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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 5.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Frau Löhn knixte, während der Hofprediger im Eintreten lächelnd und mit einer sehr eleganten Verbeugung sagte: „Beruhigen Sie sich, gnädige Frau – wir sind sehr harmlos in Schönwerth; mit solchen haarsträubenden Gewaltthaten, wie sie das Märchen vom Knaben Mortara der gerngläubigen Welt auftischt, befassen wir uns nicht – gelt, mein Knabe?“ Er legte seine geschmeidige weiße Hand vertraulich auf Gabriel’s Schulter.

Wären nicht der lange, klösterliche Rock und der elfenbeinweiße Fleck auf dem Scheitel inmitten der dunkellockigen Haarfülle gewesen, man hätte nie und nimmer den Geistlichen in dieser Erscheinung gesucht. Keine Spur jener geflissentlich würdevollen Langsamkeit der Bewegungen, die oft so widerlich gespreizt wird und auf Studium und schauspielerische Vorbereitung zurückführt – keine Spur der breiten Salbung in Ton und Wort! … Es war heute bei Tafel heiß hergegangen auf politischem Gebiet, und da hatte die metallene Stimme dieses Mannes kriegerisch und herausfordernd geklungen wie Trompetengeschmetter.

Bei seinem Eintreten hatte die Kranke das Gesicht wieder in die Kissen gedrückt und war still, als schlafe sie; aber ihr Busen hob sich in stürmischen Athemzügen – sie lag dort wie ein scheuer, zitternder Vogel, der sich unter der greifenden Hand angstvoll niederduckt.

„Was ist das heute wieder, Frau Löhn?“ fragte der Hofprediger. „Sie ist sehr aufgeregt – bis in die Sacristei habe ich ihre Klagelaute gehört.“

„Ihro Hoheit, die Frau Herzogin, ist wieder einmal am Hause vorbeigeritten, Hochwürden – da geht stets der Spectakel los, das wissen wir ja,“ versetzte die Beschließerin respectvoll, aber nicht ohne hörbar hervorplatzenden Aerger und Unmuth.

Ein Zug von feinem Spott flog blitzschnell um seinen Mund. „Dann muß es eben ertragen werden,“ sagte er achselzuckend. „Die Frau Herzogin wird auf diesen Spazierritt im ‚Thal von Kaschmir‘ sicher nicht verzichten – wer würde auch den Muth haben, ein solches Opfer von ihr zu verlangen?“ Er trat näher an das Bett – eine Bewegung, die ein sofortiges Aufzucken der leidenden Frau zur Folge hatte.

„Bei all Ihrer Strenge geben Sie der Kranken doch wohl zu sehr nach, beste Frau Löhn," sagte er über die Schulter zurück zu der Beschließerin. „Wozu immer noch diese schweren Armspangen an den gelähmten Gliedern, dieses Kettenwerk auf der Brust?“

„Es wär’ ihr Tod, Hochwürden, wenn ich mich an den Sachen vergreifen wollte,“ sagte die Frau – das klang eigenthümlich gepreßt zwischen den Zähnen. In den tiefen, schmalgeschlitzten Augen der Frau glomm es wie ein verhaltener Funke.

„Glauben Sie doch das nicht – sie ist ja schwach und abgezehrt zum Zerblasen. Diese Last bei ihrer Unbehülflichkeit regt sie mehr auf, als Sie denken. … Kommen Sie, machen wir den Versuch!“

Jetzt öffnete die Kranke ihre Augen weit – sie waren voll Entsetzen. Die Linke fest an den Busen gepreßt, stieß sie einen jener weichen und doch durchdringenden Klagetöne aus, wie sie heute Nachmittag zu Liane gedrungen waren. Frau Löhn stand sofort zwischen ihr und dem Mann im schwarzen Rock, der sie bedrohte. Sie legte ihre breite, knochige Linke bedeckend auf das blasse, krampfhaft geballte Händchen.

„Hochwürden, da muß ich bitten!“ protestirte sie – es lag eine seltsame Wildheit in dieser entschiedenen Haltung und Geberde. „Das geht mich auch an! … Wenn Sie mir sie wild machen, wer hat nachher die schlaflosen Nächte? Ich armes Weib. … Ich brauchte es freilich nicht – ich könnte es ja auch machen, wie die Anderen im Schlosse, die um keinen Preis einen Fuß hierhersetzen, und hätte meine Ruhe. … Ich will auch gar nicht etwa sagen, daß ich’s aus Liebe thue, oder aus Mitleiden – ich bin ein hartes Weib und will mich nicht besser machen, als ich bin. … Die Leute gehen mich ja auf der Gotteswelt nichts an,“ fuhr sie ruhiger, aber auch mürrisch und verdrossen fort. „Wenn ich hier aus- und eingehe und so viel wie möglich für Ruhe sorge, so thue ich’s für meine Herrschaft, von der ich das Brod habe.“

„Frau, was ficht Sie an?“ beschwichtigte der Hofprediger lächelnd – er schüttelte leise den Kopf. „Wer zweifelt denn an der Pflichttreue, dem kalten Blut der Löhn? … Mag doch die Kranke ihr Spielzeug behalten – ich bin der letzte, der Ihnen Ihr Amt erschwere möchte.“

Mittlerweile ging die junge Frau mit unhörbaren Schritten hinaus. Sie mußte den klaren Nachthimmel über sich sehen und den Sand des Weges unter ihren Füßen knirschen hören, um zu empfinden, daß sie nicht in der Nebelwolke eines phantastischen Traumes wandle, einen so schwerbeklemmenden Eindruck machten ihr die seltsam zusammengewürfelten Menschen unter dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_073.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)