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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Der arme Magnus!“ flüsterte Liane, nach der Thür des Nebenzimmers deutend. „Er ist drüben – wie wird er erschrecken über diesen Lärm! … Bitte, Mama, fasse Dich! Magnus darf Dich nicht so sehen – was soll er denken?“ wandte sie sich halb bittend, halb mit ernstem Nachdruck an ihre Mutter.

Die widerwärtige Scene, welcher die Töchter stets durch Nachgiebigkeit und möglichsten Gehorsam vorzubeugen suchten, spielte sich ja nun doch ab; nun machte sich der tiefe, gerechte Unwille geltend, den das charaktervolle Weib gegenüber den Ausschreitungen einer entarteten Frauennatur empfindet. Die junge Mädchengestalt zitterte nicht mehr vor Furcht – es sprach etwas unbewußt Ueberlegenes aus der Bewegung, mit welcher sie ernst mahnend die Hand hob. Sie predigte tauben Ohren – das Geschrei dauerte fort.

Da wurde in der That die Thür des anstoßenden Zimmers geöffnet. Liane flog durch den Salon.

„Geh’, Magnus, bleibe drüben!“ bat sie mit kindlich rührender Stimme und versuchte, den Eintretenden sanft zurückzudrängen. Es hätte wohl keiner besonderen Kraft bedurft, ihn ernstlich zurückzuhalten, diesen knabenhaft schmächtigen jungen Mann.

„Lasse mich nur, kleiner Famulus,“ sagte er freundlich – ein Schimmer verklärender Freude lag auf seinem geistreichen Gesicht. „Ich habe Alles mit angehört und bringe Hülfe.“

Einen Moment aber wurzelte sein Fuß doch auf der Schwelle, als er die Frau mit zuckenden Gliedern und verzerrtem Gesicht auf dem Sopha liegen sah.

„Mama, beruhige Dich,“ sagte er nähertretend mit etwas vibrirender Stimme, „Du kannst den Wein bezahlen. Sieh, hier ist Geld – fünfhundert Thaler, liebe Mama!“ Er zeigte ihr mit hochgehobener Hand eine Anzahl Banknoten.

Ulrike sah ihm mit ängstlicher Spannung in das Gesicht; sie war sehr roth geworden – aber er bemerkte es nicht. Er warf das Papiergeld achtlos auf das Sopha neben seine Mutter und schlug ein Buch auf, das er mitgebracht hatte. „Sieh, Herzchen, da ist es nun,“ sagte er sichtlich bewegt zu Liane. – Die Leidende auf dem Sopha fing an, sich zu beruhigen; sie legte aufstöhnend die Hand über die Augen – durch die gespreizten Finger fuhr ein unglaublich rasch bewußt und scharf gewordener Blick, der das Buch in den Händen des Sohnes fixirte.

„Werde mir nur nicht zu stolz, kleiner, lieber Famulus!“ fuhr er fort. „Unser Manuscript kommt als Prachtwerk zurück. Es ist lebensberechtigt vor dem hohen Stuhl der Wissenschaft; es geht siegreich durch das Kreuzfeuer der Kritik – ach, Liane, lies den Brief des Verlegers –“

„Schweige, Magnus!“ unterbrach ihn Ulrike rauh und gebieterisch.

Die Gräfin Trachenberg saß bereits aufrecht. „Was ist das für ein Buch?“ fragte sie, weder in den impertinent verschärften Zügen, noch in der befehlenden Stimme war eine Spur des soeben beendeten Krampfanfalles zu bemerken.

Ulrike nahm mit einer raschen Bewegung das Buch aus der Hand des Bruders und drückte es mit beiden Armen fest an ihre Brust. „Es ist ein Werk über die fossile Pflanzenwelt – Magnus hat es geschrieben, und Liane die Zeichnungen dazu geliefert,“ sagte sie kurz erklärend.

„Gieb her – ich will es sehen!“

Zögernd, mit einem vorwurfsvollen Blick auf ihren Bruder, reichte Ulrike den Band hin; Liane aber, bis in die Lippen erblaßt, verschränkte krampfhaft die feinen Finger und vergrub das Gesicht hinein – diesen Ausdruck im Gesicht der Mutter hatte sie von Kindesbeinen an so fürchten gelernt, wie kaum die Höllenstrafen, mit denen die Kinderfrau drohte.

„Fossile Pflanzen – von Magnus, Grafen von Trachenberg,“ las die Gräfin mit lauter Stimme. Ueber das Buch hinweg, mit grimmig einwärts gezogenen Lippen, sah sie einen Moment starr und vernichtend in das Gesicht des Sohnes. „Und wo steht der Name der Zeichnerin?“ fragte sie, das Titelblatt umwendend.

„Liane wollte nicht genannt sein,“ versetzte der junge Mann mit vollkommener Gelassenheit.

„Ah – also doch wenigstens in einem dieser Köpfe ein Funken von Vernunft, ein schwaches Aufdämmern von Standesbewußtsein!“ Sie stieß ein häßliches Gelächter aus und schleuderte den schweren Band mir einer solchen Gewalt weit von sich, daß er klirrend durch die Glaswand hinaus auf die Steinfliesen der Terrasse flog.

