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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

des dazu benutzten Werkzeuges ihm sehr gleichgültig sei. Nun ritt sie wieder fast täglich durch den Schönwerther Park, und zwar in sehr gehobener Stimmung.

Seit die Erzieherin das Schloß verlassen, was auf Mainau’s Befehl schon wenige Tage nach der Besprechung mit Liane geschehen war, kam auch der Hofprediger öfter als je nach Schönwerth – er ertheilte Leo selbst den Religionsunterricht. … Es hatte einen schlimmen Auftritt zwischen Onkel und Neffen gegeben; die Dienerschaft war der Meinung gewesen, die Splitter müßten umherfliegen, so wüthend hatte der Stock des Kranken das Parquet bearbeitet – eine völlig nutzlose Erhitzung – denn eine halbe Stunde später war Leo’s Schlafzimmer neben das der jungen Frau verlegt worden, und von diesem Augenblicke an trat sie in alle Rechte der Mutter ein und wurde als solche im Hause streng respectirt. Denn obgleich die Schloßleute sich zuraunten, der Hofmarschall könne die junge Frau nicht ausstehen, und „der junge Herr mache sich doch auch gar nichts aus ihr“, so verhehlten sie sich dabei nicht, daß man ihr die Gräfin auf zehn Schritte ansehe und nie den Muth finde, ihr unhöflich zu widersprechen. Anfangs staunten sie freilich, wenn „diese Zweite“, so schweigsam und lautlos wie die weiße Frau, plötzlich unter ihnen erschien, um nach „dem Rechten“ zu sehen; aber sie gewöhnten sich um so schneller an „diese Eigenheit“, als auch die sonst so spröde Beschließerin widerspruchlos ihre Leinenschränke vor den grauen, prüfenden Augen der Herrin öffnete.

Liane vermied seit jenem Gespräch, mit Mainau allein zu sein, und ihm fiel es nicht ein, sie zu suchen. Er hatte auch nie wieder Gelegenheit gehabt, sich über ihre Augen zu wundern. Selbst bei den anregendsten Gesprächen und Debatten zwischen ihm und dem Hofprediger am Theetisch sah sie so still auf ihre schönen, unermüdlich an einem Teppich stickenden Hände nieder, daß Mainau überzeugt war, sie gehe im Geiste Leo’s Vocabeln durch, oder zähle die Seifenstücken, die man in der Waschküche verbraucht habe. Er, der „die deutsche Langeweile“ floh, wie tödtliches Gift, er hatte sie grundsätzlich mit dieser „stillen, passiven Natur“ in sein Haus verpflanzt. Dazu waren alle seine neuen Anlagen im Parke fertig, es blieb ihm, wie er sich ausdrückte, für das nächste halbe Jahr nicht eine einzige Aufgabe in der Heimath zu erfüllen, und so rüstete er energisch zur Abreise. … „Das Vagabondenblut der Mainau“ siede in ihm, sagte er eines Abends beim Thee lachend zum Hofmarschall.

Der alte Herr wurde spitz und verbat sich in seinem und seiner edlen Vorfahren Namen dergleichen Bezeichnungen – es kam zu einem scharfgeführten Wortwechsel, der grelle Schlaglichter auf die Vergangenheit warf. … Während Liane, scheinbar indolent, Stich um Stich weiter stickte, sah sie im Geiste die drei Brüder Mainau, die vor circa fünfunddreißig Jahren viel von sich reden gemacht hatten – sie waren schön, vornehm und gesucht gewesen. … Der Greis dort mit dem tadellos frisirten grauen Kopf, dem fortgesetzt fahlrothe Lichter der inneren Erregung über die Wangen flackerten, er hatte Recht, wenn er gegen das Vagabondenblut protestirte. Ihm, dem mittleren dieser Brüder, wäre es unmöglich gewesen, in einer anderen als der Hofatmosphäre seine Lebenslust zu suchen. Er hatte immer nach den höchsten Zielen gestrebt, wie die Gräfin Trachenberg zu sagen pflegte, wenn sie andeuten wollte, daß sie ihm einen Korb gegeben habe. … „Standesgemäß“ am Hofe placirt, hatte er sich auch „standesgemäß“ eine ebenbürtige Gemahlin durch die damals regierende Herzogin „aufbefehlen“ lassen und konnte sich mit gutem Gewissen sagen, daß seine feinen Sohlen nie das grobe Pflaster der Alltäglichkeit berührt hatten. Sein ältester Bruder dagegen war frühzeitig ausgeschwärmt; er war in die Eisregion des Nordpoles vorgedrungen und hatte nomadenhaft die Jagdgründe der Indianer durchstreift, und wenn er einmal wieder „das kleine Klatsch- und Hofnest in dem deutschen Erdenwinkel“ aufgesucht, dann hatten seine Extravaganzen und Rücksichtslosigkeiten eine Gänsehaut um die andere über den Rücken des brüderlichen Höflings laufen lassen. Einmal aber war es einer schönen, reichen Erbin gelungen, ihn festzuhalten; er hatte sich mit ihr vermählt und war genau so lange in der Residenz verblieben, um dem jungen, lieblichen Geschöpfe nach einem schweren Wochenbette die Augen zuzudrücken, seinem verwaisten Kind bei der Taufe den Namen Raoul zu geben und sein Testament zu machen. Dann hatte er den Staub von den Füßen geschüttelt und es schließlich der deutschen Gesandtschaft in Brasilien überlassen, Nachricht von ihm zu geben – er war am Fieber gestorben.

