Seite:Die Gartenlaube (1874) 245.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

die steigende Schulbildung der unteren Classen dazu beitragen, Pflichtgefühl und Gesittung in unseren ‚Arbeitsgehülfen‘ so zu entwickeln, daß dieselben ihre Thätigkeit nicht mehr als eine Kette von Mühsal und Plage, sondern als eine Leistung im Dienste des Ganzen betrachten und eine Ehre darein setzen werden, richtig und tüchtig zu arbeiten. Wir Alle befinden uns in einer starkem Strömung; rückwärts zu wollen, ist nutzlos; also heißt es: Vorwärts mit hellen Augen und entschlossenem Willen! Dann wird das Kommende anders, aber gewiß nicht schlechter sein als das Alte, sondern besser und schöner.“

Frau Heyne hatte diese letzten Worte mit etwas erhobener Stimme und glänzenden Augen gesprochen, und nun trat eine kleine Pause ein. Jede der Anwesenden war mit ihren Gedanken beschäftigt. Da rief plötzlich das junge Frauchen:

„Die Sonne! Die Sonne bricht durch die Wolken! Und welches Abendroth!“

Nun war kein Halten mehr. Alles stürzte hinaus, sich des lange entbehrten Anblickes zu erfreuen, und Viele waren herzlich froh, den theoretischen Auseinandersetzungen der „gelehrten Frau“ entronnen zu sein.

„Na, Liebste,“ sprach Frau von Breda zu Fräulein Dernburg, „haben Sie je in Ihrem Leben solche Ansichten gehört? Gott behüte uns vor. solchen modernen Ideen!“

Und Du, liebe Leserin, was sagst Du zu der Sache?




Photographische Abenteuer in der Eisregion.


Die Landschaftsphotographen sind hinter dem himmelstürmenden Drange des Jahrhunderts nicht zurückgeblieben und in die Gegenden der Erstarrung emporgedrungen. Von solchen halsbrecherischen Gebirgstouren haben die Photographen Bilder mit herabgebracht, durch welche Leute, die zu bequem sind, einen Hügel zu ersteigen, in den Stand gesetzt werden, sich einen zutreffenden Begriff von der Zerrissenheit der Grate, dem Aussehen der Geröll- und Trümmerhaufen, den halb verwehten Eisspalten und ähnlichen Schrecknissen zu machen. Ja, von der stillen Stube aus sogar in die Unermeßlichkeit der weiten Welt zu schauen, ist ihnen hierdurch ermöglicht worden. Denn die Photographen haben Panoramen geliefert, in welchen zahllose Gipfel aufragen und der Horizont vom Eise weiß aufleuchtet.

Solche photographische Unternehmungen bieten schon in niedrigen Regionen viele Schwierigkeiten. Das Mitschleppen des Zeltes, in dessen Dunkel das Silberbad bereitet und das Bild „hervorgerufen“ wird, die Last der Camera und insbesondere des dreifüßigen Stativs sind dabei das Geringste. Schwieriger erscheinen die Hindernisse, welche Hitze und Kälte dem geeigneten Zusammenwirken der Chemikalien, Staub, Insecten und andere kleine Teufeleien, die sich auf die feuchte Collodiumschicht der Platte stürzen, dem Manne, der im Schweiße seines Angesichts arbeitet, bereiten. Mit jedem Hundert Meter über der Meeresfläche vermindern sich die Aussichten des Gelingens. Maulthiere oder Träger können an den Werkzeugen etwas verderben; der Wind kann das aufgeschlagene Zelt bedrohen, geeignetes Wasser schwer zu finden sein, im wichtigsten Augenblicke sich Nebel vor das Objectiv legen, die Platten und Kasten können zertrümmert werden – und wie die Störungen, die einer fortgesetzten Reihe von chemischen Experimenten drohen können, alle heißen mögen.

Nach diesen Bemerkungen gehe ich zur Schilderung eines Spaziergangs über, den ich am 17. October 1873 unternommen.

Die Zugspitze in Oberbaiern ist 2974 Meter oder 10123 bairische Fuß hoch. Im Umfange des dermaligen deutschen Reiches bildet sie die höchste Erhebung über das Meer, ein Umstand, der Manchem für diesen erhabenen Giebel besondere Theilnahme beibringen möchte. Die Wände des Stockes, dessen höchste Erhebung die Zugspitze bildet, fallen gegen Baiern und Tirol ab. Die Grenzlinie zieht sich durch ihre Schneewüsten. Während von der bairischen Seite her, von Partenkirchen oder Garmisch aus, Hunderte den Gipfel erstiegen haben, sind es nur sehr Wenige, die vom ersten Tiroler Dorfe, von Ehrwald, aus sich an die Erklimmung der furchtbaren Schrofen gewagt haben, in welchen sich hier das Gebirge gegen den Eibsee streckt. Ich machte die Tour in Begleitung des den Gartenlauben-Lesern bekannten Malers Sundblad und des Photographen Johannes, von dessen Bemühungen, die deutsche Bergewelt in großen Bildern darzustellen, in diesen Blättern schon öfter gesprochen wurde.

