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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

nach Rußland, und ich habe bei der Zusammenstellung ihm stets geholfen. … Habe ich auch mit dieser harmlosen Beschäftigung gegen die Etiquette, die Ansichten im Hause Mainau verstoßen, so bedaure ich den abermaligen Mißgriff.“ – Sie streckte Mainau, der das Heftchen mit den Augen überflog, bitterlächelnd ihre edelschönen Hände hin. – „Du wirst mir bezeugen müssen, daß keine Tintenflecken an den Fingern sind, und daß ich niemals die Sünde begangen habe, Dich auch nur mit einem Wort über dieses Bischen lückenhafte botanische Wissen zu langweilen. … Dank der Ungeschicklichkeit Deiner Leute, stehe ich da vor Deinen Augen wie entlarvt, und ich muß still halten.“ – Mit einer lieblich sanften Geberde legte sie die schlanken, biegsamen Hände an die Schläfen, als wolle sie die klopfenden Pulse beschwichtigen. „Es thut mir leid, daß ich wider Willen diese Scene veranlaßt und gegen Dein mir aufgestelltes Programm, dieses – lasse es mich nur einmal, nur dieses einzige Mal aussprechen! – dieses grausam ausgeklügelte Programm geistiger Tödtung – verstoßen habe. Meine Schuld war es nicht – es geschieht auch nicht wieder. … Nur Eines habe ich noch zu sagen, ich muß die Beschuldigung des Herrn Hofmarschalls, daß ich in der Kunstwelt mit meinen kleinen Leistungen aufgetreten sei, um zu brilliren, entschieden zurückweisen. … Als ich mein erstes Bild den Blicken der Oeffentlichkeit ausgesetzt wußte, da hat mich wochenlang das Fieber geschüttelt – nicht aus Angst um den Erfolg, nein, vor Beschämung über mein Wagniß; das Geld aber, das man dafür in meine Hand legte, hat mir bittere Thränen erpreßt, weil ich einen Theil meiner Seele, meines Empfindens verkauft hatte – und doch mußte es immer wieder geschehen.“

Der Hofprediger war während dieser peinlichen Scene, die fast den Charakter einer Inquisitionssitzung trug, im Hintergrund des Salons auf- und abgegangen. Seine Hände lagen ruhig gefaltet auf dem Rücken; aber die breite Brust wogte und hob sich schwerathmend, als ringe er mit einem Erstickungsanfall. Ein einziger Blick hätte die beiden Herren überzeugen müssen, daß der Mann im langen schwarzen Rock, mit dem elfenbeinbleichen Fleck der Tonsur auf dem Haupte, heftig mit sich kämpfte, um nicht wie ein gereizter Tiger auf sie loszustürzen. … Bei den letzten Worten der jungen Frau trat er in die Glasthür und sah angestrengt, die Hand über die Augen haltend, seitwärts über den Park hinweg, wo die Linie der Chaussee, schmal und blendend, für eine kurze Strecke bloßgelegt erschien. „Ich habe recht gehört,“ rief er tiefaufathmend in das Zimmer zurück, „die Herzogin wird gleich hier sein.“

„Ah, sehr gut, wir waren auf dem besten Wege, sentimental zu werden!“ sagte der Hofmarschall. „Vorwärts denn!“ Er erhob sich; seine schmale, lange Gestalt mit nicht zu unterdrückendem Aechzen hoch aufreckend, trat er vor den Spiegel, zupfte an der weißen Halsbinde, goß eine Odeurfluth über das Taschentuch und besprengte Frack und Weste mit den köstlich duftenden Tropfen; dann nahm er den Hut in die Hand und ging halb steifbeinig, halb zusammenknickend hinaus. Die junge Frau aber legte ruhig die Papiere in das Kistchen und versuchte den Deckel darauf zu drücken.

„Nun, Hochwürden,“ sagte Mainau zu dem Geistlichen, der wie ein Fels an der Thür verharrte – er wartete offenbar darauf, daß Mainau vor ihm den Salon verlasse. „Vergessen Sie, daß die Frau Herzogin es Ihnen sehr übel vermerken wird, wenn der übliche Weihespruch aus Ihrem Munde sie beim Aussteigen nicht begrüßt?“

Beider Blicke begegneten sich – spöttisches Befremden in Mainau’s Augen und glühender, unverhohlener Ingrimm in denen des Geistlichen trafen aufeinander – es sprühten Funken.

„Bitte, bitte, nach ihnen, Herr Hofprediger!“ protestirte Mainau mit der Hand hinauswinkend, aber keineswegs in ritterlich achtungsvollem Zurücktreten vor der geistlichen Würde, sondern als höflich gebietender Schloßherr, wobei er ein sarkastisches Lächeln nicht zu unterdrücken vermochte. „Sorgen Sie sich nicht um mich – ich werde im rechten Moment unten stehen,“ versicherte er.

