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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Unsere „schlechten Dienstboten“.


„Giebt es denn wirklich keine guten Dienstboten mehr? Und woher kommt das?“

Diese Fragen fielen als Brandraketen in einen größeren Kreis von Damen aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands, welche der Hochsommer in dem reizenden Berchtesgaden vereinigt hatte. Es war einer der vielen Regennachmittage des gesegneten Septembers, und statt wieder einmal, wie schon seit acht Tagen auf der obern Straße in triefenden Regenmänteln zu wandeln und in die wolkenverhüllten Thäler nach gutem Wetter zu spähen, hatte man beschlossen, heute einen gemüthlichen Kaffee zu arrangiren mit gänzlicher Ignorirung des undankbaren Wetters und in der stillen Hoffnung, durch diese entgegengesetzte Behandlungsweise vielleicht einen Umschlag zum Besseren zu erzielen. Alles war heiter und friedlich abgelaufen, bis zu dem Augenblick, wo die oben angeführte Frage eine plötzliche Wallung der Gemüther veranlasste.

„Das will ich Ihnen sagen, meine Liebe,“ nahm Frau Präsidentin von Breda das Wort, indem sie mit einer heftigen Bewegung das Haubenband unter dem Kinn lockerte. „Das kommt Alles von den neumodischen und unchristlichen Anschauungen, die ja jetzt mit Gewalt unter den Arbeitern und Dienstboten verbreitet werden. Seit die Köchinnen Hüte tragen und in den Arbeiterbildungsverein laufen, seitdem ist es fertig mit der guten alten Zeit. Es wäre zum Lachen, wenn man sich nicht darüber todt ärgern müßte. Einer Frau von meinem Alter kann es am Ende gleichgültig sein, denn ich erlebe es nicht mehr, aber Sie werden vielleicht noch alle an mich denken, wenn Sie einmal für Geld und gute Worte Niemanden mehr finden, der sich herbeiläßt, Ihre Hausarbeit zu thun.“

Und die Stricknadeln der alten Dame klapperten heftiger, als zuvor.

„Erlauben Sie, Frau Präsidentin,“ begann etwas gereizt eine lebhafte kleine Schwäbin, die Frau des Redacteurs Michaelis, „der Arbeiterbildungsverein trägt die geringste Schuld an der ‚Verschlechterung der Dienstboten‘, die ich übrigens gar nicht so himmelschreiend finde. Die früheren werden auch nicht lauter Ideale gewesen sein, und ‚gute Herrschaft, gutes Gesinde‘ heißt es schon im Sprüchworte. Ich sprach einmal mit einer sehr ausgezeichneten Frau über die Idee eines Vereins zur Besserung der weiblichen Dienstboten. Meine Rike horchte aufmerksam von der Küche her zu und sagte dann zu mir, als jene fort war: ‚Das ischt recht schön mit dem Besserungsverein, aber wäger, mer müsset au glei en Madamenbesserungsverein gründe.‘“

Die Damen lachten, nur Frau von Breda sagte verächtlich: „Auf diese Rede hätte ich die Person sofort aus dem Dienste gejagt.“

„Warum?“ versetzte die unverbesserliche Redacteurin. „Ich hatte keine Ursache, mich getroffen zu fühlen.“

„Aber liebe Frau Michaelis,“ begann nun Frau Dr. Langsdorff, eine zarte, etwas leidende Blondine, „Sie können mir glauben, auch mit der besten Behandlung sind Sie nicht im Stande, sich treue und anhängliche Dienstboten zu verschaffen. Ich habe meine Mädchen vom Anfange unserer Ehe so gütig und schonend behandelt, wie mir möglich war. Wir wechselten unsere erste Wohnung, weil mir Therese, ein Mädchen mit dem ich sehr zufrieden war, erklärt hatte, sie könne das Wasser nicht drei Treppen hoch tragen, und ich nahm eine Gehülfin für die grobe Arbeit, weil Eduard auch meinte, man dürfe das junge Mädchen nicht mit Waschen und Putzen belasten. Sie war denn auch im Anfange sehr tüchtig, sorgte für Alles und pflegte mich, wenn ich mich leidend fühlte. Dagegen gab ich mir alle Mühe, den Charakter des Mädchens zu ergründen und sie bildend zu mir heranzuziehen. Ich kann wohl sagen, sie war gehalten wie ein Kind vom Hause; bekam viele Geschenke und nie ein strenges Wort zu hören; Eduard, der sehr viel für Volksbildung wirkt, gab ihr gute Bücher und wünschte, daß ich ihr bestimmte Stunden festsetze, damit sie darin lesen könne. Aber schon nach einem halben Jahre fing sie an, mitunter einen ungezogenen schnippischen Ton anzunehmen, den ich ihr umsonst in Güte zu verweisen suchte; sie wurde immer anspruchsvoller, dachte nur noch an Putz und Ausgehen und vernachlässigte ihre Pflichten, während meine täglichen Ausgaben wuchsen, ohne daß ich doch genau nachweisen konnte, wodurch. Zuletzt machten wir denn zufällig die Entdeckung, daß sie ein in jeder Beziehung unwürdiges Geschöpf geworden war, und mußten sie plötzlich entlassen. Es hat uns Beiden diese Erfahrung, die leider nicht die einzige blieb, einen tiefen Eindruck gemacht. Sie werden vielleicht sagen: Das war ein vereinzelter Fall. Allein ich kann Sie versichern, ein wie großes Vertrauen ich auch einem Mädchen entgegengebracht, nie hat es mir den Lohn der Treue von ihrer Seite eingetragen. Es ist das sehr traurig.“ Und die arme Leidende sank in den Fauteuil zurück, das Occhi-Schiffchen nachlässig zwischen den schlanken blassen Fingern weiter bewegend.

