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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

besondere Anfeuerungsmittel Terrainhindernisse jeder Art überwanden. Schwierig hingegen war das Lenken der Thiere, denn ohne Zaum, ohne Sattel und Decke brachten ihre Besitzer sie uns. Wir legten unsere algerischen Decken ohne Gurt auf den Rücken des Esels, stiegen hinauf, nahmen die Büchse vor uns und empfahlen unsere Knochen der Gnade Allahs. Schon nach wenigen Minuten lag der stolze Spanier mit Decke und Flinte im Sande; ich folgte unmittelbar seinem Beispiele, weil ich gewagt hatte, mich umzusehen.

Der Weg zog sich durch die sumpfige Niederung Fayûms, und unaufhörlich mußten kleine Wassergräben passirt werden. Anfangs stürzten wir bei jedem Hinderniß in den Schmutz, bis endlich Lehrgeld genug gezahlt war und wir mit Sicherheit vom erhöhten Standpunkte die Gegend betrachten und nach Beute auslugen konnten.

Prächtige Silberreiher, Sumpfvögel aller Art erreichte das tödtliche Blei, nur größeres Wild entzog sich unseren Nachstellungen. Zur Mittagszeit hatten wir die sumpfige Niederung passirt und machten am Rande der Wüste an einer Felswand Halt. Hassan unterstützte unsere Absicht, hier die Nacht zu erwarten, weil wir vermutheten, daß Raubthiere aus der Wüste am späten Abende die Wasserflächen des Sumpfes aufsuchen würden. Unsere kleinen Vorräthe waren bald erschöpft, und schon für den Abend waren wir genöthigt, uns einige selbsterlegte Tauben und Becassinen zu braten.

Die Sonne senkte sich blutroth und vergoldete die Stämme eines Palmenwaldes in der Ferne. In den Wasserflächen der Niederung spiegelten sich die glühenden Wolken. Langsam zogen Reiher zu ihrem Nachtquartiere in den Wipfeln der fernen Palmen. Es war Zeit, unsere Posten einzunehmen. Hinter losgetrennten Steinen an der Felswand, die den Saum der Wüste bildet, legten wir uns in Hinterhalt, nachdem Hassan im Sumpfe die Spuren von Wölfen und Hyänen bemerkt zu haben glaubte. Nach kurzer Zeit erschien auf dem Felsen in einiger Entfernung ein Thier, das den Kopf weit vorstreckte, als wolle es die Niederung besser übersehen. Ich faßte unwillkürlich meine Büchse fester. Da schallte ein langgezogener klagender Ton von der Höhe herab – und wie das Brausen einer sich brechenden Woge tönte ein Geheul aus den Sümpfen als Antwort. Das eigenthümliche musikalische Schauspiel wiederholte sich fort und fort, und ich schlich unter dem Schutze der Steine dem sonderbaren Musikdirector näher. Es war ein Wolf, der seine Brüder auf die genahte Stunde des Raubes aufmerksam machte, so wie der Iman am Abende vom Minaret die Gläubigen zum Gebete ruft. Meine Bemühungen, dem Raubthiere näher zu kommen, blieben fruchtlos.

Mit zunehmender Dunkelheit huschten allenthalben dunkle Gestalten um mich her. Ich drückte mehrfach mein Gewehr ab, – vergebens! Ermüdet von den Strapazen des Tages und den Aufregungen des Anstandes, lagerte ich mich auf die Decke neben dem Feuer, das von Hassan und Mohamed, dem greisen Nimrod, unterhalten wurde, und versuchte zu schlafen. Der blasse Spanier schien unermüdlich.

„Erzähle mir von Deinen Jagden im Sudan, Hassan,“ begann er ein Gespräch, das mehrere Stunden andauern sollte.

Hassan mußte griechisches Blut in den Adern haben – ein Araber fände nie Geschmack an solchem Geschwätz. Ich lauschte seinen Worten; das Ungeziefer, das sich in meiner warmen Decke wohler fühlte, als ich, vertrieb mir den Schlaf. Kühner und freier wurden Hassan’s Erzählungen. Von seltsamen Abenteuern ging er zu unglaublichen über, von gut erfundenen Geschichten zu monströsen Lügen. Die Augen des Spaniers glänzten. Die glühende Phantasie des Südländers überlegte nicht.

„Hören Sie, G.,“ rief er mir schließlich begeistert zu, „Sie haben nichts Dringendes in Cairo vor; ich habe nie etwas zu thun – wir gehen nach Sudan, um Löwen zu jagen.“

„Schlafen Sie, liebster Marquis!“ war meine ärgerliche Antwort, „und sammeln Sie Kräfte für Ihre kühnen Pläne! Ich werde Ihnen morgen meine Meinung sagen, auch Hassan, dem großen Dichter Aegyptens.“

Die ersten Strahlen der Sonne trieben uns aus unserem Lager. Am Rande der Wüste führte der Weg weiter. Bald durchschritten wir ein sandiges Stück Land, bald wieder einen Sumpf. So ging es den ganzen Tag. Hin und wieder erlegten wir einen Geier, einen Adler, einen merkwürdigen Sumpfvogel – das war Alles. Selten einmal begegneten uns Menschen. Vermummte Beduinen mit langen Flinten auf kleinen zottigen Pferden galoppirten, ohne unseren Gruß zu erwidern, vorüber. Wir befanden uns in einer recht gottverlassenen Gegend.

