Seite:Die Gartenlaube (1874) 139.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 9.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


12.


Zwei Equipagen waren drunten vorgefahren; in der ersten, die am Fuß der Freitreppe hielt, saßen die allerhöchsten Herrschaften; die zweite, in ehrerbietiger Entfernung haltende hatte den Prinzenerzieher und die Hofdame gebracht. Noch hatte sich die Herzogin nicht erhoben, um auszusteigen; sie streckte huldvoll und herzlich dem Hofmarschall die Hand entgegen und war mitten in einem Redesatze, der ihre Freude über sein Wiedererstandensein von dem bösen Gichtanfall aussprach, als Mainau mit seiner jungen Frau droben auf der Treppe erschien. Ein Feuerblick aus den schwarzen Augen flog hinauf – einen Moment stockten die Worte auf den Lippen der fürstlichen Frau; sie wandte hastig, wie überrascht und fragend den Kopf nach der Hofdame, die bereits ausgestiegen und an den Wagenschlag der herzoglichen Equipage getreten war und nun auch tiefbetroffen die näher kommende junge Dame fixirte – dann aber wurde der unterbrochene Satz rasch mit einer graziösen Handbewegung zu Ende gesprochen, und die Herzogin verließ, vom Hofprediger unterstützt, den Wagen.

Ja freilich, wer hätte auch denken können, daß die graue, ängstlich in die Wagenecke gedrückte „Nonne“ in so majestätischer Weise die Herrin von Schönwerth repräsentiren werde, wie sie jetzt in rauschender Schleppe, die Hand auf den Arm ihres Mannes gelegt, herniederstieg? Wer hätte gedacht, daß diese Frau den Fluch einer verpönten Haarfarbe so unbefangen trage, um das flimmernde Roth in seiner ganzen Flechtenwucht über den Rücken hinabfallen zu lassen, und daß das Sonnenlicht in Schönwerth so schmeichlerisch und lügenhaft diese wogenden, rothlockigen Massen zu einem wie aus Goldspitzen gewobenen Glorienschein über der Stirn wandeln werde?

Die zwei Frauen standen sich gegenüber. Man sagte der Herzogin nach, sie bemühe sich, nach Ablegen der Trauer, in außerordentlich frischen und hellen Toiletten noch einmal die Mädchenjugend heraufzubeschwören, und das bestätigte sich heute in auffallender Weise. Sie war in rosafarbene Seide gehüllt, bis an die sehr tief entblößten Schultern und Arme, die ein weißer, klarer Spitzenfichu bedeckte – auf dem runden Brüsseler Strohhütchen steckte ein Strauß von Apfelblüthen.

Einen Augenblick senkte es sich wie ein Schatten über die Züge der fürstlichen Frau – die klugen, stahlfarbenen Augen begegneten den ihren in so stolzer Unbefangenheit, und die Thaufrische dieses jungen Gesichts ließ sich auch in allernächster Nähe absolut nicht wegleugnen – aber ein Seitenblick auf Baron Mainau machte sofort das sonnige Lächeln um ihre Lippen wieder aufstrahlen. Die Leute hatten Recht, wenn sie behaupteten, er habe ohne jegliche Spur von Neigung gewählt. Er stand kalt, wie eine Marmorstatue neben seiner jungen Frau, die sich bei seinen sie kurz und frostig vorstellenden Worten ehrerbietig, jedoch nicht allzutief, verneigte und der Herzogin das Bouquet übergab.

Es wurde sehr huldvoll entgegengenommen, und die Herzogin hätte sich vielleicht noch mehr in jenen liebenswürdigen Phrasen erschöpft, welche die Meisten als Reliquien eines solchen Vorstellungsmomentes zeitlebens im innersten Herzensschrein aufbewahren, wäre nicht ihr Blick auf den Hofmarschall gefallen – er stand hülflos zusammenknickend, mit fest aufeinandergebissenen Zähnen da, fahl wie ein Gespenst. „Ich habe meine Kräfte überschätzt,“ stammelte er, „und bin untröstlich, um die Gnade bitten zu müssen, daß ich mich eines Fahrstuhls bedienen darf.“

Auf einen Wink der Herzogin wurde das Möbel gebracht, und der Kranke sank hinein – ein bitterer Augenblick für den Mann, der einst vielbegehrt und gefeiert, auf leichten Höflingssohlen die Gestirne des Hofes umschwebt hatte. Kreischend rollte der schwere Stuhl über den Kies nach dem Park, dem ja heute der Besuch der fürstlichen Gäste galt. … Die schöne, rosenfarbenstrahlende Herzogin rauschte plaudernd an Mainau’s Arm vorüber – noch nie hatte sie sich so zwanglos heiter und angeregt gezeigt, und doch saß der Mann, der einst gemeint, einzig durch seine glänzende Unterhaltungsgabe diesem stolzen, zurückhaltenden Frauengeist Funken zu entlocken, schweigend auf seinem Stuhl – er war vergessen. Die Prinzen stürmten mit Leo jubelnd vorbei – sonst hatten sie sich an die Frackschöße des Hofmarschalls gehangen, ohne ihn war kein Spiel zu Stande gekommen – jetzt war es so selbstverständlich, daß er alt und siech dahinrollte und plötzlich zum Statisten wurde auf seinem eigenen Grund und Boden – eine niederschmetternde Erfahrung für ein gefeiertes Höflingstalent, noch lebend zu den Todten geworfen zu werden! … Und zu alledem schritt auch noch der „Rothkopf“ dort so anmaßend und selbstbewußt als Herrin von Schönwerth dahin, ja, der alte Höfling sagte sich erbittert, daß sich diese Gräfin von Habenichts wahrhaftig vermesse, größer, edler und vornehmer in der Haltung zu sein, als die Frau Herzogin selbst – er hätte ersticken mögen vor Aerger und Ingrimm!

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_139.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)