„Dahin gehört die Sudelei!“ sagte sie und zeigte auf das Buch, das breit aufgeschlagen liegen blieb und die reizend ausgeführte Zeichnung einer vorweltlichen Farrenform sehen ließ. – „O dreifach glückliche Mutter, welch einem Sohne gabst Du das Leben! Zu feig, um Soldat zu werden, zum Diplomaten zu geistlos, geht der Nachkomme der Fürsten Lutowiski, der letzte Graf Trachenberg, unter – die Buchmacher und läßt sich Honorar zahlen!“

Liane umschlang in leidenschaftlichem Schmerz die schmalen Schultern ihres Bruders, der sichtlich mit sich kämpfte, um angesichts dieser Schmähungen die äußere Ruhe zu bewahren.

„Mama, wie kannst Du es über das Herz bringen, Magnus so zu beleidigen?“ zürnte das junge Mädchen. „Feig nennst Du ihn? – Er hat mich vor sieben Jahren unter eigener Lebensgefahr drüben aus dem See gezogen. Ja, er hat sich entschieden geweigert, Soldat zu werden, aber nur, weil sein mildes, weiches Herz das Blutvergießen verabscheut. … Zum Diplomaten fehle ihm der Geist, ihm, dem unermüdlichen, tiefen Denker? O Mama, wie grausam und ungerecht bist Du! Er haßt nur das Doppelzüngige und will seinen edlen, wahrhaftigen Geist nicht durch die Schachzüge der Diplomatenkünste entweihen. … Ich bin auch stolz, sehr stolz auf unser altberühmtes Geschlecht; aber ich werde nie begreifen, weshalb der Edelmann nur mit dem Schwert oder der glatten Diplomatenzunge ein Edelmann sein soll –“

„Und dann frage ich,“ fiel Ulrike mit ernstem Nachdruck ein – sie war hinausgetreten und hatte das mißhandelte Werk aufgenommen – „was ist ehrenvoller für den Namen Trachenberg: daß er einer wohlgelungenen Geistesthat voransteht, oder – daß er in der Reihe der Ueberschuldeten zu finden ist?“

„O Du, Du –“ zischte die Gräfin fast wortlos vor innerem Grimm, „Du Geißel meines Lebens!“ Sie fuhr einige Male wie rasend im Salon auf und ab. „Uebrigens sehe ich nicht ein, was mich zwingt, ferner mit Dir zu leben,“ sagte sie, plötzlich stehen bleibend, unheimlich ruhig. „Du bist längst über die Zeit hinaus, wo das Küchlein von Anstandswegen unter die Flügel der Mutter gehört. Ich habe Dich lange genug ertragen und gebe Dir Urlaub, unbeschränkten Urlaub. Mache meinetwegen eine langjährige Besuchsreise durch die ganze Sippe – gehe wohin Du willst, nur spute Dich, daß mein Haus rein wird von Deiner Gegenwart!“

Graf Magnus ergriff die Hand der verstoßenen Schwester. Die drei Geschwister standen innig vereint der herzlosen Frau gegenüber.

„Mama, Du zwingst mich, zum ersten Mal mein Recht als Erbherr von Rudisdorf zu betonen,“ sagte der stille, sanfte Gelehrte mit vor Aufregung tiefgeröthetem Gesicht. „Den Gläubigern gegenüber habe nur ich Anspruch auf eine Wohnung im Schlosse und auf das Einkommen, das sie verwilligt. … Die Heimath kannst Du Ulrike nicht nehmen – sie bleibt bei mir.“

Die Gräfin wandte ihm den Rücken und schritt nach der Thür, durch die sie gekommen. Der Sohn war so vollkommen in seinem Rechte, daß sich auch nicht ein Wort gegen seine ernste Erklärung finden ließ. Sie legte die Hand auf den kreischenden Drücker, drehte sich aber noch einmal um.

„Daß Du Dich nicht unterstehst, auch nur einen Groschen von dem Judasgelde unter die Haushaltungscasse zu mischen!“ befahl sie Ulrike und zeigte nach den auf dem Sopha liegenden fünfhundert Thalern. „Ich verhungere lieber, ehe ich einen Bissen anrühre, der mit dem Gelde bezahlt ist. … Den Wein löse ich aus. Gott sei Dank, ich habe noch Silberzeug genug aus dem Schiffbruch gerettet! Mag man das Geräth, von welchem meine Vorfahren speisten, einschmelzen – den Schmerz darüber wiegt das Bewußtsein auf, daß ich meine Gäste auf echt fürstliche Weise, und nicht mittels eines Arbeiterhonorars bewirthe. … Dich aber wird die Strafe schon ereilen,“ wandte sie sich an Liane, „und zwar dafür, daß auch Du Front gegen Deine Mutter machst! Komme Du nur nach Schönwerth! Raoul, noch mehr aber der alte Onkel Mainau werden Dir Deinen Sentimentalitäts- und Gelehrtenkram schon austreiben.“

Sie rauschte hinaus und warf die Thür so hart ins Schloß, daß der Schall noch an der Steinwölbung der fernsten Corridore schütternd hinlief.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_023.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)