Hassan war guten Muthes. Er fand am Spanier einen eifrigen Verehrer seiner Abenteuer, und der Mund stand ihm nicht still. Es schien mir bisweilen, als blicke er mit seinen Luchsaugen lange in die Ferne und als hätte er geheim mit dem alten Mohamed zu reden. Ich achtete nicht weiter darauf; mein Interesse war zu ausschließlich auf Natur und Wild gerichtet. Wieder war der Abend genaht. Wieder heulten Wölfe und Schakals, aber der Ort für Hyänenjagd schien nicht gefunden zu sein. Wir kamen diesmal sogar nicht zum Schusse, und Hassan mußte alle Beredsamkeit aufbieten, um am Feuer die zornige Laune des Spaniers zu betäuben, was erst gelang, als er einem Löwen seine Büchse bis zum Schafte durch den Rachen in die Eingeweide gestoßen hatte.

Trotz der Insecten gelang es mir diesmal zu schlafen. Auch der Spanier träumte. Mitten in der Nacht schreckte ihn ein blutiger Kampf mit dem Könige der Wüste aus dem Schlafe, und sein Hülferuf erweckte auch mich. Ich griff nach der Büchse und sah mich erschrocken um.

„Ich habe geträumt,“ sagte er schläfrig und legte sich auf die andere Seite.

Ein riesengroßer brauner Käfer, den ich in diesem Augenblicke in meinem Barte fing, ließ mich des Schlafes vergessen. Ich tödtete das Ungeheuer und rieb mir die Augen. Das Feuer war halb ausgebrannt, und Mohamed schlief daneben, zusammengekauert sitzend. Wo war Hassan? Ich stand auf und suchte ihn in der Nähe. Vergebens! Mohamed meinte, er sei einem Wolfe nachgegangen, der das Feuer umkreist hätte. So viel Jagdpassion traute ich ihm nicht zu. Ich griff zu der Büchse und patrouillirte die Umgegend ab. Heulende Schakals zogen mich weit ab nach allen Richtungen. Hassan war verschwunden. Was mochte ihn bewegen, so weit fortzulaufen? Ich weckte den Spanier und machte ihn auf das sonderbare Betragen unseres Dragomans aufmerksam. Er blieb einige Augenblicke nachdenkend; dann behauptete er, Hassan würde uns einen Wolf bringen, dessen Fell in Cairo als unsere Trophäe gelten könnte. Gegen Anbruch des Tages kam Hassan ermüdet ohne Trophäe zurück, aber sichtlich verlegen, uns wach zu finden. Er hatte nicht nur einen Wolf, sondern sogar einen kleinen Panther verfolgt, deren es in dieser Gegend keine giebt. Der Spanier griff erregt zu seinem Gewehre und Dolche, um die Verfolgung weiter fortzusetzen. Ich erklärte hingegen dem unsichern Führer ganz fest, daß, wenn ich nicht bis zum Abende auf eine Hyäne geschossen hätte, ich direct nach Cairo zurückkehren würde. Der Spanier stimmte erst nach längerer Debatte ein. Gegen Morgen, in der nächsten Nacht sollten wir am Ziele sein, so schwor Hassan bei den Augen seines Vaters.

Bis zum Nachmittage zog sich der Weg durch die Wüste, dann wieder am Rande des Sumpfes an einem Höhenzuge entlang. Ich war hinter den Uebrigen zurückgeblieben, um einen Geier zu schießen, der auf einem Felsenvorsprunge nach Beute spähte. Schon wollte ich schießen, als das Thier eilig davonflog und unweit davon ein braunes Gesicht, halb verhüllt durch die Kuffia, hinter einem Felsblocke hervorlugte. So schnell, wie es erschien, war es verschwunden – ich glaubte mich fast getäuscht zu haben. In dieser Einsamkeit erschien mir die Erscheinung eigenthümlich. Ich blieb aufmerksam, ließ jedoch nichts gegen meine Gefährten verlauten. Ich sah mich häufig um, blieb hin und wieder zurück, und in der That, die seltsame Erscheinung wiederholte sich. Da traf es sich, daß in einem Graben des Sumpfes mehrere junge Araber standen, um Rohr zu schneiden. Ich erklärte, daß wir unter allen Umständen zwei oder drei dieser braunen Burschen als Führer und Treiber zur Jagd mitnehmen müßten, es sei ein Wink des Schicksals, daß wir sie meilenweit von jeglicher Behausung entfernt getroffen hätten.

Hassan’s heftiger Widerspruch bei dieser so natürlichen Veranlassung bestärkte, ja bestätigte fast meinen Verdacht, daß er etwas Uebles gegen uns im Schilde führe, und ich bestand um so mehr auf meiner Forderung. Die jungen Kerle folgten unserm Rufe und fragten nach unserm Begehre. Sie waren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_227.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)