„Nehmen Sie mir’s nicht übel, liebe Frau Doctor, aber ich habe fast lachen müssen über Ihre Geschichte.“

Die so sprach, war eine tüchtige runde Mama von heiterem Gesichtsausdrucke. „Wenn Sie durchaus hätten schlechte Dienstboten haben wollen, hätten Sie’s gar nicht praktischer anstellen können. Allen Respect vor Ihrem guten, warmen Herzen, aber hier hat es Ihnen einen tüchtigen Streich gespielt. Das kann ich Sie versichern: wenn mir die Therese gekommen wäre, sie könne das Wasser nicht tragen, so hätte ich ihr ohne Umstände erwidert: ‚dann trägt es morgen eine Andere‘, und glauben Sie mir, sie hätte ihren Eimer ruhig zur Hand genommen. Nein, mit der Güte allein ist’s nicht gethan; man muß auch daneben gehörig fest sein und Strenge zeigen, ehe es Noth thut.“

„Da haben Sie wohl Recht, Frau Meier,“ erklangen die etwas scharfen Töne des Fräuleins Dernburg, „das ist auch meine Erfahrung. Streng behandelt wollen diese Leute sein, sonst werden sie übermüthig. Man muß sich nur ja keine Illusionen über sie machen; sie betrachten uns als ihre natürlichen Feinde, denen sie nur nothgedrungen dienen, und so ist es ja wohl am besten, das Verhältniß ganz nüchtern aufzufassen und seine Rechte streng zu wahren. Ich führe nun schon seit Jahren meines Vaters Haushalt und habe mich bei diesem Grundsatze immer gut befunden. Allerdings mußte ich die Dienstboten viel wechseln, allein was liegt im Grunde daran? Man hat den Vortheil, keine Mißbräuche einreißen zu lassen, und kann die Leute so sparsam halten, wie es in diesen theuern Zeiten nöthig ist. In meinem Haushalte muß über jeden Tropfen Milch und jedes alte Stückchen Fleisch Rechenschaft abgelegt werden, und es fiel mir nicht ein, das, was für uns auf den Tisch kommt, Alles wieder in die Küche wandern zu lassen. Auf diese Weise behalte ich alle feineren Reste zum Thee Abends und führe mit verhältnißmäßig wenig Mitteln einen hübschen Haushalt.“

„Haben Sie aber bei diesen Grundsätzen jemals von Seiten Ihrer Leute Anhänglichkeit an Ihre Person und Ihr Haus erlebt?“ fragte jetzt eine Frau, die bis dahin schweigend zugehört hatte. Sie war nicht mehr jung, aber ihre schönen Augen hatten einen verständnißvollen Blick, welcher Nachdenken über eigene und fremde Schicksale verrieth.

„Erlebt die überhaupt Jemand heutzutage?“ fragte das Fräulein dagegen, indem ihre dünne Nase sich forschend im ganzen Kreise umherwandte.

„Ich nicht,“ sagte mit einem leisen Seufzer die leidende Blondine.

„Nein, wahrhaftig,“ pflichtete ihr Frau von Breda aus tiefstem Herzen bei, „Anhänglichkeit findet man in unserer Zeit bei den Dienstboten nicht mehr. Früher hatte man seine Mädchen acht bis zehn Jahre, aber jetzt? Du lieber Gott, jetzt heißt es schon ‚lange‘, wenn sie ein Jahr da sind.“

„Das kommt darauf an,“ meinte Frau Michaelis. „Man muß eben nur die alten patriarchalischen Ideen fahren lassen. Die Leute haben begriffen, daß sie keine Sclaven sind, und ziehen natürlich unter zwei Plätzen den einträglicheren und leichteren vor. Alle anderen Gesellschaftsclassen sehen ja auch nur auf ihren Vortheil. Warum sollen es denn Die nicht thun, die es gerade am nöthigsten haben?“

„Nun, mehr braucht man wahrhaftig nicht zu hören,“ rief eifrig die dicke Präsidentin. „Da sprechen Sie es ja selbst aus, daß wir geradezu auf die amerikanischen Zustände lossteuern, wo man keinen Fleck wegputzt, ohne contractlich dazu engagirt zu sein.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_242.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)