Der Hofprediger ging mit einer leichten Kopfneigung hinaus. Mainau verfolgte den Zipfel des schwarzen Rockes, wie er langsam zögernd von Stufe zu Stufe glitt – dann wandte er sich plötzlich um, und mit einem feurigen Aufblicke seiner dämonischen Augen trat er rasch auf die junge Frau zu und streckte ihr beide Hände entgegen.

„Wozu das?“ fragte sie, unbeweglich wie eine Statue auf ihrem Platze verharrend. „Soll das ein Act großmüthiger Verzeihung sein? Ich appellire nicht an sie, denn ich habe nichts verbrochen. Ich bin mir bewußt, weder meine Pflichten als Leo’s Mutter, noch die der Hausfrau und dame d’honneur in irgend einer Weise durch meine kleinen Studien beeinträchtigt zu haben. Die Pflanzen habe ich auf meinen Spaziergängen mit Leo gesammelt und bereits das ABC der Botanik für ihn darangeknüpft. Gemalt und geschrieben aber habe ich nur in den frühesten Morgenstunden, wo Niemand meiner bedurfte. … Ist es Dein Wunsch und Wille, daß ich auch diesen erholenden Beschäftigungen entsage, dann soll und muß es geschehen. Aber ich gebe Dir zu bedenken, daß, wenn der Mann das Recht für sich beansprucht, allen Unannehmlichkeiten, aller Langeweile des Familienhauses ohne Weiteres den Rücken zu kehren und jahrelang in der Fremde umherzuschweifen, der Frau dann wenigstens einige Erholungsstunden nicht versagt werden dürfen, in denen sie sich über die stündlichen Plackereien und Anfechtungen während seiner Abwesenheit erheben kann. … Wie bereits versichert, unterwerfe ich mich auch in diesem Punkte, jedoch nicht als Deine blind und gehorsam nachgebende Frau, sondern als Leo’s Mutter. Ich habe die mütterlichen Pflichten übernommen und werde meine Aufgabe durchführen – wäre das nicht, dann ginge ich jetzt nicht der Herzogin entgegen, sondern, wie es der eben stattgefundene Auftritt und meine Sehnsucht fordern – in die Heimath zurück.“ …

Sie nahm ihre Schleppe auf, ergriff das Bouquet und wollte mit vornehm ruhiger Haltung an ihm vorüberschreiten; aber er vertrat ihr den Weg. Fast überkam es sie wie Furcht und Angst, als sie so nahe vor ihm stand – ein blühend kräftiges, von einem ungestümen Geist beseeltes Männerantlitz tief erbleichen zu sehen, hat stets etwas Erschreckendes für die Frauenseele.

„Noch einen Augenblick!“ sagte er die Hand aufhebend, beherrscht, aber mit tiefer Bitterkeit. „Du irrst, wenn Du meinst, ich habe Dich mit meiner Verzeihung behelligen wollen – in der Weise kann ich mich Dir vorhin unmöglich genähert haben. Ich bin nicht so verstandesüberlegen wie Du, um genau das zu analysiren und zu controliren, was in meinem Innern vorgeht – ich lasse mich hinreißen, es unbedenklich auszusprechen, wie es emporquillt, und so mag es vorhin weit eher das Verlangen gewesen sein, Dich um Verzeihung zu bitten, als der Wunsch, Dich zu demüthigen. Entweder Du hast kein Verständniß für den Gesichtsausdruck Anderer – was ich bei Deiner außerordentlichen künstlerischen Begabung nicht annehmen kann – oder die stolze, tief verletzte Gräfin Trachenberg hat nicht verstehen wollen. Ich glaube das Letztere und respectire Deinen Wunsch und Willen, der eine innere Ausgleichung zurückweist. … Trotzalledem müssen wir uns doch der Welt als friedliches Ehepaar präsentiren,“ fuhr er, wieder in seine leicht frivole Ausdrucksweise verfallend, fort, „und darum habe die Güte, Deine Fingerspitzen auf meinen Arm zu legen, wenn wir die Treppe hinabsteigen.“


(Fortsetzung folgt.)


Saat in’s Wasser.

Schütz’ und stütz’ die Natur, belausch’ ihr verborgenes Walten,
 Forsche nach Willen und Drang, zügle Verschwendung der Kraft!
Wahrlich, sie lohnet dich reich; die wohlgeleitete Freundin
 Danket der schirmenden Hand mit hundertfältiger Frucht.


Dieses Motto enthält eine so alte Wahrheit und berührt eine so selbstverständliche Thatsache, daß Mancher sich über die Naivetät des Gesagten wundern wird, und doch hat der Mensch so oft und schwer gegen die Natur gesündigt. Der dürre, ermüdete Acker des Landwirths und dessen versumpfte Wiesen sind nur kleine Beispiele, denn es sind leider auch große Naturtragödien anzuführen, bei denen die menschliche Habsucht und Verblendung die tragische Schuld vertritt und die Rache der beleidigten Natur das ewig waltende Fatum. Die entwaldeten und deshalb ausgedörrten und entvölkerten Strecken Spaniens, Griechenlands

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_124.jpg&oldid=- (Version vom 8.11.2023)