Johannes hatte wenige Tage zuvor von einer Höhe aus, die etwa neuntausend Fuß über dem Meere liegt, mehrere Bilder der um ihn gelagerten gewaltigen Natur-Scenerien aufgenommen. Die Absicht, in welcher er uns heute begleitete, war keine andere, als uns den Weg zu zeigen, auf welchem er damals zur Durchführung seiner künstlerischen Absicht vorgedrungen war, und uns angesichts der großartigen Natur die Erlebnisse seines photographischen Höhengangs zu schildern. Sundblad ging mit, um durch den Augenschein sich zu einer zeichnerischen Darstellung der Fährlichkeiten jenes Ganges vorzubereiten, und ich wollte durch die Feder Das ergänzen lernen, was der Letztere durch den Stift festzuhalten trachtete. So traten wir Drei, von dem kühnsten Führer Ehrwalds, Franz Rauch, begleitet, unsere Wanderung an.

Während wir in der Frühstunde – die Sonne lag noch hinter dem Zugspitzgebirge versteckt – durch die abscheulich verwüsteten Wälder den Felsen und ihren Schneemulden entgegen stiegen, flogen lichte Wolken über die Grate dem Norden zu. Der Südwind tobte um die Spitzen, desto wärmer, je höher wir hinauf kamen. Oben, wo die letzten grauen Baumleichen stehen, kurz vor einer kleinen, mit spärlichem Grase bedeckten Mulde, die „Das Tiefet“ genannt wird, war es ein heißer Sturm. Schon dieser allein ließ uns die Schwierigkeiten ahnen, mit welchen beim Hervorbringen von Photographien in den hohen Einöden gekämpft werden muß. Denn ein Zelt, das die Dunkelkammer vorstellt, mußte von ihm im ersten Augenblicke niedergeweht werden.

Der Blick in die Gründe des Thales, in welchem die Loisach fließt, gewährt einen erhabenen Eindruck. Die Wissenschaft berichtet uns von dem ehemaligen Vorhandensein eines Loisachgletschers, der den Zwischenraum zwischen diesen Bergen ausfüllte und sich weit in das Flachland hinaus, bis dahin ausbreitete, wo jetzt blühende Städte stehen, in deren Nähe heute noch die von ihm fortgeschobenen Felsblöcke seine alten Moränen andeuten. Und eben ein solcher Gletscher lag jetzt unter uns, aber nicht von Eis, sondern von dichtem Nebel gebildet, von oben herab in seiner flockigen Oberfläche silbern beleuchtet. In seiner zusammengeballten Masse zeigten sich Wellen, Brüche, Anschwellungen, Einsenkungen und Klüfte. Es war das wolkige Gegenspiel eines Firnmeeres, Das Thal lag, während wir uns der Sonne erfreuten, in feuchtem winterlichem Grau.

Dort, jenseits des „Tiefet“, wo das letzte Krummholz zwischen weißen Riffen kriecht, begann für uns der Weg der Gefahr. Die wenigen, bereits herbstrothen Gräser bebten im Winde. Die Kniee zitterten mir, während ich hinter den gewandteren Gefährten hinschritt. Bewegungslos lag die Welt da. Unten die gleißende Hülle starr zwischen Bergen, bei uns hier oben manchmal der rasche Schatten eines Steinhuhnes, das piepend, uns unsichtbar, irgendwo an den Wänden hinstrich. Wenn ein Stein von unseren Schritten in die Tiefe rasselte, bemaß ich bangend die lange Zeit, nach welcher sein Aufschlag von unten heraufscholl. Unter manchem überhängenden Vorsprunge mußte hindurch gekrochen werden. Wehe uns, wenn wir in die „Ludergrube“ und den Eibsee, der lothrecht über viertausend Fuß unter uns lag und durch die Nebelhülle dunkelte, hinab geblickt hätten! Der Schwindel hätte uns sicher ergriffen und hinabgestürzt. So wanden wir uns vom „Tiefet“ ab fast zwei Stunden an den sich ausbeugenden oder einwärtssenkenden Felsen hin, zur Linken die glänzende Tiefe, zur Rechten die Wände, an denen oft die Hand sich nicht halten konnte, die Füße auf einem Boden, dessen Breite meist nicht mehr als vier oder fünf Handflächen betrug.

Unter solchen Umständen begrüßten wir mit Freude das Ziel unserer heutigen Wanderung, das „Schneekar“, eine kleine

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_245.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)