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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 7.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Mainau hielt inne, wie in Erwartung einer bestätigenden Antwort; aber sie sah ihn nicht einmal an. Sie meinte, es sei überflüssig, ihn vom Gegentheil zu überzeugen, was er gar nicht wünschte. Prüfend bog sie den Kopf zurück und verglich eine eben eingesetzte Schattirung mit dem Ganzen. Ihre zarten Lippen lagen sanft geschlossen aufeinander, und die bleiche Sammethaut ihrer Wangen nahm nicht einen Hauch von Röthe an; bei der ausgeprägtesten Lieblichkeit, die den beobachtenden Mann in diesem Momente abermals frappirte, hatte der junge Frauenkopf mit den seitwärts gewendeten Augen doch die Leblosigkeit eines Steinbildes, und unwillkürlich mußte er denken, ob es denn wirklich einzig und allein der Familienstolz vermöchte, diese tief in das Innerste zurückgezogene Seele aufzuregen – im nächsten Augenblicke erfüllte ihn eine tiefe Genugthuung darüber, daß es so und nicht anders sei.

„Das ist doch eine reizende Zeichnung,“ sagte er und deutete auf die Cactusblüthe. „Ich begreife, wie sich eine stille Frauennatur in diese Art von Beschäftigung so tief versenken kann, daß ihr von der lärmenden Außenwelt viel Unerquickliches entgeht. Du hast den Differenzen zwischen dem Onkel und mir wohl kaum Beachtung geschenkt?“ Das klang so wohlwollend nachsichtig, als wünsche er zu hören, daß sie in der That so indolent gewesen sei.

„Ich habe genug gehört, um mich zu wundern, daß Du Dein mir aufgestelltes Programm selbst so wenig respectirst,“ versetzte sie gelassen. „Du wünschest ein ruhiges, leidenschaftslos und gleichmäßig verlaufendes Familienleben, und hast doch vor wenigen Augenblicken Alles gethan, um den Hofmarschall zu reizen.“ – Sie nannte den alten Herrn nie Onkel.

„Liebe Juliane, das ist ein kleines Mißverständniß,“ rief er lachend, indem er aufstand. „Das Programm ist nicht so bitterernst gemeint, so lange ich da bin, so lange ich den Zügel in der Hand habe und lenken kann, wie ich will – ich werde mich doch wahrhaftig nicht selbst ertränken in diesem stagnirenden Wasser der Langeweile!“

„Ich will nur nicht, daß man sich zankt, wenn ich auf Reisen bin,“ fuhr er fort. „Gott im Himmel – was für eine Fluth von lamentablen Briefen stürmt da von allen Seiten auf solch einen unglücklichen Abwesenden ein! … Was hat nur Valerie allein in dieser Beziehung gesündigt! – Im dunkelsten Winkel meines Schreibtisches liegen sie noch, diese Boten der – Liebe. Ich habe sie damals pflichtschuldigst mit einem zärtlichen Rosenbande umwickelt, aber berührt hat meine Hand sie nie wieder, aus Angst vor den herausplatzenden Geistern der Zwietracht, der Herrschsucht und der kindischen Launen. … Und dabei kam ich doch immer erst in zweiter Linie – die kleine Frau hatte den vortrefflichen Beichtvater, den Hofprediger, zur Seite, dem sie ihr Herz stets in der ersten Aufwallung rückhaltlos auszuschütten pflegte.“

Ein böses Lächeln erschien und verschwand wie ein Blitz auf seinem schönen Gesichte.

„Bah, was willst Du?“ sagte er plötzlich nach längerem Schweigen wieder – er war in die offene Glasthür getreten und hatte dem Spiele der beiden Knaben zugesehen. „Gerade auf meine Art und Weise, mit dem Onkel zu verkehren, bin ich stolz, ungefähr so eingebildet, wie ein Kind auf die Heldenthat, ein Stück Kuchen nicht anzubeißen, das der Mutter mitgebracht werden soll. Sahst Du mich jemals jähzornig? Frage die lieben Nächsten – die Haut wird Dir schaudern, was sie Alles von meiner brutalen Heftigkeit zu erzählen wissen. … Hier beherrsche ich mich, allerdings zuvörderst in dem Wunsche, auch einmal ein wenig – wie andere Glückliche ihr ganzes Leben lang – in die Wonne der Selbstbewunderung versinken zu können.“

Die junge Frau warf einen Blick nach ihm hinüber, welcher dem seinen begegnete. Da war nicht eine Spur jener Flamme, die blitzähnlich von Auge zu Auge züngelt und das Verständniß zweier Menschen vermittelt. Sie sagte sich, daß über die vom Schicksale verzogene, durch Frauengunst verhätschelte Männerseele dort Nichts auf Erden je Gewalt haben werde, als das eigene stürmische Wünschen und Wollen, und er griff achselzuckend nach seinem Hute und meinte, in den grauen Augen die Zahl der Stiche lesen zu können, die sie während seiner Rede mit dem rothen Seidenfaden gemacht hatte.

„Ich gehe,“ sagte er. „Nimm Dich in Acht, Juliane – es wird dämmerig, und unsere tapferen Schloßleute verschwören Leben und Seligkeit, daß Onkel Gisbert’s Schatten dort in dem Fensterbogen sein Wesen treibe – er hatte sich im Todeskampf hierher tragen lassen. Doch was ich rede – sündenlosen Seelen, wie der Deinen, passirt dergleichen nicht.“

„Andere Geister haben nur Macht über uns, je nachdem wir sie fürchten oder lieben,“ versetzte sie einfach, ohne den Spott

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_105.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)