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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

unserm Bruder Joseph verschuldet, da wir sahen die Angst seiner Seele und er uns flehete.

Es war zu Anfang des Jahres 1850, als ein Flüchtling aus den Dresdner Maitagen (wie er in der Schrift: „Meine Flucht aus Sachsen“ berichtet) auf einer Reise in Kentucky einen Mann am Wege findet, der sich die Ader geöffnet hat und grauenvoll stöhnt. Nachdem er dem Selbstmörder die Wunde schnell verbunden, überläßt er ihn seinem Reisegefährten, einem alten katholischen Priester, der wie ein barmherziger Samariter Oel und Wein in die Seelenwunde des Unglücklichen gießt und ihm endlich ein offenes Geständniß abringt. Aber er reißt den Verband ab und ruft: „Ich will nicht mehr leben! – ich kann nicht mehr leben! – hier, hier nagt es! – die brechenden Augen jener Frau, die ich gemordet habe, sehen mich starr an – ihr Blick verfolgt mich Tag und Nacht – ihr Todesschrei gellt immerfort in meinen Ohren – Barmherzigkeit! Barmherzigkeit!“ – und röchelnd sank er zurück.

Die beiden Wanderer begaben sich nach Lexington, dem Ziel ihrer Reise; der Eine von ihnen hat, wie schon gesagt, uns das Ende jenes Trauerspiels in Amerika geschildert, das seinen Anfang in Ceynowa nahm, diesem finstern Winkel des deutschen Reichs.

Wenn ich vorstehendem Artikel diese Ueberschrift gegeben habe, so rede mir Keiner von einem geschichtlichen Rechenfehler, weil Ceynowa (und mit ihm die ganze Provinz Preußen) 1836 noch nicht zum deutschen Reiche gehört habe; aber so weit ich die Ceynowenser kenne, bin ich fest überzeugt, daß sie noch heute mit Vergnügen eine Hexe ersäufen würden, wenn die Gerichtscommission in Putzig und das Kreisgericht in Neustadt nicht so nahe wären und wenn die preußische Justiz überhaupt nicht solche Abneigung gegen derartige mittelalterlich-mystische Glaubensauswüchse, dagegen mehr Sinn und Verständniß für nasse, trockne und heiße Autodafé’s hätte – mit Einem Worte, wenn ihr mit Eisen und Blut geschriebener Strafcodex solche fromme Uebungen nicht als Glaubensthaten, sondern als Verbrechen behandelte.




Aus dem Innern des viceköniglichen Palastes.


In meiner nächsten Zuschrift hoffe ich Ihnen eingehende Schilderungen mohammedanischer Feste, namentlich der Todten- und Auferstehungsfeier, einsenden zu können. Als Einleitung mögen Sie vorläufig den nachfolgenden Artikel genehmigen, der durch die Ereignisse der neulichen Hochzeiten ein besonderes Zeitinteresse erhalten haben dürfte.

Der ägyptische Hof hat zu viele Europäer an sich gezogen, europäische Sitten haben sich daselbst zu sehr eingebürgert, als daß hier Neues, Charakteristisches zu finden wäre. Des Vicekönigs Salons sind mit Pariser Möbeln ausgestattet; er selbst, sammt seinem Hofe, kleidet sich auf europäische Art. Der einzige Unterschied zwischen einem Empfange am viceköniglichen Hofe und dem eines europäischen Souverains sind die rothen Tarbuschs.

Weit interessanter sind die Festtage in den Harems, obgleich auch hier ein Theil der Originalität verloren gegangen ist, da die Damen nicht mehr die orientalische Tracht tragen, sondern sich nach der neuesten europäischen Mode kleiden. Ich, als Mann, habe selbstverständlich keinen Besuch im Harem abgestattet, allein ich bin durch meine kleine Emissärin in der Lage, Ihnen einen solchen genau zu schildern und auch die Wahrhaftigkeit dieser Schilderung verbürgen zu können.

„Es war schon etwas spät,“ berichtete mir mein weiblicher Gewährsmann, „als ich neulich durch das Portal des Palastes fuhr, welchen Prinzessin Fatma, die zweite Tochter des Vicekönigs, bewohnt, die sich im vorigen Jahre mit Tussun-Pascha, dem Sohne Said-Pascha’s, des letzten Vicekönigs, vermählte. Beim dumpfen Lärme, den die Wagenräder unterm Portale hervorriefen, fing die im Garten des Palastes aufgestellte Musik zu spielen an, nicht etwa zu Ehren meiner geringen Persönlichkeit, sondern weilt es Sitte ist, daß jeder Besuch beim Kommen und Gehen mit Musik begrüßt werde.