Das Alles kam zur Sprache, und Liane fühlte sich einen Augenblick versucht, den ihr angetrauten Mann zu bedauern, der so früh schon allein gestanden – aber wozu denn? … Er war reich, schön, voll sprühender Lebenskraft, und in seiner Unabhängigkeit rücksichtslos gegen Andere bis zur äußersten Grenze. Die ganze Welt mit ihren Genüssen lag ihm zu Füßen, und über eine strenge Auswahl derselben hatte sich sein Feuerkopf wohl niemals Scrupel gemacht. So saß er dort neben dem keifenden Greis und sah den blauen Dampfringen seiner Cigarre nach, wie sie dem Fenster zuschwebten, um sich mit dem Goldhauch der letzten Abendsonnenstrahlen zu mischen.

„Liebliches Schönwerth,“ rief er mit lächelndem Pathos, wobei sein ausgestreckter Arm einen weiten Bogen über die draußen sich hinbreitende, unvergleichlich schöne Landschaft beschrieb. „Vielbeneideter Besitz! Dich verdanken wir einzig diesem verfehmten Wandertrieb. Onkel Hofmarschall sähe noch aus den Fenstern seiner Amtswohnung in der Residenz, wenn Gisbert von Mainau hinter dem Ofen sitzen geblieben wäre.“

Der Hofprediger hatte neulich Recht gehabt mit seiner Behauptung, daß man den dritten und jüngsten Bruder nicht nennen dürfe, ohne den alten Herrn außer Fassung zu bringen. Er fuhr empor; aber das Ungewitter, das über einen unvorsichtigen Untergebenen sicher losgebrochen wäre, reducirte sich auf ein Geplänkel von seinen Eissplittern. Während er hastig, als mache er sich reisefertig, sein neben ihm liegendes rothseidenes Taschentuch nebst den verschiedenen Flacons in die Tasche steckte, sagte er:

„Pardon, es wird Zeit, daß ich mich zurückziehe – für Abendluft und Kraftgenialität sind meine Nerven nun einmal mimosenhaft empfindlich – wer kann sich robuster und derber machen, als er ist? … Ja, das liebe Alter! Ich habe die französischen Moden immer so gern gehabt, und jetzt bin ich so bärbeißig, oder vielmehr so spottsüchtig, es lächerlich zu finden, wenn der deutsche Nachahmungstrieb auch versucht, in den Fußstapfen großer Onkels zu gehen. … Mein bester Raoul, Du hast viel vom Onkel Gisbert – wer wollte die Aehnlichkeit leugnen? –, und da Du das schön findest, so mache ich Dir mein Compliment darüber; ja, ich muß sogar lebhaft wünschen, daß Du Dich treulich an den Weg hältst, den er gegangen – jener Wandertrieb, er ist ja schließlich doch in dem heißen Sehnen und Trachten nach dem rechten Ziele, nach dem ewigen Heile aufgegangen.“

„Mein Gott, ja – wie kläglich! Der arme Onkel, er war siech und – fromm geworden,“ versetzte Mainau kalt lächelnd, während der Hofmarschall mit der silbernen Handklingel förmlich Sturm läutete.

Sein Kammerdiener erschien, um ihn in das Schlafzimmer zu fahren. Mainau schob den Dienstfertigen bei Seite und rollte den Stuhl eigenhändig bis zur Thür.

„Du erlaubst wohl, daß ich Leo’s Großpapa den schuldigen Respect erweise,“ sagte er höflich, wenn auch in sehr reservirtem Tone zu dem Hofmarschalle, der steif das Haupt neigte; dann schloß er die Thür hinter dem fortrollenden Fahrstuhle und kehrte an den Theetisch zurück.

Die junge Frau hätte am liebsten ihre Arbeit zusammengelegt und wäre auch gegangen; denn sie war allein mit ihm und hatte keine Lust, ihn, der so geistreich mit dem Hofprediger und seinem Onkel zu disputiren wußte, in solchen seltenen Momenten immer nur über die alltäglichsten Dinge reden zu hören, wobei er gar nicht verbarg, daß er mit Ueberwindung in die Kühle einer phantasielosen, prosaischen Welt herabsteige. Aber sie fand keinen schicklichen Vorwand, das Zimmer zu verlassen; es war noch nicht Zeit, Leo zu Bett zu bringen, der Gabriel einen Zügel um den Arm gebunden hatte und ihn über die draußen vor der Glasthür niedersteigende Freitreppe lärmend auf- und abjagte. Sie rückte deshalb ihren Stuhl näher an das Fenster, um unter dem voller hereinfallenden Abendlichte eine feurige Cactusblüthe fertig zu sticken.

„Graut Dir nicht vor der phantastischen Familie, in die ich Dich versetzt habe, Juliane?“ fragte Mainau mit halbem Lächeln nach einer kleinen Pause, während welcher er sich eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_092.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)