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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 4.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Mainau trat an die Seite seiner jungen Frau. „Du bist sehr im Irrthume, Juliane, wenn Du meinst, Deine Rechte als Hausfrau könnten Dir in Schönwerth auch nur um ein kleines Bruchtheil verkümmert werden,“ sagte er mit verhaltener Stimme – er kämpfte schwer mit seinem hervorbrechenden Ingrimme. „Für mich ist die Rudisdorfer Trauung vollkommen rechtskräftig – sie giebt Dir für immer meinen Namen, und wie man hier in diesen vier Wänden darüber denkt, das darf Dich nicht anfechten. … Erlaube mir, Dich in Deine Appartements zu führen.“

Er reichte ihr den Arm und ohne den alten Herrn weiter zu begrüßen, führte er sie hinaus. Während sie die Spiegelgalerie wieder durchschritten, sprach er kein Wort; auf der Treppe aber blieb er einen Moment stehen. „Du bist beleidigt worden, und das trifft meinen Stolz genau so empfindlich wie den Deinen,“ hob er viel ruhiger an, als er droben gesprochen. „Aber ich gebe Dir zu bedenken, daß meine erste Frau die Tochter jenes kranken Mannes, sein einziges Kind gewesen ist. Die zweite Frau muß es sich stets gefallen lassen, ein Gegenstand schmerzlicher Eifersucht für die Verwandten der Verstorbenen zu sein. … Ich muß Dich bitten, auszuharren, bis die Macht der Gewohnheit wirkt. … Schönwerth zu verlassen und mit Dir auf einem meiner anderen Güter zu leben, vermag ich nicht – es handelt sich hauptsächlich darum, Leo unter mütterliche Aufsicht zu bringen; der Kleine aber muß hier bleiben – ich darf dem Großvater den einzigen Enkel nicht nehmen.“

Liane stieg schweigend die Stufen weiter hinab; es war ihr fast unmöglich, zu diesem grausamen Egoisten zu sprechen, der sie an sich gefesselt, um sie völlig unvorbereitet den wiederwärtigsten Verhältnissen gegenüberzustellen.

„Sie werden begreifen, daß ich keinen anderen Wunsch habe, als den, wieder da hinaus gehen zu dürfen,“ versetzte sie endlich und zeigte nach der sonnigen Landschaft durch das offene Thor, an welchem sie eben vorüberschritten. „Wäre nicht der Gedanke, daß ich mit meiner sofortigen Heimkehr nach Rudisdorf selbst die bindende Kraft meiner Kirche verneinte –“

„Es sollte Dir auch einigermaßen schwer werden, einen solchen Schritt auszuführen,“ unterbrach er sie eiskalt, indem er einen langen Säulengang im Erdgeschosse mit ihr durchmaß. „Ich brauche Dir wohl nicht erst zu versichern, daß ich mich nicht so ohne Weiteres compromittiren lasse. … Hm, ja – Trauung und Trennung so eng beieinander! Das wäre wieder einmal so Etwas für die guten Leute, die sich vor meinen ‚Bizarrerien und Extravaganzen‘ fromm bekreuzen. … Ich bin stets herzlich gern bereit, ihnen Stoff zu liefern – warum denn nicht? Diesmal aber verzichte ich auf den pikanten Scandal.“

Er ließ ihren Arm von dem seinen niedergleiten und öffnete eine Thür. „Hier Deine Appartements – siehe zu, wie Du sie Deinen Bedürfnissen und Neigungen unterthan machst! Jeder Deiner Wünsche, bezüglich einer Veränderung, wird selbstverständlich ohne Widerrede sofort erfüllt werden.“ Er trat nach ihr ein und ließ den Blick durch die mit übermäßigem Luxus ausgestattete Zimmerreihe gleiten – ein böses Gemisch von Hohn und Groll lag in dem finstern Lächeln, das über sein schönes Gesicht huschte. „Valerie hat sie bewohnt – aber fürchte Dich nicht,“ sagte er, in den frivolen, persiflirenden Ton verfallend, vor welchem „die Damen wie die Lämmer zitterten“ – „ihre Seele war luftig und flatternd, als sei auch sie nur aus den kostbaren echten Spitzen zusammengewoben, in den sie ihren verwöhnten Körper zu hüllen liebte. Zudem trug sie die untrüglichen Engelsflügel einer strengen Frömmigkeit – sie ist im Himmel.“

Er schellte der Kammerjungfer und stellte sie der neuen Herrin vor. Dann machte er Liane darauf aufmerksam, daß er sie nach einer Stunde zur Trauung abholen werde, und ehe sie noch ein Wort erwidern konnte, hatte er das Zimmer verlassen. Zugleich schlüpfte die Zofe durch die entgegengesetzte Thür, um im Ankleidezimmer Alles zur Toilette vorzubereiten.




6.


Da stand die junge Dame allein, inmitten einer wildfremden Umgebung. Im ersten Augenblicke gab sie dem Gefühle einer fast sinnlosen Angst nach – sie lief durch die Gemächer und griff auf jedes Thürschloß; nein, sie war nicht gefangen, selbst die in’s Freie führende Glasthür des einen Salons flog sofort unter dem Drucke ihrer Hand auf, und nichts hinderte sie, das Haus flüchtend zu verlassen. … Flüchten? War sie denn nicht freiwillig hierher gekommen? Hatte es nicht doch einzig und allein in ihrer Hand gelegen, Nein zu sagen, trotz der grimmig drohenden Blicke der Mutter und der Bitten ihrer Geschwister? … Sie hatte sich stumpfsinnig einem furchtbaren Irrthume hingegeben, und an diesem Irrthume trug ihr Institutsleben die Schuld. Die meisten ihrer Mitschülerinnen, Töchter der ältesten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_053.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)