichen Mittelloge zum Saale herabführen, sowie in diesem selbst drängt sich „ganz Berlin“ und was die Residenz gerade von genußfrohen ausländischen oder provinzialen Gästen der guten Gesellschaft beherbergt. Zum Klange der Orchester, beim Rauschen der Springbrunnen wallt diese schillernde Menge, immer wieder stockend, aufgehalten, zertheilt durch den entgegengesetzten Strom und die von der anderen Seite neu Eindringenden, den Saal auf und ab. Jeder und Jede ist zugleich Acteur und Zuschauer in diesem brillanten Schauspiele.

In den Prosceniumslogen zur Linken haben die Mitglieder der königlichen Familie Platz genommen. Davor staut unten im Saale die Menschenwoge. Alle Blicke richten sich dort hinauf. Des deutschen Kaisers ehrwürdiges Antlitz erscheint wieder wie seit so manchen Jahren, heiter theilnehmend, die wechselnden lebendigen Bilder hier unten betrachtend, im dunklen purpurnen Fond der Loge, in deren vorderster Sesselreihe die Damen des Königshauses, Kaiserin Augusta, Kronprinzessin Victoria, die Prinzessinnen Karl und Friedrich Karl und Andere sich niedergelassen haben. Die vom Orchester intonirte Weise der Königspolonaise ruft sie, die Prinzen und den gesammten Hof zu dem herkömmlichen „Umgang“ herab in den Saal. Das ist die Eröffnungsstunde eines jener weit berühmten Berliner Opernhaus- oder „Subscriptionsbälle“.

Wer dieses vornehme Ballfest häufig besuchte, der hat dort sicher wiederholt zwischen den Gruppen von ritterlichen Cavalieren der Garde in blitzenden Gala-Uniformen, zwischen den eleganten Schönheiten des Hofes und der Stadt, von den knisternden, farbigen Seidenwesten ihrer Schlepproben umwogt, einen Herrn von kaum mittlerer Größe bemerkt, dessen Erscheinung und Verhalten in dieser Umgebung so eigenartig, so charakteristisch ist, daß sich der Eindruck davon tief einprägen muß. Eine untersetzte, feste Gestalt, ein mächtiger kahler Schädel von ergrautem Haare umsäumt, eine stark vordringende, hügelige Stirn, graue tief beschattete Augen, von der Brille verdeckt, klare Intelligenz, scharfe Beobachtung und starken Willen in den energisch zusammengefaßten Zügen des von kurzem grauem Barte rings umrahmten, sonst glatt rasirten Antlitzes – so steht der Mann vor uns.

Wer ihn, wie festgewurzelt, im Gedränge dastehen ober ruhig seinen Weg durch dasselbe suchen sieht, den Blick durchdringend auf die ihn umgebenden Objecte gerichtet oder hier und da seinen verständnißvollen Bekannten, denen er im Gewühle begegnet, fast ohne ein Wort zu sprechen, auf den Gegenstand seiner Beobachtung hinweisend, der muß sich, auch ohne „Nam’ und Art“ des Mannes zu kennen, sagen: Das kann kein Ballgast gewöhnlichen Schlages und keiner von den Hunderten sein, welche hierhergekommen sind, um nur das leichtrauschende Vergnügen eines solchen Festes zu finden oder gar um die eigene werthe Person, Würde und Bedeutung im Dunstkreise der „hohen Herrschaften“ und der schönen Welt Berlins zur Schau zu stellen. Und was sucht er denn hier? Wer mich so fragte, dem würde ich antworten: Das, was ihn hierhergeführt und hier fesselt, ist das ernsthafteste Interesse vor Allem für die malerische Erscheinung der Dinge, der Gestalten, der wechselnden Gruppirungen, der Stoffe, welche jene umrauschen, der Lichteffecte, der Farbencombinationen, der anmuthigen und der scharf charakteristischen Bildungen, der blühenden, lachenden Jugend und des gebrechlichen oder künstlich versteckten Alters.

Hier in diesem aufgeregten festlichen Wirbel, wie draußen in schweigender Landschaft, auf den lärmenden Märkten und Straßen der Großstadt, wie im kühlen Dämmer der Kirchen, im strahlenden Prunksaale des Königsschlosses, wie im Lazareth, ja, wenn es die Gelegenheit gäbe, auf leichenbesäeter Wahlstatt, immer und überall gilt ihm die Welt des Sichtbaren zunächst als das überreiche vor ihm ausgebreitete Feld des künstlerischen, speciell malerischen Studiums. Ob er auch längst schon mehr weiß von der Natur aller erscheinenden Dinge als irgend einer der lebenden Meister der Künste, so ist ihm doch jede Wirklichkeit eine Lehrerin, die er in gewissenhaftem Aufmerken auf ihren wahren Sinn dankbar verehrt.

