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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Beide gleichmäßig erschraken. Ein Schutzmann war unbemerkt herangetreten und sagte grollend: „Wie können Sie sich unterstehen, Frau, hier auf offener Promenade, zu betteln! – Sie werden mir nach der Wache folgen!“ – und er drängte sie augenblicklich in den Seitenweg hinein, in der klaren Absicht, den geheiligten Boden von ihr zu befreien. Die Frau zitterte noch stärker als zuvor, während er sie vor sich herschob, und ich hörte sie deutlich schluchzen. Ich entschloß mich schnell, ihnen nachzugehen, und bald war ich nahe genug, um zu hören, wie das arme Weib sagte: „Haben Sie Erbarmen, Herr Schutzmann! Ich bin keine Bettlerin; es ist das erste Mal, Gott weiß es! Mein Mann starb vor vier Wochen; ich bin krank und von Allem entblößt, und die Kinder haben Hunger. Ich war in ein Haus gegangen, wo ich früher gewaschen, um mir dort Arbeit zu suchen. Sie hatten eine andere Frau angenommen, und da sah ich auf dem Rückwege all die feinen Herrschaften und dachte, wenn du ein oder zwei darunter findest, die ein Herz für den Armen haben, so ist dir geholfen, und so kam es auch. Haben Sie Erbarmen, Herr Schutzmann, lassen Sie mich gehen!“

„Sie müssen mit zur Wache, Frau – ich kann Ihnen nicht helfen. Da wollen wir weiter sehen,“ antwortete er in seinem harten Tone.

„Ach!“ jammerte die Arme, „nehmen Sie’s nicht übel, aber mit einem Schutzmanne durch die Straßen – es ist mein Tod!“ – Die Kinder schrieen dazwischen, daß es mir das Herz zusammenschnürte.

„Nun, nun, liebe Frau,“ sagte der Schutzmann begütigend, „es sind schon andere Leute mit uns über die Straße gegangen, ohne zu sterben.“

„Mein Gott, die Menschen werden denken, ich habe gestohlen, und ich besitze nichts mehr, nichts, als meinen – guten Namen.“

Ich hielt es nicht länger aus; ich beschleunigte meinen Schritt, um ihnen an die Seite zu kommen, und sagte dann zu dem Manne des Gesetzes:

„Drücken Sie ein Auge zu, Wachtmeister! Die Frau ist krank und sie bettelte nicht eigentlich; sie sah so elend aus, daß ich ihr – meine Gabe aufdrängte.“

„Drücken Sie ein Auge zu, Herr Wachtmeister!“ jammerte die Kranke dazwischen.

„Ich kann es nicht, Herr,“ antwortete der Beamte noch immer in demselben Tone; „ich hätte sie vielleicht nicht bemerkt, denn ich – sehe manchmal schlecht. Aber mein Lieutenant ritt vorüber und zeigte auf die Frau, und da hilft es nichts; ich muß meine Pflicht thun. Er hat mich so schon auf dem Striche, weil ich ihm ‚nicht forsch genug d’raufgehe‘, wie er sagt. Wenn er nach Hause kommt und findet die Frau nicht auf dem Rapporte, so komme ich in Teufels Küche.“

Wir waren jetzt weit von der feinen Promenade entfernt in einer der Queralleen des Thiergartens, und die Kinder schrieen noch immer, und die Arrestantin jammerte ununterbrochen:

„Drücken Sie ein Auge zu, Herr Wachtmeister – drücken Sie ein Auge zu – haben Sie Erbarmen!“

Auch ich machte noch einen Versuch, ihn zu erweichen, da stand der Mann des Gesetzes still und sagte mit dem imponirendsten Tone, der ihm zu Gebote stand:

„Bitte, mein Herr, verlassen Sie uns jetzt! Ich muß Sie dazu auffordern.“

Ich konnte nichts mehr thun; ich blieb hinter ihnen zurück und bog in einen anderen Weg ein, während ich darüber nachdachte, was eigentlich in den Zügen des Mannes lag, das nicht zu seinem Betragen paßte. Unwillkürlich folgten meine Blicke, das noch durchsichtige Unterholz durchdringend, der sich immer weiter von mir entfernenden Gruppe. Ich bemerkte, wie der Schutzmann seinen Schritt mäßigte und sich ein paar Mal forschend umsah. Dann blieb er stehen und fuhr mit der Hand unter den kleinen Schirm seines Helmes. Darauf faßte er, noch immer stillstehend, suchend in seine Tasche und wahrhaftig, jetzt drückte er der Frau die Hand, als ob er von einer alten Bekannten Abschied nähme. Im nächsten Augenblick lief die Frau mit eiligen Schritten davon, und der Schutzmann ihr nach, aber nach der anderen Seite hin, als ob er Furcht hätte, daß sie ihn wieder einholen könne. Ich folgte ihrem Beispiele und steuerte eilig der dritten Himmelsrichtung zu, als ob auch hinter mir Jemand her wäre. War es ein Zufall, daß diese Richtung mich zurückführte auf die feine Promenade? – Das bunte Treiben herrschte noch immer dort, aber es gefiel mir nicht mehr, so sehr hängen die Eindrücke von unseren Stimmungen ab. Gleichgültig und mit langen Schritten ging ich bei den glänzendsten Erscheinungen vorüber in eine Conditorei, wo ich eine Tasse Kaffee trank. Als ich nach einer halben Stunde zurückkam, war die feine Welt verschwunden; die letzten Equipagen rollten davon. Es war Zeit, Toilette zum Diner zu machen. Fast einsam lag die Promenade da. Man sah nur einige Spaziergänger, die wirklich ausgegangen waren, um frische Luft zu schöpfen. – An der Stelle, wo das arme Weib gestanden, ging der Schutzmann wieder mit ruhigem Schritt auf und ab, als gälte es, noch immer den geheiligten Boden zu bewachen. Ich trat an ihn heran, ein Streichholz für meine Cigarre erbittend; er reichte es mir galant, schon in Brand gesetzt, und ich tauschte eine Regalia mit ihm aus.

