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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Mann galt für außerordentlich sparsam, sogar geizig, und als vor drei oder vier Jahren eines Morgens eine Zeitung berichtete, daß der alte Hopkins beabsichtige, zwei ebenso großartige Institute zu stiften wie das, welches Peabody’s Namen trägt, lachte Jedermann über den vermeintlichen Witz, denn in der ganzen Stadt konnte sich Niemand erinnern, daß der Millionär jemals etwas zu verschenken gehabt habe. Obgleich der Mann bereits hoch in den Siebenzigern stand, arbeitete er noch rastlos an der Vermehrung und Verwaltung seines ungeheuren Vermögens weiter, baute und kaufte Magazine und war in den Bureaustunden unfehlbar in seiner alten Spelunke von Comptoir zu finden.

Am 24. December vorigen Jahres starb er nach kurzer Krankheit, und als am zweiten Weihnachtstage sein Testament bekannt wurde, fand sich’s, welch herrliches Weihnachtsgeschenk der alte Hopkins der Stadt gemacht hatte. Der Nachlaß des Millionärs wird auf zehn Millionen Dollars veranschlagt; davon erhalten seine Blutsverwandten, etwa sechszehn an der Zahl, circa zwei und eine halbe bis drei Millionen. Der Testator verordnet, daß eine Universität gegründet werde, welche seinen Namen tragen und welcher sein vor der Stadt gelegener Landsitz Clifton, zweihundertdreißig Acker groß, mit einem prachtvollen Schlosse zufallen soll, ferner daß auf einem andern ihm gehörigen Platze ein großes Hospital erbaut werde, in welchem Kranke aller Nationalitäten unentgeltlich Aufnahme finden. Beide Anstalten sind in Bausch und Bogen von vornherein mit sechs Millionen Dollars dotirt und erhalten außerdem noch Alles, was in seinem Nachlasse vorgefunden wird und worüber in dem Testamente nicht speciell verfügt ist. Die Curatoren des Hospitals haben mit diesem Institute eine Schule für Krankenpflege zu verbinden und außerdem ein Waisenhaus für Negerkinder zu errichten. Die Universität soll nach dem Willen des Stifters eine der ersten Hochschulen der Welt werden; jedenfalls wird sie die reichste sein.

Verschiedene andere Wohlthätigkeits- und Erziehungsanstalten der Stadt erhalten noch Legate von zehn-, respective zwanzigtausend Dollars. Sollte einer seiner Verwandten sich beikommen lassen, dieses Testament zu bestreiten, so fällt der ihm ausgesetzte Antheil der Universität und dem Hospitale zu.

Hopkins wurde 1795 als der Sohn unbemittelter Bauersleute im Staate Maryland geboren und kam 1812 nach Baltimore, wo er in dem Engrosgeschäfte eines Onkels eine sehr untergeordnete Stelle erhielt, in welcher er sich zum tüchtigen Kaufmanne heranbildete. Im Jahre 1818 etablirte er ohne jegliches Capital, außer seinen unbedeutenden Ersparnissen, mit einem andern jungen Manne, der ebenfalls nichts weiter als den guten Willen mitbrachte, die Firma Hopkins und Moore. Der Onkel verschaffte dem jungen Hause limitirten Credit, und dasselbe arbeitete sich mühsam empor. Als Moore im Jahre 1822 austrat, nahm Hopkins zwei oder drei Brüder auf, und die Firma hieß fortan Gebrüder Hopkins. Im Jahre 1844 zog sich der Chef als Millionär aus dem Hause zurück und lebte seitdem nur seinen großartigen Speculationen. Fast die Hälfte aller großen Magazine im Geschäftstheile der Stadt war sein Eigenthum; in dieser Gegend kaufte er fortwährend Häuser auf, verkaufte aber nie eins wieder; an Stelle der alten Baracken, welche den früheren Handelsfürsten, den Pattersons, Ollivers, Parrishes, O’Donnells etc. dienten, ließ er solide Bauten aufführen, die heute thatsächlich unbezahlbar sind.

Dabei hatte er ein scharfes Auge für gute Actien; er war außer dem Staate Maryland und der Stadt Baltimore der bedeutendste Actionär der „Baltimore-Ohio-Bahn“, dieses großen Monopols, welches, wie der fabelhafte Polyp, mit seinen Riesenfängen die halbe Welt umspannt; überhaupt existirte kaum ein profitables Unternehmen, an dem der alte Hopkins nicht interessirt gewesen wäre. Wie Mac Donogh und Peabody, war auch er ein Junggeselle, doch konnte man ihm nicht gerade nachsagen, daß er, wie der Erstere, ein Weiberfeind gewesen wäre; er hütete sich aber, sein Lebensschiff mit dem in Amerika kostspieligen Ballaste einer Gattin zu beschweren.