Dieser Meister ist Adolf Menzel in Berlin.

Es war längere Zeit gebräuchlich, denselben mit dem künstlerischen Ehrentitel „der Maler Friedrich’s des Großen“ zu bezeichnen und zu charakterisiren. Diese Bezeichnung hat indeß ihre Berechtigung verloren, weil sie eine zu einseitige, zu ausschließliche ist. Die allgemein gewordene Ansicht, daß sie es sei, hat sie seit einigen Jahren aus der Mode gebracht.

Aber es gab eine Periode in Menzel’s Leben, wo dieselbe, wenigstens für das große Publicum, welches nur seine damals rasch auf einander folgenden Hauptgemälde und zahlreich vervielfältigten Zeichnungen sah und kannte, wohl begründet erscheinen konnte. Sein Jugendwerk, die Illustrationen zu Franz Kugler’s „Geschichte Friedrich’s des Großen“ zeugt von reifster künstlerischer Bildung und männlichem Ernste der Natur- und Geschichtsanschauung und schien Menzel’s Malerkraft für seine ganze Zukunft diesem einen Helden geweiht zu haben. Diese unübertroffenen kleinen Schöpfungen, deren Entstehung auf mehr als dreißig Jahre zurückweist, bewähren eine ähnliche Eigenschaft wie edle Weine. Ihre Würze scheint sich mit dem Alter nur zu steigern. Während so vieles damals Hochgepriesene unter den zu jener Zeit entstandenen Werken der deutschen Malerei für uns Menschen von heute schal und ungenießbar geworden ist, uns matt, schwächlich, dilettantisch, geschmacklos erscheinen will, halten diese Holzschnittbildchen die geschärfte Prüfung aus und bewahren die gleiche Frische, mit welcher sie uns ehemals erquickten. An ihrem Bestehen im Wandel der Geschmacksrichtungen hat ihre innerste echte Wahrhaftigkeit einen Hauptantheil. Diese Wahrhaftigkeit ist immer die eigentliche Weise unseres Meisters gewesen und geblieben. Er hat sie nie verleugnet, und sie hat ihn zu hohen Zielen geführt.

Von Solchen, welche Menzel’s gesammtes künstlerisches Schaffen und dessen Entwickelung sowie die ganze zeitgenössische Kunst zur Genüge kennen gelernt haben, um vergleichen zu können, ist dieser Meister treffend der größte künstlerische Charakter unserer Zeit genannt worden. Er steht heute in demselben Lebensalter, wie der gewaltige deutsche Mann, welchen man als den größten politischen staatsmännischen Charakter nicht nur unseres Volkes zu bezeichnen gewohnt ist.

Menzel ist 1815 in Breslau geboren, der schönen geistig regsamen Hauptstadt Schlesiens, welche dem ganzen Vaterlande einen reichen Segen von hervorragenden Männern und Talenten auf allen Gebieten, besonders aber den künstlerischen, gegeben hat. Sein Vater war Vorsteher eines Lehr- und Erziehungsinstituts, übersiedelte, als der Sohn noch im Knabenalter stand, nach Berlin, um hier die damals eben aufblühende Lithographie zur Errichtung eines eigenen lithographischen Ateliers zu studiren, starb aber hier, als jener kaum das vierzehnte Jahr erreicht hatte. Der Sohn hatte gezeichnet, seit seine kindliche Hand einen Stift halten konnte. Nach dem Tode des Vaters sah er sich einer Aufgabe gegenübergestellt, welche seine natürliche Talent- und Geisteskraft hob und stählte; denn er mußte die durch seine bisherigen Versuche und Bemühungen errungenen künstlerischen Kenntnisse und Geschicklichkeiten zur Erwerbung des Lebensunterhalts der Seinigen verwerthen, ohne darum doch dem fortgesetzten Studium, dem Streben und Ringen nach den höchsten Zielen der Kunst zu entsagen. Sein eigenthümlicher künstlerischer Bildungsgang lag weit ab von dem damals bei uns gebräuchlichen. Es war die Blüthezeit der Alt-Düsseldorfer Romantik, jenes schwächlichen künstlerischen Nachklangs einer bereits ausgelebten und wenig gesunden literarischen Epoche. Die schönen Theaterritter, Kreuzfahrer und Saracenen, die Priester, Rathsherren, Edelknaben, die minniglichen Mägdlein und Kirchengängerinnen, meist unmögliche Existenzen, die weder dem Studium der Wirklichkeit noch dem der Geschichte oder der großen Schöpfungen der älteren Kunst entstammten, wuchsen dort zum Entzücken des Publicums empor, bevölkerten alle Ausstellungen und beherrschten den allgemeinen Geschmack. Auch in Berlin,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_272.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)