„Sie sind ein braver Mann,“ sagte ich dabei zu ihm. „Sie haben der Frau …“

„Inwiefern brav?“ fiel er mir in’s Wort, und dann, indem er mich erkannte, fügte er, verlegen auf seine Stiefelspitzen sehend, ruhig hinzu: „Ach so, Sie meinen die Frau! – Ich werde meinen Rüffel bekommen, aber ich kann’s nicht ändern. Das Teufelsweib lief davon, so schnell, daß ich sie nicht wieder einholen konnte. Und ich – ich bin selbst – vor Kurzem – krank gewesen.“

Max Alt.




Ein deutscher Shakespeare mit Illustrationen – was wäre berechtigter? Shakespeare ist unter den großen Dichtern des Auslandes ohne Frage derjenige, welcher dem deutschen Naturell am verwandtesten ist – daher die vielen Verdeutschungen des genialen Briten. Shakespeare ist aber auch in der Zahl der hervorragendsten Vertreter der Weltliteratur unbedingt der phantasie- und gestaltenreichste, und seine dichterischen Schöpfungen eröffnen dem Maler eine nahezu unerschöpfliche Fundgrube. Darum ist es ein dankenswerthes Unternehmen, daß uns die Grote’sche Verlagshandlung in Berlin den deutschen Shakespeare in einer illustrirten Gesammtausgabe bietet, ein um so dankenswertheres, als diese Ausgabe eine in Wort und Bild classische ist. Es ist die anerkanntermaßen beste Verdeutschung Shakespeares, die Schlegel-Tieck’sche, welche uns hier mit circa sechshundertfünfzig Illustrationen von den bedeutendsten Künstlern, wie Gabriel Max, Eduard Grützner, Karl von Piloty, Adolf Menzel, Alexander Wagner, Heinrich Lossow, Paul Thumann, Adolf Schmitz, P. Grot Johann, Ernst Roeber, Eugen Klimbach, Alexander Zick, H. Knackfuß, Woldemar Friedrich, Fritz Roeber u. A. in trefflichen Holzschnitten geboten wird. Die Verlagshandlung hat den Schlegel-Tieck’schen Text rechtskräftig erworben und jedem Bande des Werkes eine Einleitung aus den kundigen Federn von Professor Dr. Gosche und Dr. Tschischwitz vorangeschickt, das Ganze aber durch eine Biographie Shakespeare’s, ebenfalls von den genannten Gelehrten verfaßt, eingeleitet. Außerdem sind dem Texte zahlreiche orientirende Anmerkungen beigegeben worden. Bis jetzt erschienen zwei Lieferungen dieses deutschen Shakespeare, welcher binnen Jahresfrist vollendet vorliegen soll. Neben seinen sonstigen Vorzügen hat das Werk noch den, daß es als das Erzeugniß ausschließlich deutscher Künstler und Gelehrten die deutsche Auffassung Shakespeare’s repräsentirt und somit dem deutschen Kunstgeschmacke am meisten entsprechen wird.

Wir können uns nicht versagen, den Lesern unseres Blattes in unserer heutigen Nummer zwei der ausgezeichneten Illustrationen dieses Werkes vorzuführen, Thumann’s sinnreiche Zeichnung zum Sommernachtstraume und Lossow’s humorvolle Wiedergabe der berühmten Korbscene aus den „Lustigen Weibern von Windsor“, zeichnerische Nachdichtungen des großen Dramatikers, welche uns durch die frappante Kraft der Darstellung jedes erklärenden Wortes überheben und als die beste Empfehlung des Grote’schen Unternehmens dienen dürfen.




Heinrich Freiherr von Maltzan. Bresche auf Bresche schießt der Tod in die Reihen der Gartenlauben-Kämpfer. Am 22. Februar hat Heinrich von Maltzan zu Pisa seinem thatenreichen Wanderleben ein frei gewähltes Ziel gesetzt und das müde Haupt, über dem so oft die Sonne der heißen Zone aufgegangen, auf das kühle Todtenkissen gelegt. Eine jahrelang tapfer ertragene heftige Neuralgie, welche dem Kranken wahrhaft folternde Magenkrämpfe verursachte, muß als die einzige Ursache dieses Verzweiflungsactes angesehen werden. Maltzan’s letzte Lebenstage bewährten den festen Mannesmuth, welcher den kühnen Reisenden von jeher ausgezeichnet hat.

Die Wissenschaft verliert in ihm einen tüchtigen Ethnographen und Geographen, einen hervorragenden Linguisten und Kenner arabischer und ägyptischer Zustände und Sitten. Die Journalistik, in erster Linie die Gartenlaube, betrauert in ihm einen frischen und stets anregenden Erzähler, der es in seltenem Grade verstanden hat, durch seine ebenso lehrreichen wie fesselnden Schilderungen dem Abendlande das Verständniß des Orients zu vermitteln. Wir bewahren dem zu früh Dahingegangenen – er starb im achtundvierzigsten Jahre seines Lebens – die Gefühle warmen Dankes über’s Grab hinaus. Die Leser unseres Blattes aber werden dem geistvollen Schriftsteller, den sie seit etwa fünf Jahren aus seinen zahlreichen Arbeiten kennen, ein ehrenvolles, freundliches Gedenken gewiß nicht versagen.




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Die Verlagshandlung.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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