Durch und durch Geschäftsmann, kannte er während seines langen Lebens keine Freude und keinen Genuß, als gewinnbringende Arbeit; er war Director zahlreicher Gesellschaften, aber in keiner derselben eine Null oder Drohne; allenthalben arbeitete er unermüdlich mit, sei es im Finanzausschusse einer jener Titanen-Corporationen, in deren Bureaus in Wallstreet, am Exchange-Place oder Camdenstraße über Krieg und Frieden in West-Indien oder Central-Amerika entschieden wird, oder deren Launen der alten Welt nach Belieben den Brodkorb höher hängen, sei es im Directorium einer Bank, welche die locale Discontorate feststellt; an allen diesen Orten war sein Wort von Gewicht, wenn nicht gar maßgebend und entscheidend. Welch ein umsichtiger und fernblickender Financier er war, zeigen die genauen Bestimmungen seines Testaments. Sogar aus den Auslassungen dieses Instruments ließe sich dies nachweisen. Hierfür nur ein Beispiel.

Als vor etwa vier Jahren die Bauwuth in der mittleren Stadt herrschte, sah sich auch Hopkins veranlaßt, etwas zur Verschönerung dieses Stadttheils zu thun, zumal keines seiner Waarenhäuser und Magazine auf Eleganz Anspruch machen kann. Er ließ deshalb in der Nähe der Post ein prachtvolles Gebäude aus Marmorquadern im venetianischen Stile aufführen, welches ihm über dreihunderttausend Dollars kostete. Das Haus heißt wegen seiner Aehnlichkeit mit dem berühmten Palaste der Lagunenstadt „der Rialto“. Natürlich decken die Miethen der verschiedenen Räumlichkeiten kaum ein Procent Zinsen des Baucapitals. Jedermann war gespannt, welche Verfügung in dem Testamente über diesen Prachtbau getroffen war, derselbe ist jedoch mit keiner Silbe erwähnt und fällt jetzt dem Stiftungsfond zu. Der praktische Geschäftsmann muß diese Auslassung selbstverständlich finden; war der Bau doch eine „schlechte Speculation“, die sich niemals bezahlen wird; warum noch Zeit und Tinte daran verschwenden?

Dies ist in kurzen Zügen die Geschichte der drei wohlthätigen Junggesellen Baltimores; sie haben sich einen Platz neben den größten Philanthropen aller Zeiten und Völker erworben. Im Lichte ihrer Generosität wird das Wort „fürstliche Freigebigkeit“ zur hohlen Phrase.

Fragt man sich nach der Ursache dieser eigenthümlichen Erscheinung von Männern, welche ihr kolossales Vermögen, anstatt es von lachenden Erben verjubeln zu lassen, zum Segen vieler Generationen in solchen ruhmwürdigen Stiftungen als beredte Denkmäler für die Nachwelt hinstellen, so ist die einfache Erklärung: es geschah aus Menschenliebe, vielleicht ungenügend, und wenn man der Sache auf den Grund geht, geradezu eine falsche. Weiß man es doch zu wohl, daß diese Männer im Leben gewöhnlich steinhart waren, und wie manchen edeln Zug man auch von dem Einen oder Andern erzählen mag, so ist es doch nichtsdestoweniger Thatsache, daß sie in der Regel mit der Herzlosigkeit des Wucherers „auf ihrem Scheine bestanden“ und ihren Geldinteressen alles Andere unterordneten.

Hier muß noch eine andere Ursache zu Grunde liegen, und man wird wohl das Richtige treffen, wenn man sagt: es ist eben in Amerika Mode geworden, solche Institute zu dotiren, gerade wie es unter den Karolingern, unter den Saliern und Staufen in Deutschland Mode war, Kirchen und Klöster auszustatten, und wie es in den Tagen der Reformation Sitte wurde, Universitätsstipendien zu stiften. Seitdem Girard und Astor sich durch solche Stiftungen die Unsterblichkeit erkauften, während jetzt schon weit reichere und bedeutendere Zeitgenossen jener beiden Kaufleute vergessen sind, ist es in Amerika stark in Aufnahme gekommen, sich durch die Versicherungssumme von einer halben oder einer ganzen Million eine Unsterblichkeitspolice zu erwerben.

Indem wir hier das Kind beim rechten Namen nennen, soll durchaus nicht angedeutet werden, daß wir deshalb die Wohlthaten weniger hoch achten. Ehre den Männern, welche ihren sauer erworbenen und ängstlich zu Rathe gehaltenen Mammon auf solche Weise durch Jahrhunderte hindurch segenbringend wirken lassen! Es mag himmlisch sein, ein Diadem auszuschlagen, göttlich ist es jedenfalls, die Bevölkerung einer Stadt zur Erbin seiner Millionen zu machen und in dem Bewußtsein zu sterben, ganzen Geschlechtern zum Segen gelebt und gewirkt zu haben. Welch sonderbare Heiligen diese Millionenwohlthäter auch im Leben mitunter gewesen sein mögen, die Nachwelt wird ihre Namen stets mit Dank und Achtung nennen, und die Geschichte wird ihnen einen Platz neben den Edelsten und Besten ihrer Zeit anweisen.

Eduard Leyh.[WS 1]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Eduard von Leyh; vergl. Berichtigung (Die Gartenlaube 1874/19)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_099.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)