Die Gartenanlagen der Vorderseite des Palais sind sorgfältig, nur zu sorgfältig gepflegt; dem Eingangsthore gegenüber befindet sich eine Grotte, groß und schön, wenn eine künstliche Grotte je schön sein kann. Unter dem Glasportale des Palastes stehen acht bis zehn Eunuchen, sämmtlich ganz jung und deshalb noch nicht so verunstaltet wie die alten. Sie empfingen mich auf’s Freundlichste und führten mich die Stufen hinauf zu den Sclavinnen hinein, die im Halbkreise unter dem Eingangsthore der Vorhalle standen, sämmtlich in Atlas und Seide von den lebhaftesten Farben gekleidet. Die Vorhalle ist ein unermeßlich großer Saal, mit weichen Teppichen belegt, mit purpur- und goldatlassenen Divans ausgestattet, an deren rechter und linker Seite sich andere Säle befinden. Faltenreiche, purpurne Vorhänge und Spitzen vor den hohen Fenstern hüllen diesen fürstlichen Raum in angenehmes Halbdunkel. Eine der Sclavinnen nahm mich beim Arme und führte mich zu der am andern Ende des Saales gelegenen Treppe, einem wahren Meisterstück mit bronzenem Geländer und persischen Teppichen, an deren Fuße uns die Gesellschaftsdame der Prinzessin, eine kleine Italienerin, empfing. Oben sahen wir einen fast gleichen Saal wie unten, nur daß dieser reicher, schöner ist als jener, wenngleich dies unmöglich scheint. Ich wurde links in ein reizendes, nach europäischer Art möblirtes, lichtblaues Boudoir mit drei riesigen Fenstern, welche auf die schöne ägyptische Landschaft schauen, geführt.

Prinzessin Fatma saß in einem rosa seidenen Kleide, welches den Anforderungen der neuesten Mode entsprach und mit einer übermäßig langen Schleppe ausgestattet war, auf dem Sopha. Wegen des vielen diamantenen Geschmeides, das sie auf dem Haare, um den Hals, die Arme, den Gürtel, auf der Brust und an den Fingern trug, glich sie fast einer Sonne. Sie war natürlich entschleiert. Fatma ist kaum zwanzig Jahre alt, und ihr hübsches Gesicht trägt einen mehr nordischen als orientalischen Typus. Ihr schönes Goldhaar ist nach europäischer Art frisirt.

Es waren noch mehrere Damen zugegen, alle in gehöriger Entfernung sitzend. Nachdem mir die Sclavinnen auf den Befehl der Prinzessin einen Stuhl gebracht hatten, wurde dieser gemeldet, daß die dritte Gemahlin des Vicekönigs sogleich bei ihr erscheinen werde. Die Etiquette verlangte, daß Prinzessin Fatma dem hohen Besuche entgegenging. So erhob sie sich denn und ging hinaus – keine so leichte Sache mit solcher Riesenschleppe. Nach einigen Minuten, während welcher mir eine lange, mit Brillanten geschmückte Pfeife gereicht wurde, traten die beiden Damen wieder ein. Der hohe Besuch nahm auf der rechten, die Prinzessin Fatma auf der linken Seite des Sophas Platz.

Die dritte Frau des Khedives ist zwar nicht schön, aber eine ungemein sympathische Erscheinung und hat eine bei den orientalischen Damen höchst seltene Eigenschaft, nämlich viel Geist. Wer sie sah, reden und lachen hörte, wird diesen Ausspruch bestätigt finden. Es ist denn auch diejenige der Frauen Ismail-Pascha’s, welche er am meisten liebt. Sie trug ein ganz einfaches, dunkelblaues, kurzes Popelinkleid, eine schwarzsammetne Kasacke und ein Hütchen von demselben Stoffe. Hut und Aermel waren mit großen Solitairs geschmückt; den Saum des Kleides zierten drei Reihen solcher Brillantenknöpfe.

Die Sclavinnen, welche die ganze Zeit stehen müssen und zwar in ehrfurchtsvoller Haltung, reichten jetzt Kaffee, der Dame vom Hause in einer einfachen Schale, dem Besuche hingegen in goldenen Bechern, die mit prächtigen Brillanten bespickt waren.

Es wurde viel von den stattgefundenen Pferderennen, der neuesten Mode, den nächsten Hochzeiten und ähnlichen Dingen geplaudert. Nach einiger Zeit ward das niedliche Kindchen der Prinzessin Mansur, der ältesten Tochter des Vicekönigs, hereingebracht, das nun zum Mittelpunkte der Gesellschaft wurde, wie es in allen Ländern, unter jedem Himmelsstriche beim Erscheinen eines lieben Kindes geht.

Ich verabschiedete mich von den Prinzessinnen, indem ich deren Hände an Lippen und Stirn führte, wie es hier Sitte ist. Unten wurde mir in einem silbernen Kelche Subia gereicht, jenes Festgetränk, welches aus gegohrenem Reis, Zucker,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_195.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)